Uniko-Chef: Polit-Reaktion auf Unwetter "Bürgerverhöhnung"
Das Ausmaß an Leugnung des Klimawandels und seiner Auswirkungen auf immer größere Bereiche des Lebens sowie die "Kriminalisierung" von Menschen, die darauf aufmerksam machen, seitens politischer Kräfte etwa aus der FPÖ oder ÖVP, lasse ihn an eine "Realsatire" denken, wo beim Blick nach oben der sich nähernde Komet schon mit freiem Auge zu sehen ist, man aber kalmiert und darum bittet, einfach nicht hinaufzusehen. Es scheint, als würden hier "die Gesetze der Logik außer Kraft gesetzt", sagte der Rektor der Universität Klagenfurt: "Das ist Realitätsverleugnung, wie sie bei (George, Anm.) Orwell im Buche steht."
Die FPÖ leugne den menschengemachten Klimawandel "einfach zur Gänze. Der Bundeskanzler beruft einen 'Verbrennergipfel' ein - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Gleichzeitig ist dann Heulen und Zähneknirschen bei der jetzigen Flutkatastrophe. Man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und sagt: So etwas war ja noch nie da. Damit hat ja keiner rechnen können", so Vitouch.
Das sei "unfassbar", wenn man sich vor Augen halte, wie eindringlich die Wissenschaft seit Jahrzehnten vor exakt solchen Entwicklungen gewarnt habe. In den vergangenen etwas mehr als 20 Jahren habe man in Ostösterreich drei "sogenannte Jahrhunderthochwasser" erlebt. Dazu kommen die extremen Überflutungen in Kärnten und der Steiermark im vergangenen Jahr.
In und aus der akademischen Gemeinde heraus werde das Thema wieder und wieder deutlich angesprochen, es gebe laufende Weiterentwicklungen zu Hochwasserschutz, Vorhersagemodellen, Frühwarnsystemen und zu den Auswirkungen der Erderhitzung auf das Land. Vitouch: "Wissenschaft schützt ja auch in vielfältiger Hinsicht." Es handle sich aber auch um ein psychologisch-sozialwissenschaftliches Thema, "weil es um diese Realitätsverleugnung geht, bei der Teile der Politik bereitwillig mitspielen", betonte der uniko-Chef.
Die Wissenschaft sei seit Jahrzehnten in der Rolle der Kassandra, "die die Dinge, die da kommen, klar sieht und mittlerweile ziemlich präzise vorhersagt". Gleichzeitig werde sie wie in der griechischen Mythologie jedoch vielfach nicht gehört: "Das erzeugt eigentlich erlernte Hilflosigkeit, wie man als Psychologe sagen würde."
Dass man sich offenbar vielerorts im Umgang mit der quälenden Realität dafür entscheide, "irgendeine bequeme andere Erklärung" zu glauben, sei eine Sache und diene der Vermeidung kognitiver Dissonanz: "Allerdings, wenn dann der Keller oder das Erdgeschoß unter Wasser stehen, dann funktionieren Umwertungsmechanismen und Wegschieben nicht mehr", so der Psychologe.
Offenbar müsse die Wissenschaft noch entschiedener auftreten, denn es brauche Maßnahmen auf "kurzfristiger, mittel- und langfristiger Ebene" - und nicht einfach nur mehr Hochwasserschutz, wie es etwa Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in den Raum gestellt hat. Vitouch: "Man muss die Augen öffnen, sich die Dimension des Problems vor Augen halten und nicht nur Symptombekämpfung betreiben. Es ist wie bei der Gesundheit: Ganz ohne Prävention und ein paar 'Lifestyle changes' wird es nicht gehen. Das weiß mittlerweile ja fast jedes Kind."
Letztlich greife auch das Argument nicht, dass einem "Naturschutz" politisch irgendwie suspekt ist: "Es geht um Menschenschutz. Es geht nicht um Froschstreichler und Baumliebhaber. Es geht um den menschlichen Lebensraum in Stadt und Land." Man müsse sich vielleicht einer biblischen Sprache bedienen, "damit es die Landeshauptfrau auch versteht: 'Mene mene tekel', die flammenden Zeichen sind an der Wand!"
Wenig Freude mit der Kritik des uniko-Chefs hat die ÖVP: Deren Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager ortete in einer Aussendung darin den Versuch, "politisches Kleingeld" zu wechseln. Seit Jahrzehnten werde in den Hochwasserschutz investiert, und die Ereignisse der letzten Tage wären von einer "Extremwetterzone" verursacht worden, die auch Nachbarstaaten getroffen habe. "Deshalb ist es mehr als unseriös, hier Teile der österreichischen Politik zu kritisieren."
Zusammenfassung
- Oliver Vitouch, Präsident der Universitätenkonferenz, kritisiert die politische Reaktion auf das Hochwasser und den Klimawandel als 'Scheinheiligkeit und Doppelzüngigkeit' und spricht von einer 'bitteren Verhöhnung der Bürgerinnen und Bürger'.
- In den letzten 20 Jahren gab es in Ostösterreich drei 'Jahrhunderthochwasser' und im letzten Jahr extreme Überflutungen in Kärnten und der Steiermark, vor denen die Wissenschaft seit Jahrzehnten warnt.
- Die ÖVP weist die Kritik zurück und sieht darin den Versuch, 'politisches Kleingeld' zu wechseln, während Vitouch entschlossene Maßnahmen auf kurzfristiger, mittel- und langfristiger Ebene fordert.