Forscher finden Auslöser für kritische Zugverspätungen
Verspätungen sind nicht nur für die Fahrgäste unangenehm, sondern erhöhen auch die Kosten für die Bahnbetreiber. Für die im Rahmen des Projekts "Train Operating Forecasting" durchgeführte und im Fachjournal "npj Sustainable Mobility and Transport" veröffentlichte Studie wurde daher das Risiko, das von einzelnen Zügen für das gesamte Zugnetz ausgeht, untersucht, "also jene Züge, die Verspätungen besonders stark auf nachfolgende Züge und das gesamte Zugnetzwerk übertragen", erklärte Vito Servedio vom CSH in einer Aussendung.
Auf Basis der Daten der stark frequentierten Südbahnstrecke vom Wiener Hauptbahnhof nach Wiener Neustadt von 2018 bis 2020 sowie aller Zugverbindungen in Österreich über einen Zeitraum von 14 Tagen wurde ein Netzwerkmodell entwickelt. Anschließend haben die Forscher die Züge nach ihrem Potenzial für Verzögerungskaskaden, also der Übertragung von Verspätungen auf folgende Züge, eingestuft und jene mit dem größten Einfluss auf das Netz identifiziert.
Nicht ganz überraschend waren das jene Züge, die kurz vor oder während der ersten Stoßzeit im Frühverkehr fahren. Allerdings lasse sich nun unterscheiden, welche Züge die größten Auswirkungen haben, so Simone Daniotti, Erstautor und ebenfalls am CSH tätig. Die Identifikation von Schwachpunkten im System ermögliche einen gezielten Umbau des Netzwerks, etwa durch den Einsatz von wenigen spezifischen Kurzstreckenverbindungen, um Verzögerungen zu reduzieren.
Hauptverantwortlich für die Verspätungskaskaden ist laut den Autoren die gemeinsame Nutzung von sogenanntem Rollenden Material, also Triebwagen und Waggons, sowie die Verfügbarkeit von Personal. Sie spielen, wenn sie nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, eine wichtigere Rolle als Probleme bei der Infrastruktur, etwa gemeinsam genutzten Bahnsteigen oder Gleisen. Im aktuellen Modell können Umverteilungen beim Personal aufgrund fehlender Daten allerdings noch nicht berücksichtigt werden.
Die Simulation einer einstündigen Unpünktlichkeit der auswirkungsstärksten zwei Prozent der Züge auf der Südbahnstrecke ergab jedenfalls, dass man durch drei zusätzliche Zugverbindungen die Verspätungen um etwa 20 Prozent reduzieren könnte. Umgelegt auf das gesamte österreichische Eisenbahnnetz würden sich die Verspätungen um 40 Prozent reduzieren lassen, wenn 37 neue Züge oder Verbindungen hinzukämen, so die Forscher. Je mehr Verkehr auf einer Strecke herrsche, desto schwieriger sei allerdings eine Optimierung.
Als zusätzliche Zugverbindungen sind für die Eisenbahnunternehmen vor allem Nahverkehrszüge mit elektrischen Triebwagen wirtschaftlich, während der Einsatz von Fernzügen schwieriger und teurer ist. "Interessanterweise haben wir festgestellt, dass wir eine ähnliche Verringerung der Gesamtverspätungen um etwa 20 Prozent erreichen können, wenn wir drei der kosteneffizientesten Zugverbindungen auf der Südbahnstrecke hinzufügen", so Servedio. Eine sehr hohe Wiederherstellung der Pünktlichkeit kann mit zusätzlichen lokalen Zügen alleine aber nicht erreicht werden.
(S E R V I C E - Veröffentlichung der Studie im Lauf des Tages unter https://dx.doi.org/10.1038/s44333-024-00012-6)
Zusammenfassung
- Forschende des Wiener Complexity Science Hub haben herausgefunden, dass Wetterextreme, Baustellen und Engpässe beim Material zu kritischen Zugverspätungen bei der ÖBB führen, die sich besonders während der Stoßzeiten im Frühverkehr auswirken.
- Eine Studie zeigt, dass drei zusätzliche Zugverbindungen auf der Südbahnstrecke die Verspätungen um 20 Prozent reduzieren könnten, während im gesamten österreichischen Netz 37 neue Züge nötig wären, um die Verspätungen um 40 Prozent zu senken.
- Die Untersuchung hebt hervor, dass die gemeinsame Nutzung von rollendem Material und Personalverfügbarkeit größere Probleme darstellen als die Infrastruktur, wobei Nahverkehrszüge mit elektrischen Triebwagen als wirtschaftlicher gelten.