Southgate gegen Mancini im EURO Finale: Pragmatismus fordert Coolness heraus
"Elf Freunde müsst ihr sein." Dieses Mantra haben Roberto Mancini und Gareth Southgate verinnerlicht. Auf dem Weg ins Finale der Fußball-Europameisterschaft formten beide ihre Teams zu echten Einheiten, in denen persönliche Eitelkeiten hintenangestellt werden, und hinter denen ganze Nationen vereint wurden.
Italiens Teamchef Mancini hatte den Hebel bei seinem Amtsantritt 2018, als die "Squadra Azzurra" nach der verpassten Qualifikation für die WM in Russland am Tiefpunkt angelangt war, zunächst beim Trainerteam angesetzt. Der 56-Jährige hat sich mit vertrauten Menschen umgeben. Mit Attilio Lombardo und Gianluca Vialli gehören zwei damalige Teamkollegen von Sampdoria Genua zum engsten Kreis. Vialli und Mancini, die als "gemelli del gol" (Tor-Zwillinge) in den 1990er-Jahren Meisterschaften und Pokale in die Hafenstadt geholt hatten, kennen einander seit über 40 Jahren.
"Mitglieder im Trainerstab waren Champions"
"Vialli und die anderen Mitglieder im Trainerstab waren Champions", erzählte Federico Chiesa. "Das ist sehr wichtig für unsere großartigen Leistungen." Chiesa ist einer von über 70 Spielern, die Mancini in den letzten drei Jahren bei den "Azzurri" ausprobiert hatte. Dennoch hielt er bemerkenswerterweise am Kern des Teams von 2017 fest, sodass Haudegen wie Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci weiterhin zu den Stützen gehören. Gemeinsam mit Keeper Gianluigi Donnarumma haben sie "der gesamten Mannschaft Sicherheit gegeben", erklärte Ex-Nationaltrainer Antonio Conte.
Die Zusammenarbeit zwischen dem mit 22 Jahren noch immer jungen Schlussmann und seinen routinierten Vordermännern steht sinnbildlich für die optimale Mischung, welche Mancini zusammengestellt und zu einer Einheit geformt hat, die den Spaß am Spiel gefunden hat. Die "Squadra" ist mit ihrem neuen offensiven Stil seit 33 Spielen ungeschlagen, erzielt im Schnitt fast 2,5 Tore pro Spiel. "Ich habe noch nie mit so einem Lächeln gespielt", berichtete Lorenzo Insigne. "Es ist, wie mit Freunden unter der Woche zu spielen." Insigne war es auch, der nach dem Finaleinzug mit dem Trikot des verletzten Leonardo Spinazzola jubelte.
"König der Coolness"
Der "König der Coolness" (Sunday Mail) Mancini ist prädestiniert für den Schulterschluss einer Mannschaft mit der ganzen Nation. Durch seinen Geburtsort in der Provinz Ancona in Mittelitalien entgeht er dem ewigen Nord-Süd-Konflikt, eine mangelnde Spielerkarriere bei den großen Vereinen bietet keine Angriffsfläche. Das Auftreten seiner Elf bei der EM erinnert an eine Passage aus seinem Buch, das der 36-malige Teamspieler gemeinsam mit Freund und Kollege Vialli über die Jahre in Genua geschrieben hatte: "Eine Mannschaft aus Freunden, die Knochen, Schweiß, Blut und Tränen investiert haben." Der EM-Triumph "kann eine Wiedergeburt für den Fußball und das ganze Land sein", hatte Mancini bereits vor Turnierbeginn angekündigt.
Auf der Gegenseite steht am Sonntag ein Trainer, dessen Spielidee an Pragmatismus nicht zu übertreffen ist. Gareth Southgate hat das Finale in England mit nur einem Gegentor im gesamten Turnierverlauf erreicht. Anfangs hatte sich der 50-Jährige, der vor seinem Debüt 2016 bereits in verschiedenen Funktionen im englischen Verband tätig gewesen war, aufgrund der destruktiven Spielweise viel Kritik anhören müssen. Doch Southgate hört zwar gut zu, aber nicht immer darauf, was andere sagen.
Gegen Rassismus und für einen Kniefall
"Höflich", "bedacht", "clever" sind häufige Worte, mit denen der 57-malige Nationalspieler umschrieben wird. Wie kürzlich gegenüber der BBC, als Southgates damaliger Jugendtrainer bei Crystal Palace erzählte, er sei aufgrund seiner Höflichkeit mal für einen Trainerjob abgelehnt worden. Obwohl ihm seine eloquenten und diplomatischen Presseauftritte häufig Häme eingebracht haben, blieb Southgate sich treu. "Er hat Prinzipien", meinte Alan Smith.
Eines dieser Prinzipien ist das Vorleben und die Vermittlung sozialer Verantwortung. "Ich habe nie geglaubt, dass wir uns nur dem Fußball widmen sollten", sprach Southgate vor dem Turnier, als er einen Brief an die gesamte Nation richtete, in dem er sich gegen Rassismus und für den Kniefall aussprach. Zuvor hatte Southgate bei Co-Trainer Chris Powell angefragt, wie es sei, Rassismus zu erleben, und wie es den Spielern damit ergehe. Auch diese müssten als Vorbilder "den Einfluss, den sie auf die Gesellschaft haben, wahrnehmen".
"Noch nie stolzer, ein Engländer zu sein"
Durch den Einsatz zahlreicher Profis außerhalb der "Big Six", etwa von Everton, Leeds oder West Ham, hat der ehemalige Innenverteidiger eine Identifikation der Nation mit seiner Elf geschaffen. Von öffentlichen Rufen nach Stars wie Marcus Rashford oder Jadon Sancho lässt er sich nicht irritieren. Beleidigte Stimmen dieser Spieler sucht man jedoch vergebens.
Southgate hat es analog zu Mancini geschafft, eine funktionierende Einheit zu schaffen und sein Team in den Vordergrund zu rücken. Dabei werden er und seine Schützlinge nicht müde zu betonen, "was es für die Mannschaft und für dieses Land bedeutet". Auch vor dem Endspiel appellierte der Teamchef an den Nationalstolz. "Für eine Insel unserer Größe haben wir einen unglaublichen Einfluss auf die Welt, und den müssen wir uns auf positive Art und Weise bewahren", sagte Southgate der Zeitung "Daily Telegraph". Er sei noch nie stolzer gewesen, Engländer zu sein.
Zusammenfassung
- Beide Trainer haben ihre Teams zu Einheiten geformt und setzen auf Einheit mit ihren Nationen.