APA/Wolfgang Huber-Lang

Umweltausschuss des EU-Parlaments gegen Renaturierungsgesetz

Das umstrittene EU-Renaturierungsgesetz hat am Dienstag im zuständigen Umweltausschuss des Europäischen Parlaments in Brüssel keine Mehrheit gefunden. Bei der Fortsetzung des Abstimmungsmarathons von 15. Juni ging am Vormittag die finale Abstimmung über zahlreiche zuvor angenommenen Kompromisse 44 zu 44 aus. Das bedeute, dass dem Plenum des EU-Parlaments die Ablehnung des Kommissionsvorschlags empfohlen werde, sagte Ausschussvorsitzender Pascal Canfin.

Der liberale französische Abgeordnete sorgte im Anschluss bei einer Pressekonferenz für Aufsehen. Ein Drittel der Stimmen der Europäischen Volkspartei (EVP), die sich in den vergangenen zwei Monaten eindeutig gegen das Gesetz positioniert und heute geschlossen dagegen gestimmt habe, sei von Nicht-Ausschuss-Mitgliedern abgegeben worden. Drei Viertel der stattdessen votierenden EU-Abgeordneten stammten aus dem Agrarausschuss, der bereits den Gesetzesvorschlag abgelehnt hat. Zudem sei die CDU/CSU-Delegation überproportional vertreten gewesen. "Es war eine ganz klare Manipulation der Abstimmung durch Manfred Weber", den EVP-Vorsitzenden, so Canfin. Wäre die ganze Bandbreite an Haltungen der EVP-Abgeordneten auch in der Abstimmung repräsentiert worden, wäre es angenommen worden.

Der Manipulationsvorwurf wurde umgehend von den deutschen EVP-Parlamentariern Christine Schneider und Peter Liese zurückgewiesen. Man habe heute tatsächlich viele Veränderungen bei den Abgeordneten gehabt, gab Liese zu. "Wir wollten auf der sicheren Seite sein." Es habe einige Fraktionsmitglieder gegeben, die sich unsicher waren und selbst darum gebeten hätten, ersetzt zu werden. Canfin habe sich parteiisch verhalten und sei der schlechteste Ausschussvorsitzende, den er je erlebt habe, so Liese. Die EVP habe den Verhandlungstisch über das Gesetz verlassen, als Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans begonnen habe, Druck auf Abgeordnete auszuüben, sagte Schneider.

Timmermans zeigte sich am Dienstag im Gespräch mit österreichischen Journalisten trotzdem optimistisch, dass es noch zu Verhandlungen zwischen EU-Rat und dem Europaparlament nach dem geplanten Votum im Plenum am 11. Juli kommen wird. Ein neuer Vorschlag sei für die EU-Kommission derzeit keine Option. "Natur und Biodiversität sind sehr eng mit Klima verknüpft. Wenn es nicht gelingt, dass sich die Natur erholt, erreichen wir auch die Klimaziele nicht, die Natur muss sehr viel CO2 aufnehmen", warnte Timmermans.

Der EU-Kommissionsvize zeigte sich überzeugt, dass die EU ihre Klimaziele schaffen könne. Die radikalen Rechten würden daraus aber "einen Kulturkrieg" machen. Es liege an der EVP, dies zu verhindern. Außerdem kritisierte Timmermans, dass in Schweden, Finnland und Italien rechtsgerichtete Parteien an der Macht seien, die ganz grundsätzlich gegen den Klimaschutz seien. "Schaut mal auf die Wissenschaft!", forderte der niederländische Sozialdemokrat. Dies gelte auch für die Waldbewirtschaftung. "Ein Wald, der stirbt, wird nicht wirtschaftlich erfolgreich sein."

Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law), mit dem die Biodiversität und die CO2-Bilanz verbessert werden sollen, gilt neben dem neuen Pestizidgesetz (Sustainable Use Regulation - SUR) als einer der wesentlichen noch offenen Bausteine des "Green Deal" der Kommission von Ursula von der Leyen. Damit möchte die EU auf die Herausforderungen von Klimawandel und Artensterben reagieren. Man sei keineswegs gegen den Green Deal an sich und habe bereits unzählige Gesetzesvorschläge dazu angenommen oder in Arbeit, sagte Liese. "Der Green Deal ist gut, aber hier übertreibt die Kommission. Das Renaturierungsgesetz ist schlecht. Es muss ein grundlegend neuer Vorschlag dafür auf den Tisch."

Die EVP sieht in dem Kommissionsvorschlag eine praxisfremde und bürokratielastige Überregulierung, eine Gefährdung der Ernährungssicherheit und der bäuerlichen Einkommen. Befürworter sehen in dem Gesetz einen wichtigen Baustein eines unbedingt notwendige Systemumbaus, der langfristig Natur und Ernährung gleichermaßen sichert.

Der spanische Ausschuss-Berichterstatter Cesar Luena (SD) zeigte sich nach der Abstimmung erzürnt darüber, dass ein so wichtiges Gesetz an parteitaktischen Überlegungen zu scheitern drohe und wies auf die Uneinigkeit der EVP hin, aus deren Reihen auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stamme. Er forderte sie dringend dazu auf, vor der Debatte im EU-Parlament dazu Stellung zu nehmen. Wann diese stattfinden wird, war am Dienstagnachmittag jedoch noch unklar. Während Luena weiter wie vorgesehen für eine Behandlung im Juli-Plenum plädiert, tritt die EVP für eine Verschiebung auf September ein.

Unmittelbar nach der Abstimmung gab es erste Reaktionen österreichischer EU-Abgeordneter. Von einem "Sieg der Vernunft" und einem "klaren Zeichen für wirksamen Klimaschutz mit Hausverstand statt ideologiegetriebener Belastungspakete" sprach Alexander Bernhuber, Umweltsprecher der ÖVP im Europaparlament. "Wir müssen Umweltpolitik mit den Menschen machen und nicht gegen Menschen; deshalb werden wir uns dafür einsetzen, dass dieser Vorschlag auch im Plenum nicht angenommen wird." Roman Haider (FPÖ) nannte die Ablehnung einen "Etappensieg gegen Bauern-Enteignung".

Von einem "herben Rückschlag" sprach dagegen SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl in einer Aussendung. Die ÖVP und die Europäische Volkspartei seien "in der Populismusfalle gefangen und betreiben beim Klimaschutz Panikmache, statt nach echten Lösungen zu suchen". "Die Absage der ÖVP an Klima- und Naturschutz und die Fortsetzung des Angriffs auf den Green Deal ist unverantwortlich", reagierte Thomas Waitz, EU-Abgeordneter der Grünen, die Volkspartei agiere "als Totengräberin der Natur". "Jetzt geht es darum, das Gesetz durch das Plenum zu bringen."

"Die EVP setzt unsere Zukunft aufs Spiel und ignoriert dabei völlig die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge", kritisierte die Umweltschutzorganisation WWF Österreich. "Wenn das Parlament dieses Gesetz nicht verabschieden kann, könnte es nicht nur zu einem kolossalen Versagen der EU, sondern sogar zu einer weltweiten Blamage werden", warnte der Ökologe Guy Pe'er vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung namens vieler Kolleginnen und Kollegen, die auf die wissenschaftliche Dringlichkeit von Renaturierungsmaßnahmen hingewiesen hatten. "Wenn die EU, die versucht, in Sachen Umweltschutz weltweit führend zu werden, bei ihrer eigenen Gesetzgebung in die Falle geht und falsche Entscheidungen trifft, wo können wir dann noch einen Fortschritt erwarten?"

Eine qualifizierte Mehrheit für einen abgeänderten Text des Renaturierungsgesetzes hatte es kürzlich im EU-Umweltrat gegeben, der eine "Allgemeine Ausrichtung" dazu erzielen konnte, obwohl es auch im Kreis der Mitgliedsstaaten etliche Bedenken gibt. Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte sich bei der Abstimmung enthalten, nachdem die Bundesländer, in deren Zuständigkeit der Naturschutz fällt, geschlossen ihre Ablehnung des vorliegenden Texts bekundet hatten. Confin wies heute darauf hin, dass eine Mehrheit von konservativ regierten EU-Mitgliedsstaaten im Rat für das Gesetz gestimmt hätten, was sich auch auf das Stimmverhalten im EU-Parlament auswirken könnte. "Es gibt also durchaus noch die Chance für eine Annahme."

"Dieser Text ist eine solide Grundlage für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament", hatte Romina Pourmokhtari, schwedische Ministerin für Klima und Umwelt und derzeitige Vertreterin des Ratsvorsitzes, nach der Abstimmung im Rat erklärt. Schon am Samstag übernimmt jedoch Spanien den EU-Ratsvorsitz - und wird sich auch mit dem "Nature Restauration Law" befassen müssen. Spanien habe bereits klargemacht, dass es dem Gesetz große Priorität einräumen werde, sagte Luena: "Das sind gute Nachrichten!"

ribbon Zusammenfassung
  • Das umstrittene EU-Renaturierungsgesetz hat am Dienstag im zuständigen Umweltausschuss des Europäischen Parlaments in Brüssel keine Mehrheit gefunden.
  • Bei der Fortsetzung des Abstimmungsmarathons von 15. Juni ging am Vormittag die finale Abstimmung über zahlreiche zuvor angenommenen Kompromisse 44 zu 44 aus.
  • Man sei keineswegs gegen den Green Deal an sich und habe bereits unzählige Gesetzesvorschläge dazu angenommen oder in Arbeit, sagte Liese.