Expertinnen-Kritik an Hebammen-Mangel
Die Arbeiterkammer Wien hat mit dem Österreichischen Hebammengremium (ÖHG) eine Bedarfsprognose in Auftrag gegeben, als Grundlage für den gesundheitspolitischen Diskurs. Denn obwohl sie einen kostenfreien Anspruch auf Hebammenleistungen bis zur achten Woche nach der Geburt hätten, könnten Frauen diese Hilfe allzu oft nicht wahrnehmen: Etwas mehr als 2.600 Hebammen sind derzeit tätig, rund 1.450 davon im Krankenhaus angestellt und zusätzlich frei praktizierend, die anderen zu fast gleichen Teilen entweder ausschließlich im Spital oder nur in freier Praxis. Dem gegenüber stehen in etwa 85.000 Neugeborene jährlich, die zu 98 Prozent in öffentlichen Spitälern zur Welt kommen.
"Die Unterbesetzung in Kreißsälen führt zu unzumutbaren Bedingungen für Gebärende, Babys und Hebammen", kritisierte AK-Präsidentin Renate Anderl. Es komme immer wieder vor, dass eine Hebamme bis zu fünf werdende Mütter gleichzeitig betreuen müsse, schilderten die Expertinnen. Die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften empfiehlt hingegen während der Eröffnungs- und Austrittsphase der Geburt eine Eins-zu-eins-Betreuung, die Frauen sollten währenddessen auch nicht mehr allein gelassen werden.
Immer wieder würden sich Betroffene aus der Berufsgruppe an die AK wenden, mit Klagen wie "Ich kann nicht mehr" oder "Ich habe Angst, Fehler zu machen", schilderte Andrea Wadsack, Vorsitzende im Fachausschuss Gesundheits- und Sozialberufe. Viele würden sich um Alternativen umschauen, wie Privatkliniken und freiberufliche Praxen als Wahlhebamme.
Neben dem anhaltend hohen Arbeitsdruck in den Spitälern steige auch der Bedarf an Betreuung außerhalb: "Die Frauen gehen immer früher nach Hause und brauchen dort mehr Nachsorge", berichtete ÖGH-Präsidentin Gerlinde Feichtlbauer. Nach Spontangeburten betrage die durchschnittliche Verweildauer nur mehr zweieinhalb bis drei Tage, nach Kaiserschnitten meist nicht mehr als fünf Tage, so Wadsack.
Aktuell liege Österreich laut OECD-Daten mit 29,89 Hebammen pro 1.000 Lebendgeburten deutlich hinter Spitzenreitern wie Belgien und Schweden, deren Versorgungsdichte mehr als doppelt so hoch ist. Bis 2032 wird knapp ein Viertel in Pension gehen, sagte Elisabeth Rappold von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Mit den bestehenden Ausbildungsplätzen könnten gerade so die Abgänge der 1960er-Jahrgänge abgefangen werden, sagte Feichtlbauer. Den Ist-Zustand könne man in etwa halten, geht auch aus der GÖG-Prognose hervor. Das möchte aber keine der Expertinnen: "Der Mangel besteht jetzt schon, man muss dringend eingreifen", urgierte Anderl. Der künftige Bedarf hänge nicht zuletzt davon ab, wie viel Unterstützung die Gesundheitspolitik den Frauen zugestehe, so Rappold.
Das Hebammengremium fordert mehr Planstellen in den geburtshilflichen Abteilungen und die Eins-zu-eins-Betreuung, bessere Kassentarife und mehr Kassenstellen außerhalb der Spitäler sowie ein verpflichtendes Hebammen-Beratungsgespräch im Mutter-Kind-Pass. Verpflichtende Personalvorgaben im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) und in den Regionalen Strukturplänen der Bundesländer (RSGs) sollen laut AK für mehr Hebammen im Spital sorgen. Dazu brauche es faire Entlohnung und Entlastung, wie sie für die Pflegeberufe beschlossen wurde, sowie eine Ausbildungsoffensive mit mehr verfügbaren Plätzen. "Sollen alle Mütter eine gute Versorgung erhalten, muss es 2032 um 1.412 Hebammen mehr geben als heute", konstatiert die AK.
Zusammenfassung
- Seit Jänner gilt ein neuer Hebammen-Gesamtvertrag, der die Leistungen im niedergelassenen Bereich ausweitet.
- Rund die Hälfte der Frauen werde trotzdem weiter keine Betreuung nach der Geburt durch eine Hebamme mit Kassenvertrag erhalten: Es gebe dafür viel zu wenige, kritisierte die Arbeiterkammer bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Wien.
- Für eine gute Versorgung müssten 2032 um fast 1.500 Hebammen mehr praktizieren als heute.