Corona: Immunität sinkt durch Omikron merklich
Hätte man es noch mit der bis vor kurzem vorherrschenden Delta-Variante des SARS-CoV-2-Erregers zu tun, wären zu Jahreswechsel bereits 80 Prozent der Bevölkerung immunisiert, so das Team um den Simulationsforscher Niki Popper. Bei Omikron falle die Zahl aber nun "markant" auf lediglich 55 Prozent ab.
In ihrer neuen "Modellbasierten Schätzung des Immunisierungsgrades in Österreich" (Stand 1. Jänner 2022) gehen die Experten des Unternehmens dwh, einem Spin-off der Technischen Universität (TU) Wien, von etwas optimistischeren Annahmen aus, als eine am Dienstag veröffentlichte Modellrechnung des Complexity Science Hub (CSH) Vienna. Nach letzterer wären 42 Prozent der Menschen in Österreich durch Impfung oder Genesung vor einer Omikron-Erkrankung geschützt. Gegen das Delta-Virus waren es laut der Schätzung 72 Prozent.
Immunität wie im September
Poppers Team berechnete nun die Situation mit seiner Simulation einer virtuellen Bevölkerung Österreichs bis zum Jahresbeginn. In die Schätzung gehen auch Annahmen darüber ein, dass der Impfschutz mit der Zeit auch abnimmt, eine durch Erkrankung aufgebaute Immunität nachlässt bzw. manche Menschen trotz Impfung nicht ausreichend geschützt sind, weil etwa ihr Immunsystem keine entsprechende Antwort aufgebaut hat.
Simulationsforscher Martin Bicher von der TU Wien rechnet im Interview mit PULS 24 mit fünfstelligen Infektionszahlen.
Demnach entspricht die Immunitätsrate gegenüber Omikron jetzt jenem Niveau, zu dem die Bevölkerung zuletzt in etwa im September vor der Delta-Variate geschützt war. Dieser Bevölkerungsanteil von um die 55 Prozent drücke die effektive Reproduktionszahl - also die durchschnittliche Anzahl an Personen, die ein Infizierter ansteckt - aber trotzdem merklich, nämlich um ungefähr 44 Prozent im Vergleich zu einer vollkommen ungeschützten Bevölkerung.
Laut Popper ist die Situation aktuell in etwa mit der im September vor der letzten Erkrankungswelle vergleichbar. Die Lage müsse man aber zweitgeteilt bewerten: Einerseits hat man es mit einer infektiöseren Variante zu tun, die aber offenbar seltener zu schweren Verläufen führt. Andererseits haben laut den Berechnungen Poppers bereits bis zu 90 Prozent der Österreicher schon in irgendeiner Weise im Verlauf der gesamten Pandemie mit dem Erreger in Form eines Impfstoffes oder Erkrankungen Kontakt gehabt. Auch wenn davon nicht annähernd alle Personen einen vollständigen Schutz gegenüber Omikron davongetragen haben, reduziert dies insgesamt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu besonders vielen schweren Covid-19-Verläufen führt.
Molekularbiologe Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie spricht mit PULS 24 über die Auswirkungen der Omikron-Variante.
"Diese Menschen haben in der sehr komplexen Art und Weise der Immunisierung einen gewissen Schutz aufgebaut - sind also nicht mehr 'vollnaiv'", betonte Popper. Dieser Schutz ist bei Personen kurz nach der Boosterimpfung auch gegenüber Omikron "enorm" - wohl bei über 90 Prozent -, in anderen Bevölkerungsgruppen ist er entsprechend niedriger. Unter den 90 Prozent schon exponierten Österreichern ist aber die Wahrscheinlichkeit, wirklich schwer zu erkranken, im Schnitt deutlich reduziert. Bei "nicht Geimpften und Genesenen" besteht kein solcher Schutz, deshalb seien auch Impfungen weiterhin so wichtig. Jedenfalls sei damit zu rechnen, dass zwar die Infektionsdynamik bei Omikron sehr hoch ist, "die Welle der Hospitalisierungen aber insgesamt viel niedriger sein wird", so der Experte.
Teststrategie anpassen
Eine Herausforderung sei es hier, dass Daten aus anderen Ländern durch viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst und dadurch die Hospitalisierungsrate nicht direkt auf Österreich zu übertragen ist. Dazu kommt, dass bei hohen Zahlen der positiv Getesteten schon ein geringerer Anteil ausreicht, um die Zahl der schwer Erkrankten in die Höhe gehen zu lassen. Das müsse man laut Popper genau beobachten.
Hier brauche es seitens der Politik nun eine klare Strategie zwischen dem "Moderieren" der Ausbreitungsdynamik und dem äußerst schwierigen Reduzieren dieser Dynamik. Eine Reduktion der Gesamtzahlen ist bei Omikron wegen der höheren Infektiosität, der schnelleren Ausbreitung und der in der neuen Analyse beschriebenen reduzierten Bevölkerungsimmunität sehr schwierig. Deshalb verlange die Omikron-Welle nun einerseits klare Kommunikation über Status und Ausblick sowie darüber, was mit welchen Schritten erreicht werden kann, und andererseits ein "vernünftiges Management". So wäre das "Moderieren" der Dynamik wichtig, um den Impffortschritt zu ermöglichen. Auf diese Weise könne man Erkrankungen zuvor kommen und die Anzahl schwerer Verläufe weiter reduzieren.
Im Interview mit PULS 24 geht Epidemiologin Eva Schernhammer davon aus, dass das Testsystem an seine Grenzen stoßen wird.
Weiters gehe es darum, die Teststrategie anzupassen, um die Quarantäneregelungen praktikabel und sicher zu gestalten und dennoch Engpässe an Personal, etwa in systemrelevanten Bereichen, zu verhindern. Die Teststrategie betreffe auch die Situation an den Schulen und Kindergärten und in anderen sensiblen Bereichen, um hier durch Screenings einen Schutz der Ungeschützten zu unterstützen. Nicht zuletzt müssen Prozesse im Gesundheitssystem adaptiert werden, um die Intensivstationsauslastung mit Covid-19-Patienten unter zehn Prozent zur senken und dann auch zu halten. So könne man aufgeschobene Therapien wieder ermöglichen und die "Long Covid"-Problematik angehen, so Popper.
Zusammenfassung
- Hätte man es noch mit der bis vor kurzem vorherrschenden Delta-Variante des SARS-CoV-2-Erregers zu tun, wären zu Jahreswechsel bereits 80 Prozent der Bevölkerung immunisiert, so das Team um den Simulationsforscher Niki Popper.
- Bei Omikron falle die Zahl aber nun "markant" auf lediglich 55 Prozent ab.
- Das müsse man laut Popper genau beobachten.
- Auf diese Weise könne man Erkrankungen zuvor kommen und die Anzahl schwerer Verläufe weiter reduzieren.