UNO-Generalsekretär: Lage in Rafah auf Messers Schneide
"Ein massiver Bodenangriff in Rafah würde zu einer humanitären Katastrophe epischen Ausmaßes führen und unsere Bemühungen zur Unterstützung der Menschen angesichts der drohenden Hungersnot zunichtemachen." Mehr als eine Million Palästinenser suchten in Rafah Schutz, die Hälfte davon Kinder, gab Guterres zu bedenken. Humanitäre Helfer in der Grenzstadt berichteten von verheerenden Zuständen. Krankenhäuser müssten innerhalb von 24 Stunden ihre Dienste einstellen, wenn nicht dringend benötigtet neuer Treibstoff geliefert werde.
Die israelischen Streitkräfte waren in der Nacht auf Dienstag mit Bodentruppen in die östlichen Außenbezirke von Rafah vorgerückt. Nach UNO-Angaben vom Freitag flohen seitdem 110.000 Menschen aus der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt an der Grenze zu Ägypten. Das militärische Vorgehen nährt Befürchtungen, dass dies der Beginn einer Großoffensive auf die Stadt sein könnte. Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, warnen das Land eindringlich vor einem derartigen Schritt. Auch die deutsche Regierung sieht das kritisch. Auslöser des Gaza-Kriegs war ein Massaker mit rund 1.200 Toten, das Terroristen der islamistischen Hamas und anderer Gruppierungen am 7. Oktober in Israel verübt hatten.
Frankreich forderte Israel auf, seinen Militäreinsatz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen unverzüglich zu beenden. Mit dem seit Wochenbeginn laufenden Militäreinsatz drohe eine katastrophale Situation für die Zivilbevölkerung in Gaza, die bereits mehrfach vertrieben worden sei und für die es in Gaza keine sicheren Gebiete mehr gebe, teilte das Außenministerium in Paris am Freitagabend mit. Israel solle den Verhandlungsfaden wieder aufnehmen, dies sei der einzige Weg zu einer sofortigen Freilassung der Geiseln und zu einer dauerhaften Waffenruhe.
Frankreich forderte Israel erneut auf, alles zu tun, um den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten und die Einfuhr humanitärer Hilfe im Einklang mit dem Völkerrecht und den Forderungen des Internationalen Gerichtshofs sicherzustellen. Wie das Außenministerium in Paris weiter mitteilte, müsse Israel den Grenzübergang Rafah nach Ägypten sofort wieder öffnen, der sowohl für den Zugang der Zivilbevölkerung zu humanitärer Hilfe als auch für die Ausreise der am stärksten gefährdeten Menschen aus dem Gazastreifen unerlässlich sei.
Frankreich verurteilte außerdem die Angriffe israelischer Siedler auf einen jordanischen Hilfskonvoi und forderte die israelischen Behörden auf, der Gewalt der Siedler ein Ende zu setzen. Auch verurteile Frankreich den Angriff der Hamas auf den Grenzübergang Kerem Shalom.
Auch die USA bekräftigten ihre Befürchtungen angesichts eines israelischen Angriffs auf Rafah - sehen aber bisher keine großangelegte Offensive in der Stadt im südlichen Gazastreifen. "Wir beobachten das natürlich mit Sorge", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, am Freitag in Washington. "Aber ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass das, was wir hier in den letzten 24 Stunden gesehen haben, auf eine breite, große (oder) größere Bodenoperation hindeutet", so Kirby. US-Präsident Joe Biden drohte Israel im Falle einer Großoffensive in Rafah damit, manche Waffenlieferungen zu stoppen.
"Wir fordern die Israelis erneut auf, den Grenzübergang unverzüglich für humanitäre Hilfe zu öffnen. Diese Hilfe wird dringend benötigt", sagte Kirby weiter. Ebenfalls forderten die USA Israel abermals auf, "so vorsichtig, präzise und differenziert wie möglich vorzugehen, um das Leben unschuldiger Menschen nicht noch mehr zu gefährden, als es ohnehin schon der Fall ist".
Der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu droht ungeachtet heftiger internationaler Kritik seit Monaten mit einer Bodenoffensive in Rafah. Israel sieht Rafah als die letzte Bastion der Kämpfer der Hamas. In der Grenzstadt zu Ägypten haben mehr als eine Million Menschen Zuflucht vor den Kämpfen gesucht. Nach UNO-Angaben sind 110.000 Menschen geflohen, seit Israel die Bevölkerung des Ostens der Stadt zur Evakuierung aufgerufen hat.
Der militärische Anführer der Hamas im Gazastreifen, Yahya al-Sinwar, hält sich einem israelischen Medienbericht zufolge entgegen bisheriger Vermutungen nicht in Rafah im Süden des Gebiets versteckt. Das sagten zwei mit der Angelegenheit vertraute Beamte der "Times of Israel", wie die Zeitung in der Nacht auf Samstag berichtete. Die Beamten waren demnach nicht in der Lage, mit Sicherheit zu sagen, wo sich Sinwar derzeit aufhält. Nach jüngsten nachrichtendienstlichen Einschätzungen dürfte sich der Hamas-Anführer aber in unterirdischen Tunneln in der Gegend von Khan Younis, rund acht Kilometer nördlich von Rafah, versteckt halten. Israels Armee hatte sich vor einem Monat aus Khan Younis zurückgezogen.
Israel hatte sich zu einem Ziel seines Krieges im Gazastreifen gesetzt, Sinwar und seinen Stellvertreter Mohammed Deif gefangen zu nehmen oder zu töten. Im März bestätigte die Armee die Tötung des dritthöchsten Hamas-Führers im Gazastreifen, Marwan Issa, bei einem Luftangriff. Die Nummer eins und zwei, Sinwar und Deif, seien hingegen unauffindbar, schrieb die Zeitung - trotz wiederholter Behauptungen israelischer Beamter, die Armee sei ihnen auf den Fersen.
Sinwar gilt als maßgeblicher Planer des Massakers in Israel vom 7. Oktober vergangenen Jahres. Damals wurden rund 1.200 Israelis getötet und rund 250 Menschen nach Gaza verschleppt. Der Terrorüberfall war Auslöser des laufenden Gaza-Krieges.
Zusammenfassung
- UNO-Generalsekretär António Guterres warnt vor einem massiven Bodenangriff in Rafah, der zu einer humanitären Katastrophe führen könnte.
- Über eine Million Palästinenser, darunter die Hälfte Kinder, haben in Rafah Zuflucht gesucht.
- Seit dem Vorrücken der israelischen Streitkräfte sind 110.000 Menschen aus Rafah geflohen.
- Frankreich und die USA fordern Israel auf, den Militäreinsatz zu beenden und humanitäre Hilfe zu ermöglichen.
- Krankenhäuser in Rafah stehen kurz davor, ihre Dienste mangels Treibstoff einzustellen.