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Fußballwelt trauert um "Strauß von Zeljo" Ivica Osim

Er hat den Fußball um die Jahrtausendwende mit Bescheidenheit und Intellekt geprägt. Ivan "Ivica" Osim war einer der erfolgreichsten Trainer, die jemals in Österreich arbeiteten und dennoch mehr als das - seine philosophische Herangehensweise an den populärsten Sport der Welt und das ständige Ringen um Frieden in seiner Heimat brachten ihm den Ruf eines Fußball-Weisen ein, der weit über den Tellerrand hinausblickte. Am 1. Mai ist Osim im Alter von 80 Jahren verstorben.

Dem SK Sturm öffnete der traurige "Strauß von Zeljo" neue Welten. Der Bosnier schenkte den Grazern den ersten Meistertitel (1998), dessen erfolgreiche Verteidigung (1999), drei Cupsiege (1996, 1997, 1999) und drei rauschende Teilnahmen an der Champions League (1998, 1999, 2000), die in Österreich lange unerreicht waren.

Zweite Heimat: Graz 

Graz ist, wie Osim immer betont hat, für ihn "zweite Heimat" geworden. Sein Haus im Stadtteil St. Peter hatte Sturms Jahrhunderttrainer schon länger kaum verlassen. Von einem Schlaganfall im Alter von 66 Jahren - beim Fußballschauen vor dem Fernseher - hat sich vor allem sein Körper nie mehr ganz erholt. Doch bis vor einigen Tagen ging es Osim den Umständen entsprechend gut, "sein" geliebtes Achterl steirischen Muskateller hat er bis zu seinem Tod nach dem Signieren von Fan-Utensilien getrunken.

Dementsprechend überraschend kam die Trauermeldung - auch für die schwarz-weiße Entourage, die trotz Regen auf den Grazer Hausberg Schöckl gepilgert war, um Sturms Geburtstag und den Status als Vizemeister zu feiern. Dann vermeldete Club-Präsident Christian Jauk Osims Tod mit Tränen in den Augen. "Wenn wir gemeinsam trauern, macht es die Sache leichter." Der Größte von Sturm sei gegangen. "Er war eine Persönlichkeit, nicht nur im Fußball und im Sport, sondern weit darüber hinaus. Die Sturm-Familie trauert, wird zusammenhalten und ihn gebührend ehren." 

Dass Osim just am 1. Mai, dem Gründungsdatum seines Herzensclubs, verstarb, wird eine weitere schwarz-weiße Anekdote werden. Er schenkte den Grazern unzählige Bonmots, darunter die für viele Fans schönste: "Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben, alles was weiß ist auch."

"Jeder Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag" 

Der Horizont des studierten Mathematikers und Philosophen war immer breit und doch auf ein im Schnitt 105 Meter langes und 68 Meter breites Rechteck konzentriert. Jeder Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag, hat Osim einmal gesagt, und danach lebte er. Auf zwei TV-Bildschirmen schaute er auch zuletzt noch zeitgleich Fußball-Matches, obwohl er die fortschreitende Kommerzialisierung zutiefst bedauerte. "Der heutige Fußball ist FIFA und Real Madrid. Alles geht ums Geld. Schade."

Erfolg bedeutete für Osim stets mehr als die Anzahl der Trophäen im Schrank. "Nur mutige Mannschaften schreiben Geschichte. Es gibt immer die Möglichkeit, etwas mehr Selbstbewusstsein zu haben als der Gegner und etwas zu probieren." Angeleitet vom Offensiv-Apostel glänzte Sturm mit mutigem Kombinationsfußball, Prunkstück der Mannschaft war das "magische Dreieck" mit Ivica Vastic, Mario Haas und Hannes Reinmayr, das von Osim alle Freiheiten erhielt und dies in der Hoch-Zeit Ende der 1990er-Jahre mit spektakulären Partien am laufenden Band dankte. 

Mario Haas sagte gegenüber der "Kleinen Zeitung": "Er war grandios und einfach genial - als Trainer und Mensch. Er hat bei Sturm eine ganze Generation geprägt. Unter Osim haben sich alle weiterentwickelt. Er war streng, hat uns aber auch viele Freiheiten gelassen. Wir alle bei Sturm werden ihn vermissen. Dass er ausgerechnet am 1. Mai zu Sturms Geburtstag gestorben ist, ist Wahnsinn. Ich denke, das kommt irgendwie von oben. Osims Todestag ist Sturms Geburtstag, unglaublich."

Hass-Liebe zu Kartnig, Cuptitel in Japan 

Dem Meister des Understatements kam selbst in vermeintlich großen Glücksmomenten bestenfalls ein verschmitztes Grinsen aus. Auch damit war es zumeist vorbei, sobald sich Hannes Kartnig näherte, um seinen Trainer kameragerecht abzubusseln. Mit dem damaligen Club-Präsident verband Osim eine Art Hass-Liebe, eine stürmische Beziehung mit vielen Höhen und Tiefen, die 2002 endgültig zerbrach: Immer harscher ausfallende öffentliche Kritik von Kartnig veranlasste Osim, das Traineramt nach acht Jahren aufzugeben - es folgte eine Klage wegen Mobbings, Osim bekam schließlich 173.822 Euro zugesprochen. Das Geld spendete er für wohltätige Zwecke.

Auch in Osims Heimat, Bosnien und Herzegowina, ist die Anteilnahme groß. Dieses Bild zeigt das Rathaus der Hauptstadt von Sarajevo, auf das am Sonntag ein Bild von Ivica Osim projiziert wurde. 

Obwohl das Band zwischen den Beiden seitdem als zerschnitten gilt, äußert sich Kartnig in einem emotionalen Statement zur Todesmeldung seines langjährigen Erfolgstrainers: "Jetzt gibt es nur noch einen von den drei Grazer Musketieren. (Heinz) Schilcher ist vor Jahren verstorben, jetzt Osim. Das tut mir sehr weh. Osim war ein ganz großer Trainer. Er hat sogar ein Angebot von Real Madrid abgelehnt, er wollte in Graz bleiben. Osim war ein ganz besonderer Mensch. Nur eines konnte er leider nicht. Er hat nie seine Freude zeigen können. Er hat den Umgang mit den Spielern beherrscht. Osim hat Österreich und die Steiermark in der ganzen Welt bekannt gemacht und er hat Graz geliebt."

Seine Trainerkarriere setzte Osim von 2002 bis 2006 beim japanischen Club JEF United fort. Auch dort traf er auf eine erfolglose Truppe, die er zum Cupsieger machte. Die Asiaten vertrauten dem Gelehrten nur allzu gern 2006 den Teamchef-Posten an, doch kurz darauf ereilte ihn der Schlaganfall. Osim sollte seiner Heimat trotz allem noch einmal einen wertvollen Dienst erweisen. Als Chef eines "Normalisierungs-Komitees" gelang Osim 2011 die Aufhebung der internationalen Sperre des bosnischen Verbandes, drei Jahre später nahm das Land an der WM teil.

Dank seiner fußballerischen Fähigkeiten hatte sich Osim früh einen Namen gemacht. Er brillierte als technisch beschlagener Kicker bei Zeljeznicar Sarajevo, dem Eisenbahnerclub, und wurde jugoslawischer Teamspieler, ehe der Wechsel nach Frankreich erfolgte. Aufgrund seiner virtuosen Spielweise, seines tänzelnden Stils, bekam er den Spitznamen "Strauß von Zeljo" verpasst.

Krieg setzte Osim zu 

Wie gut Osim war, zeigt folgende Anekdote: Als 1969 der FC Santos mit Pele in Sarajevo gastierte, um gegen eine dortige Stadtauswahl zu spielen, war Osim verletzt. Als Pele davon Wind bekam, soll er gesagt haben: "Wenn Osim nicht spielt, spiele auch ich nicht." Osim wurde fitgespritzt und bekam nach dem 1:1 Peles Trikot. Nicht er, sondern Brasiliens Fußball-König soll Osim nach dem Trikottausch mit der Nummer 10 gefragt haben.

Osim wuchs in einer atheistischen Arbeiterfamilie in Sarajevo auf und heiratete eine Muslima, mit der er drei Kinder bekam. Aber die multikulturelle Idylle in der Olympiastadt von 1984 wurde immer brüchiger. Als das ehemalige Jugoslawien im Bürgerkrieg versank, war Osim Teamchef der Nationalmannschaft, die damals mit herausragenden Kickern gespickt war. Das Land wäre 1992 als Mitfavorit zur EM gefahren, wurde aufgrund der Kriegswirren aber ausgeschlossen.

Am 23. Mai 1992, als während der Einkesselung Bomben auf seine geliebte Geburtsstadt fielen, unternahm Osim einen tieftraurigen Protest. Unter Tränen trat er auf einer Pressekonferenz in Belgrad als Teamchef zurück. "Das ist das Einzige, das ich für die Stadt tun kann, damit ihr euch auch daran erinnert, dass ich in Sarajevo geboren wurde. Und ihr wisst, was dort geschieht." Das Trauma des Krieges sollte Osim sein ganzes Leben lang verfolgen, den Nationalismus verstand er nie. "Ich habe damals mein Lächeln verloren", gestand er Jahre später. Die Liebe für den Fußball blieb.

Politik und Sport traueren um "Jahrhunderttrainer" 

Die Meldung von Osims Tod löste am Sonntag eine Welle der Anteilnahme aus. Neben zahlreichen Bundesliga-Clubs, dem ÖFB und ehemaligen Weggefährten meldete sich auch Sportminister Werner Kogler via Twitter zu Wort. 

ribbon Zusammenfassung
  • Er hat den Fußball um die Jahrtausendwende mit Bescheidenheit und Intellekt geprägt. Ivan "Ivica" Osim war einer der erfolgreichsten Trainer, die jemals in Österreich arbeiteten und dennoch mehr als das - seine philosophische Herangehensweise an den populärsten Sport der Welt und das ständige Ringen um Frieden in seiner Heimat brachten ihm den Ruf eines Fußball-Weisen ein, der weit über den Tellerrand hinausblickte. Am 1. Mai ist Osim im Alter von 80 Jahren verstorben.