Fans von Celtic Glasgow schwenken im Stadion Palästina-FlaggenAPA/AFP

Brady bis LeBron: Die Sportwelt im Nahostkonflikt

Seit die Gewalt im Nahen Osten wieder überall medial präsent ist, beziehen Personen des öffentlichen Lebens Stellung dazu. Auch die Sportwelt positioniert sich teilweise und erntet dafür oft Kritik. "Man kann es nicht wirklich richtig machen", sagt dazu der Sportethiker Paul R. Tarmann zu PULS 24.

Nachdem vor mehr als einem Monat die Terrorgruppe Hamas Siedlungen und ein Musikfestival im Süden Israels überfiel und insgesamt 1.400 Menschen tötete, herrscht im Nahen Osten wieder Krieg. Israel antwortet mit Luftangriffen und nun auch einer Bodenoffensive im Gazastreifen, bei der laut palästinensischen Angaben mehr als 10.000 Menschen starben und laut UNO rund 70 Prozent der Bewohner:innen vertrieben wurden. Die Eskalation der Gewalt macht die Menschen weltweit betroffen, viele beziehen Stellung, auch die Sportwelt.

Die tunesische Tennisspielerin Ons Jabeur kämpfte nach einem Spiel bei den WTA-Finals mit den Tränen: "Es ist keine politische Botschaft, es ist Menschlichkeit. Ich möchte Frieden in dieser Welt", sagte sie in einem Interview, in dem sie auch bekannt gab, einen Teil ihres Preisgeldes für Palästinenser:innen spenden zu wollen. 

Palästina-Flaggen im Stadion

Vor allem in Fußballstadien wird immer wieder politisch Stellung bezogen - sei es als symbolische Aktion von Spielern oder auf der Tribüne. Laut den UEFA-Richtlinien ist es grundsätzlich verboten, Sportveranstaltungen für sportfremde Kundgebungen zu nutzen. Der symbolische Kniefall als Zeichen gegen Rassismus - den der Football-Spieler Colin Kaepernick weltberühmt gemacht hatte - fällt beispielsweise nicht darunter, erklärt die UEFA.

Der Ultras-Klub "Grüne Brigade" des schottischen Fußballvereins Celtic Glasgow solidarisierte sich anlässlich der neuerlichen Eskalation im Nahostkonflikt wiederholt mit Palästina. Zuletzt bei den Hearts of Midlothian im Gästeblock oder beim Champions-League-Spiel gegen Atlético Madrid.

Bereits 2014 musste der schottische Fußballverein 16.000 Pfund Strafe zahlen, weil seine Fans bei einem Match gegen den isländischen KR Reykjavik palästinensische Flaggen geschwenkt hatten. Erneute Strafen der UEFA nach den jüngsten Bekundungen sind wahrscheinlich.

"Ein Fußballverein und keine politische Organisation"

Für den Verein ist die Frage nach Politik im Stadion klar: "Celtic ist ein Fußballverein und keine politische Organisation", distanziert sich die Vereinsführung. "Politische Botschaften und Spruchbänder sind im Celtic Park oder bei einem Spiel von Celtic nicht willkommen. In einer Zeit des Verlusts und des Leids für viele Menschen ist es völlig unangebracht, dass eine Gruppe von Einzelpersonen den Celtic Park als Vehikel für solche Botschaften nutzt."

Eine Gratwanderung

Der Grat ist schmal, die Gräben oft tief. Eine einfache Antwort auf die Frage, ob Sport politisch ist - oder es vielleicht sogar sein muss - gibt es nicht, sagt Paul R. Tarmann, Experte für Sportethik an der Universität Wien und der KPH Wien/Krems: "Sport ist insofern politisch, als es ja nichts gibt, was nicht politisch verstanden werden kann, wenn man den Menschen an sich als politisches Wesen versteht", so Tarmann.

Andererseits hätten Menschen auch den Wunsch oder "gewissermaßen das Recht" auf eine unpolitische Positionierung. Der Sport habe da "eine gewisse Eigendynamik, eine Eigengesetzlichkeit, unabhängig von den tagespolitischen Themen", so der Sportethiker.

Für Tarmann macht es einen Unterschied, ob diese Botschaften der Anteilnahme auf Social Media oder vor Ort im Stadion stattfinden, Grund dafür ist das Publikum. Im Rahmen eines Wettkampfes würde man auch Leute erreichen, die sich vielleicht dazu entscheiden, auf Social Media keine politischen Inhalte zu konsumieren.

Social-Media-Postings contra Schweigeminute

Die American-Football-Profiliga (NFL) gedachte auf Social Media der israelischen Terroropfer: "Die NFL beklagt den Verlust unschuldiger Menschenleben in Israel und verurteilt jede Form von Terrorismus aufs Schärfste. Die Abscheulichkeit dieser Taten ist unfassbar, und wir trauern mit den Familien der Getöteten, Verletzten und noch Vermissten. Wir beten für den Frieden und werden uns immer gegen die Übel des Hasses stellen."

Beim Spiel der Baltimore Ravens gegen die Tennessee Titans im Londoner Tottenham Hotspur Stadium wurden auch die Fans zur Anteilnahme, bei einer Schweigeminute für die Opfer des Nahostkonflikts, eingeladen. In der Live-Berichterstattung waren in die Stille hinein jedoch vereinzelt "Free Palestine"-Rufe zu hören.

Die Frage nach dem Verhältnis zur Politik besteht nicht erst seit dem Social-Media-Zeitalter, sondern ist so alt wie der Sport selbst. "Die Olympischen Spiele in der Antike haben etwa ganz bewusst auf jede Politik verzichtet", erklärt der Sportethiker. Für die Spiele unterbrachen die teilnehmenden Stadtstaaten sogar ihre Kriege.

Zwischen Following und Verantwortung

Nicht nur Vereine, auch einzelne Athlet:innen beziehen online zu den Kriegsgeschehnissen Stellung. Von Personen der Öffentlichkeit mit großer Reichweite wird oft verlangt, sich klar und prägnant inhaltlich zu positionieren, obwohl bei den betreffenden Debatten oft eher Differenzierung und Feingefühl nötig wären.

Der Basketball-Superstar und aktive Philanthrop LeBron James meldete sich etwa auf Twitter (inzwischen "X") zu Wort: "Die Verwüstungen in Israel sind tragisch und inakzeptabel. Das Morden und die Gewalt gegen unschuldige Menschen durch die Hamas ist Terrorismus."

Die Kommentare unter dem Posting waren über die Stellungnahme entsetzt. Der Vorwurf: LeBron würde die palästinensischen Opfer völlig ignorieren. Die eigene Erschütterung "richtig" auszudrücken, wenn man vielleicht sogar öffentlichen Druck verspürt, sich zu äußern, ist komplex, sagt der Sportethiker Tarmann.

Die Meinungsfreiheit sei selbstverständlich wichtig und "nicht zu unterschätzen". Gleichzeitig könne man Expertise etwa zum Nahostkonflikt von Sportler:innen oder Sportverbänden nicht immer erwarten. "Wo fängt die eigene Verantwortung an, dass man sagt, man muss zu Menschenrechtsverletzungen etwas sagen und wo hört aber die Verantwortung auf, als man keine Kompetenz hat, darüber zu sprechen?", so der Experte.

Auch Football-Legende Tom Brady hat sich auf Social Media zur Gewalt in Nahost geäußert: "Es sollte keine Grauzone geben, wenn es darum geht, terroristische Angriffe der Hamas auf israelische Bürger zu verurteilen", schreibt er etwa auf Instagram. "Ich bin untröstlich über all die unschuldigen Menschen, die in dieser Woche in Israel und Gaza ihr Leben verloren haben."

Im Gegensatz zu LeBron James hat Brady die Kommentarfunktion unter seinem Posting deaktiviert.

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Für den Sportethiker zeigt sich an diesen Beispielen auch ein ganz generelles Problem: Sind das Internet bzw. Social Media demokratiefördernd oder tragen sie zur Radikalisierung bei?

Die Polarisierung scheint vorprogrammiert: "Man kann es nicht wirklich richtig machen. Denn selbst wenn man beide Opfer in einem Post erwähnt, auf israelischer wie auf palästinensischer Seite, wird man dafür kritisiert, alle in einen Topf zu werfen und nicht Stellung zu nehmen, wer Täter und wer Opfer ist", so Tarmann.

Ist Sport noch relevant?

Angesichts der schlimmen Bilder aus Israel und Palästina wirkt der Ausgang eines Champions-League-Spiels unbedeutend. Muss man sich schuldig fühlen, wenn man Fußball schaut, während anderswo in der Welt Menschen leiden?

Nein, sagt Sportethiker Tarmann: "Es wäre schade, in einer Welt ohne Sport, ohne Kunst, ohne Kultur zu leben, wo es nur um das Notwendigste zum Überleben, um die Grundbedürfnisse ginge." Trotzdem findet Sport nie in einem luftleeren Raum statt: "Ich würde sagen, ein gutes Sportverständnis hat auch die Möglichkeit oder die Aufgabe, Verantwortung bei globalen Ereignissen zu übernehmen."

ribbon Zusammenfassung
  • Die Gewalt im Nahen Osten beschäftigt nicht nur Staaten und Politik, sondern auch den Sport.
  • Immer wieder beziehen einzelne Sportler:innen, Fans oder Organisationen Stellung zu politischen Ereignissen - und müssen dafür oft Kritik einstecken.
  • "Man kann es nicht wirklich richtig machen", sagt dazu der Sportethiker Paul R. Tarmann zu PULS 24.