Serbien und Kosovo sind nahe an Regelung ihrer Beziehungen
Borrell und der Balkan-Sondergesandte der EU, Miroslav Lajcak, hatten bei den Gesprächen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti vermittelt.
Bereits Ende Februar hatten die beiden Politiker in Brüssel einem von der EU vorgelegte Abkommen verbal zugestimmt, das die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Balkanstaaten grundlegend regeln soll. Am Samstag einigten sie sich auf den Anhang des Abkommens, der dessen konkrete Umsetzung festlegt. Vucic weigerte sich jedoch am Ende wie schon in Brüssel, die Abmachungen zu unterschreiben.
Das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo spaltete sich 1999 mit NATO-Hilfe von Serbien ab und erklärte sich 2008 für unabhängig. Serbien erkennt dies bis heute nicht an.
Das neue Abkommen sieht vor, dass Belgrad das Kosovo zwar nicht völkerrechtlich anerkennt, aber die Eigenstaatlichkeit seiner ehemaligen Provinz zur Kenntnis nimmt. Insbesondere soll es die Reisepässe, Kfz-Kennzeichen und Zollpapiere des Kosovos anerkennen. Das Kosovo soll die Rechte der serbischen Volksgruppe im Land institutionell absichern.
Am Samstag verhandelten Vucic und Kurti über den Anhang zu dem Abkommen, das den ursprünglichen Plänen der EU-Vermittler zufolge konkrete Fristen für die Umsetzung der einzelnen Punkte hätte enthalten sollen. Das am Sonntagmorgen von der EU veröffentlichte Dokument beinhaltete jedoch kaum zeitliche Zusagen. So steht darin lediglich, dass die Seiten innerhalb von 30 Tagen einen Gemeinsamen Monitoring-Ausschuss bilden würden, der für die Überwachung des Abkommens zuständig sein wird.
Borrell räumte am Samstagabend ein, dass die Vermittler "mit einem ambitiöseren und detaillierten Vorschlag für den Anhang" in die Verhandlungen gegangen seien. "Unglücklicherweise vermochten sich die Seiten nicht auf den detaillierten Vorschlag zu einigen", sagte er. Das Kosovo hätte "Flexibilität in der Substanz" vermissen lassen, Serbien wiederum habe von Anfang an darauf bestanden, nichts unterschreiben zu wollen. Auf nähere Einzelheiten ging er nicht ein. Er und sein Team würden aber weiter daran arbeiten, "bis eine umfassende Übereinkunft erzielt" sei.
"Ich habe heute nichts unterschrieben", erklärte Vucic in Ohrid. "Wir haben auf jeweils unterschiedliche Weise aufgezeigt, wo für uns die jeweiligen roten Linien sind." Für den serbischen Nationalisten stellt jede Aufweichung der harten Haltung gegenüber Pristina ein politisches Risiko dar. Rechtsradikale in Serbien drohten mit "heißen" Protesten, sollte Vucic in Ohrid "kapitulieren".
Kurti ist wiederum dem Druck der kosovo-albanischen Bevölkerung und Wählerschaft ausgesetzt, die Zugeständnisse an die serbische Volksgruppe ablehnt. Artikel sieben des Abkommens sieht aber vor, dass den Serben im Kosovo "ein angemessenes Ausmaß an selbstständiger Regelung ihrer Angelegenheiten" zusteht. Pristina habe sich nun dazu verpflichtet, die Umsetzung dieses Punktes umgehend einzuleiten, sagte Borrell. Im Kosovo befürchtet man, dass zu starke Vetorechte für einen künftigen serbischen Gemeindeverband den Staat blockieren könnten.
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zeigte sich auf Twitter erfreut über die Annäherung der beiden Staaten. "Eine gute Nachricht kommt zu so später Stunde aus #Ohrid . #Kosovo und #Serbien haben einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Beziehungen gemacht. Dies ist der Schlüssel, wenn es um #EU -Integration geht", schrieb Schallenberg in der Nacht auf Sonntag in einem Tweet.
OSZE-Generalsekretärin Helga Maria Schmid gratulierte beiden Seiten zu dem "entscheidenden Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina". Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa freue sich auf "baldige Fortschritte bei der Umsetzung". Schmid versicherte beide Länder der OSZE-Unterstützung "in den ihr übertragenen Bereichen".
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit twitterte, jetzt komme es darauf an, dass die Staatsspitzen sich an die Vereinbarungen hielten. Deutschland unterstütze die europäische Perspektive beider Länder. Die Annäherung der beiden Balkanländer soll über einen Grundlagenvertrag wie früher zwischen der Bundesrepublik und der DDR erreicht werden. Er sieht vor, dass Fragen wie die gegenseitige Anerkennung erst einmal ausgeblendet werden und beide Regierungen dennoch miteinander reden können. Auch die Eröffnung wechselseitiger diplomatischer Vertretungen in den Hauptstädten ist vorgesehen. Die EU und die USA hatten Serbien und Kosovo eine Frist bis März eingeräumt, um den Grundlagenvertrag zu beschließen.
Das Verhältnis des jüngsten europäischen Staates zu Serbien ist seit dessen Abspaltung von Serbien infolge einer NATO-Intervention im Frühjahr 1999 ungelöst. Diplomatische Bemühungen des Westens führten in den vergangenen Jahren zu keiner wesentlichen Normalisierung der Lage. Im Vorjahr waren die Spannungen erneut eskaliert: Es gab Straßenblockaden und Zwischenfälle, bei denen geschossen wurde.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gewann die Beilegung des Kosovo-Konflikts für den Westen wieder an Bedeutung. Moskau nutzt Schwachstellen in der politischen Ordnung verschiedener Balkanstaaten für Einflussnahme aus. Belgrad ist abhängig von Russland, weil die östliche Großmacht mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat die Aufnahme des Kosovos in die Weltorganisation verhindert. Serbien trägt als einziges Land der Region die EU-Sanktionen gegen Russland nicht mit.
Zusammenfassung
- Nach zwölfstündigen Marathonverhandlungen im nordmazedonischen Ohrid haben die Spitzenvertreter Serbiens und des Kosovos beträchtliche Fortschritte erzielt.
- "Wir haben einen Deal", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am späten Samstagabend vor Journalisten.
- OSZE-Generalsekretärin Helga Maria Schmid gratulierte beiden Seiten zu dem "entscheidenden Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina".