EU-Entwaldungsgesetz: Gezerre um mögliche Abschwächung
Nach aktuellem Stand gelten die meisten Bestimmungen der bereits in Kraft getretenen Entwaldungsverordnung ab Jahresende - für kleine Unternehmen sollen die Regeln ab Ende 2025 greifen. Anfang Oktober schlug die EU-Kommission dann vor, die beiden Fristen um jeweils ein Jahr nach hinten zu verschieben. Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sowie andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und einige Drittstaaten hatten diesen Schritt gefordert.
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission stimmte auch der Rat der EU - sprich die Mitgliedstaaten - der Verschiebung zu. Ohne weitere Verhandlungen sollten die neuen Fristen nun morgen von den Abgeordneten des EU-Parlaments im Schnellverfahren abgesegnet werden. Die eingebrachten Änderungsanträge der EVP-Abgeordneten Christine Schneider könnten dem aber einen Strich durch die Rechnung setzen. Sie will die Frist um 24 statt 12 Monate verschieben und auch die Verordnung selbst soll abgeschwächt werden. Dies würde wiederum Verhandlungen mit dem Rat und der EU-Kommission nötig machen. Mit den Stimmen der EVP und den weiter rechts stehenden Fraktionen könnten die Anträge das Parlament passieren.
Die EU-Entwaldungsverordnung soll verhindern, dass Produkte auf den europäischen Markt kommen oder von dort aus exportiert werden, für deren Herstellung es zu Entwaldung kam - also eine Waldfläche dauerhaft in Agrarfläche umgewandelt wurde. Als betroffene Waren werden neben Holz auch Rinder, Soja, Kakao, Kaffee, Ölpalme oder Kautschuk, genannt. Bauern oder Waldbesitzer müssten demnach eine Sorgfaltserklärung inklusive Geodaten abgeben, bevor sie ein Produkt auf den Markt bringen können. Für kleine und mittlere Unternehmen gibt es aber Ausnahmeregelungen. Zudem kann die EU-Kommission Länder oder Regionen weltweit in eine von drei Kategorien einordnen: Solche mit geringem, normalem oder hohem Entwaldungsrisiko - mit jeweils unterschiedlichen Kontrollpflichten für die Behörden und unterschiedlich vielen Pflichten für die betroffenen Unternehmen.
Die von der EVP-Abgeordneten Schneider eingebrachten Änderungsanträge sollen unter anderem eine vierte Kategorie - "kein Entwaldungsrisiko" - einführen. Unternehmen und Behörden aus derart eingestuften Ländern oder Regionen wären praktisch von den Regeln der Verordnung ausgenommen. "In Ländern mit stabiler oder zunehmender Entwicklung von Waldgebieten ist das Risiko der Entwaldung gemäß der Verordnung unwesentlich oder gar nicht vorhanden. Daher bestehen ernsthafte Zweifel an der Zielausrichtung und der Verhältnismäßigkeit der Verordnung", wird der Änderungsantrag begründet.
Die Positionen der österreichischen EU-Abgeordneten zu dem Themen gehen naturgemäß auseinander. "Die neue Entwaldungsverordnung muss vollständig gekippt werden", fordert der FPÖ-Europaabgeordnete Roman Haider, der in dem Kontext auch Kritik an der EVP übt. "Jetzt kommt man auch dort drauf, was für enorme Nachteile diese Verordnung mit sich bringt und versucht in letzter Sekunde eine Kehrtwende".
"Die Entwaldungsverordnung bietet keinen Mehrwert und schadet der bäuerlichen Arbeit, die wertgeschätzt und nicht durch unnötige Vorschriften torpediert werden sollte", kritisiert dann der ÖVP-EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber das EU-Gesetz.
Kritik an dem Vorgehen der EVP kommt auch vom SPÖ-EU-Abgeordneten Günther Sidl. "Die EU-Entwaldungsverordnung wurde im Europäischen Parlament mit einer sehr großen Mehrheit beschlossen. Die Europäische Volkspartei will mit neuen Änderungsanträgen das gesamte Gesetz weiter abschwächen. Klare Zielsetzung dieser neuen EVP-Vorlagen ist eine Mehrheit mit den Rechtsfraktionen zu finden."
"Wir haben keine Zeit den Lobbyist*innen der Holzindustrie blind zu folgen, während die Klimakrise mit Unwettern und Dürren unsere Ernährungssicherheit bedroht und unsere Dörfer wegschwemmt", kontert seinerseits der österreichische EU-Abgeordnete Thomas Waitz (Grüne) in einem Presseschreiben. "Die nun geforderten Abschwächungen sind eine de facto Aushöhlung zu Gunsten der österreichischen und europäischen Holzindustrie, die sich aus der Verantwortung stehlen will."
Die ursprüngliche Entwaldungsverordnung wurde im Frühjahr 2023 mit großer Mehrheit im Europaparlament angenommen. 552 Abgeordnete stimmten dafür bei 44 Nein-Stimmen und 43 Enthaltungen. Die damals anwesenden Parlamentarier von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS stimmten mit Ja. Auch die deutsche EVP-Parlamentarierin Schneider war für die Verordnung. Die Abgeordneten der FPÖ stimmten gegen den Text.
Unterstützung finden die von Schneider eingebrachten Änderungsanträge auch in der heimischen Waldwirtschaft. "Populistische Behauptungen einzelner NGOs, dass diese notwendige Änderung die Verordnung aushöhlt oder den globalen Waldschutz gefährdet, gehen völlig ins Leere", so Konrad Mylius, Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich. "An den Verpflichtungen für Importe aus Hoch-Risiko Ländern ändert sich nichts, es geht hier rein um eine Entlastung der Menschen die seit Generationen mit nachhaltiger Waldbewirtschaftung zum Erhalt und Ausbau der Waldflächen beigetragen haben.''
"Die Waldfläche in Österreich hat seit 1961 um nahezu der Fläche des Burgenlandes zugenommen", meint auch der Waldverband Österreich in einer Aussendung. "Bei uns gibt es daher das Thema der Entwaldung nicht. Warum sollte man dann völlig sinnlos nachweisen, dass das Holz nicht aus Entwaldung stammt?"
Die Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Südwind macht gegen die Änderungsanträge mobil. "Wir fordern, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag zur Verschiebung der EUDR zurückzieht, sollte es dazu kommen, dass Änderungen angenommen werden", sagt Maria Hammer von Südwind in einer Aussendung. "Die Argumentation, dass die EU nicht von Abholzung beziehungsweise Waldschädigung betroffen sei, ist irreführend. Es wäre ein verheerendes Signal an die Staaten des Globalen Südens".
"Gehen die Änderungen der EVP durch, verkommt das EU-Waldschutzgesetz zu einer wertlosen Hülle", befürchtet auch die Umweltorganisation Greenpeace. "Es ist ein Skandal, dass der anhaltende Boykott einiger EU-Mitgliedsstaaten, insbesondere Österreichs, nun dazu führt, dass ein bereits beschlossenes Umweltschutzgesetz der EU behindert wird", so Greenpeace-Sprecherin Ursula Bittner.
Die Aussicht auf eine erneute Änderung der Entwaldungsordnung förderte zudem eine ungewöhnliche Allianz von NGOs und Großkonzernen zutage. In einem gemeinsamen Statement sprachen sich Zivilorganisationen wie zum Beispiel Fairtrade zusammen mit Branchengrößen wie Nestle, Unilever, Mondelez, Mars oder Ferrero gegen weitere Änderungen der Entwaldungsverordnung aus. "Dies würde lediglich die reibungslose Verabschiedung des Vorschlags behindern, die Unsicherheit erhöhen und die erheblichen Investitionen gefährden, die unsere Mitgliedsunternehmen in die Vorbereitung seiner Umsetzung getätigt haben", schreibt das "Cocoa Coalition" getaufte Bündnis Mitte Oktober in einem Schreiben.
Die EU-Kommission hielt sich am Dienstag mit Blick auf die morgige Abstimmung bedeckt. Ein Sprecher der Brüsseler Exekutive betonte, dass der ursprüngliche Vorschlag seiner Behörde nur eine Änderung der Fristen und keine inhaltlichen Änderungen an der Verordnung vorsah. Es sei ihr dabei in erster Linie um die Planbarkeit gegangen. "Ich kann nicht darüber spekulieren, was passieren oder nicht passieren könnte, je nachdem, was die Co-Gesetzgeber (Rat und Parlament; Anm.) entscheiden", so Kommissionssprecher Adalbert Jahnz.
Zusammenfassung
- Die EU-Entwaldungsverordnung, die Produkte verhindern soll, die zur Entwaldung führen, steht vor einer möglichen 12-monatigen Verschiebung, über die das Europaparlament abstimmen wird.
- Änderungsanträge der EVP könnten die Verschiebung auf 24 Monate ausdehnen und die Verordnung abschwächen, was zu weiteren Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission führen würde.
- Umweltschützer und Parteien wie die Grünen und die SPÖ kritisieren die Abschwächung, während die heimische Waldwirtschaft und die ÖVP sie unterstützen.
- Ursprünglich wurde die Verordnung mit 552 Ja-Stimmen im Europaparlament angenommen, wobei 44 Abgeordnete dagegen stimmten.
- Die Waldfläche in Österreich hat seit 1961 um die Fläche des Burgenlandes zugenommen, was von der heimischen Waldwirtschaft als Argument gegen die strengen Vorschriften angeführt wird.