FPÖ, Fake News, Festnahmen: Wie 42.000 Demonstranten Wien lahmlegten
So chaotisch der Demo-Tag verlief, so chaotisch begann er auch. Schon in den Öffis, auf dem Weg in die Wiener Innenstadt, fallen die ersten Corona-Demonstranten auf. Den bunten Mix an Dialekten ist man, seit die Hotels geschlossen sind, kaum mehr gewohnt.
"Host du an Google Map [sic!]?", ruft ein Mann seiner Begleitung durch die U2 zu. Die Maske trägt er in der Station nicht, in der U-Bahn unter der Nase und als er ruft, nimmt er sie ganz ab. Google Maps braucht die Gruppe, um zum Treffpunkt der MFG-Kundgebung am Schwarzenbergplatz zu finden. Eine andere Gruppe versucht verzweifelt, beim Schottenring zuzusteigen. Sie ist nicht sicher, ob die Fahrtrichtung stimmt, drückt den Knopf zu spät und der Zug fährt ohne sie ab.
Zeitgleich beginnt am Heldenplatz die größte der Versammlungen – angemeldet wurden im Vorfeld 27. Anfangs schätzt die Polizei hier rund 6.000 Personen, doch der Zustrom reißt nicht ab, am Ende sollten es 42.000 werden.
Masken? Fehlanzeige!
Am Rande der Versammlung drehen Polizeitrupps ihre Runden. Manch Demonstrant setzt sich bei ihrem Anblick die Maske halbherzig auf. Andere fangen Diskussionen mit den Beamten an: Die Maskenpflicht gelte doch nicht für Kinder, meint einer und zeigt auf zwei Jugendliche. Nur vereinzelt wird gestraft. Dort, wo die Menschen dicht gedrängt stehen, den Rednern und Musikern zuhören, jubeln und grölen, schimpfen und buhen, wo sogar Glühwein ausgeschenkt wird, kommen die Beamten nicht hin.
FPÖ-Abgeordnete mit Falschnachrichten
Obwohl die FPÖ die Demonstrationen an diesem Samstag offiziell nicht mitorganisiert hat, ist sie allgegenwertig. "Kickl, Make Austria great again", ist auf einem Schild zu lesen. Die Freiheitliche Jugend Wien trägt ein Transparent mit der Aufschrift "Immun gegen Globalisten-Propaganda" und die FPÖ Abgeordneten Dagmar Belakowitsch und Susanne Fürst teilen sich eine Bühne mit Martin Rutter, jenem Corona-Demo-Rädelsführer, der einst aus dem BZÖ ausgeschlossen wurde, weil er beim rechtsextremen Ulrichsbergstreffen aufgetreten ist.
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Belakowitsch behauptet in ihrer Rede fälschlicherweise, dass die Spitäler wegen Impfschäden gefüllt seien und Rutter selbst bedankt sich nach einem Spendenaufruf bei der FPÖ, die ihm die Bühne zur Verfügung gestellt hätte.
Katz-und-Maus-Spiel
Noch während Rutter darum bittet, dass jeder 500 Euro oder "vielleicht auch weniger" in seine Spendenbox wirft und Sänger Ben Arslan versucht, Merchandise-Artikel zu verkaufen, setzen sich am Ring die ersten Demozüge in Bewegung. Die Polizei wirkt teils überrascht, muss immer wieder schauen, die Spitze der Züge zu erreichen, um eine Richtung vorgeben zu können. Das gelingt nicht immer. Am frühen Nachmittag ist schließlich die gesamte Ringstraße gesäumt mit kleineren und größeren Gruppen von Maßnahmengegnern.
"Wir sind das Volk" und "Uns kriegt ihr nie" steht auf den Bannern der rechtsextremen Identitären, die jenen Zug anführen, der am Franz-Josef-Kai plötzlich der linken Gegendemo gefährlich nahekommt. Die Rechtsextremen, darunter vermummte Hooligans, durchbrechen Absperrungen und bewerfen Polizisten mit Pyrotechnik, nur um dann eine andere Richtung einzuschlagen. Zunächst geht es Richtung Franzensbrücke, wo die Polizei abermals absperrt. Die meisten Demonstranten kehren zum Ring zurück, die Identitären biegen Richtung Wien Mitte ab.
Dort haben sie einige Minuten kaum Polizeibegleitung. Vermummte zünden wieder Böller und Bengalos, ihre Österreich-Fahnen bleiben zusammengerollt und sollen eher als Knüppel dienen. Es dauert, bis die Polizei den Demozug wieder eingeholt hat.
Am Schwarzenbergplatz schließen sie sich dem Hauptdemozug an – die Stimmung ist aufgeheizt, eine Reihe Polzisten kommt zwischen die Demozüge. Eine Hundestaffel muss einschreiten.
Schließlich setzt sich ein Hauptdemozug wieder Richtung Schwedenplatz in Bewegung. Als die Polizei beim Gartenbaukino kurz anhällt, versuchen abermals einige Demonstranten durchzubrechen. Männer mit Steiermark-Fahnen sind es, die die Polizisten wegdrängen wollen. "Da prickelt es richtig", berichtet ein Demonstrant seiner Freundin begeistert. Eine Gruppe aus Frauen und Männern scherzt, dass man den Polizisten den Helm nach hinten ziehen müsse, dann würden sie nichts mehr sehen. In der ersten Reihe, mitten im Handgemenge: Eltern, die ihre Kinder auf den Schultern tragen.
Eine Demonstration der Widersprüche
"Hände weg von unseren Kindern" ist daneben auf Plakaten, die sich gegen die Impfpflicht richten, zu lesen. Während mit der Polizei gerangelt wird, wird am Demowagen von einer friedlichen Demonstration gesprochen und auf einem Plakat ist zu lesen: "Es ist wirklich Zeit, Danke zu sagen. Ohne Polizei ist niemand frei".
Widersprüche scheinen den Demo-Teilnehmern generell nichts auszumachen: Während die einen Israel-Fahnen schwenken, ziehen Anhänger der antisemitischen QAnon-Verschwörungsideologie durch die Menge. Andere relativieren den Holocaust, indem sie gelbe Davidsterne mit der Aufschrift "ungeimpft" tragen oder Pullis, auf dem Schutzmasken als "der Hitlergruß unserer Zeit" bezeichnet werden.
Die, die den Medien Fake News vorwerfen, hängen selbst den abstrusesten Verschwörungsmythen an: Zu lesen ist etwa von Gen-Defekten durch die Impfung, von 5G-Strahlen und davon, dass Gott die Impfung ersetzen könnte. Und selbstverständlich gibt es immer noch welche, die auf Alu-Hüte setzen.
Vorläufige Bilanz: Fünf Festnahmen
Gegen 18 Uhr schafft es die Demo schließlich doch einmal rund um den Ring und trifft wieder am Heldenplatz ein. Während vor dem Bundeskanzleramt noch Reden geschwungen und die nächsten Demos angekündigt wird, feiern noch Tausende am Ring mit Dosenbier, Schlager oder Popmusik. Zu "Mein Tiroler Land" hebt ein älterer Herr mehrmals die Hand zum Hitlergruß. Kleinere Gruppen ziehen wieder planlos durch die Stadt davon.
Die vorläufige Bilanz der Polizei: Fünf Festnahmen, "mehrere Anzeigen", 1.200 Polizisten im Einsatz – zwei davon wurden verletzt.
Zusammenfassung
- Mit Samstag ging wieder ein Tag zu Ende, an dem Gegner der Corona-Maßnahmen die Wiener Innenstadt für sich beanspruchten. Wieder ein Tag, an dem laut Polizei rund 42.000 Demonstranten, teils angeführt von Rechtsextremen, ziellos durch Wiens Straßen zogen.