Nach EU-Wahl: Poker um Spitzenposten beginnt
Die derzeitige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte Gespräche mit den Sozialdemokraten und Liberalen an. Die Grünen nannte sie nach der CDU-Präsidiumssitzung nicht. Die Grünen boten sich an, von der Leyen zu einer zweiten Amtszeit zu verhelfen.
"Wir sind zu Verhandlungen zur Bildung einer neuen EU-Kommission bereit", sagt Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke in Berlin. "Wir wollen mitregieren."
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Von der Leyen vor zweiter Amtszeit
Angesichts des klaren Wahlsiegs des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP gilt es als wahrscheinlich, dass die CDU-Politikerin von der Leyen eine zweite Amtszeit als Präsidentin der mächtigen Europäischen Kommission bekommt. Für die dafür notwendige Wahl im Europäischen Parlament ist sie allerdings auf die Unterstützung anderer Parteienfamilien wie den Sozialdemokraten und Liberalen angewiesen. Diese dürften im Gegenzug erwarten, andere Spitzenposten besetzen zu dürfen.
Insbesondere geht es dabei um das Amt des EU-Ratspräsidenten sowie des EU-Außenbeauftragten. Als EU-Ratspräsident leitet derzeit der belgische Liberale Charles Michel die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, EU-Chefdiplomat war in den vergangenen fünf Jahren der spanische Sozialdemokrat Josep Borrell.
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Als möglicher Kandidat für den Ratschef-Posten gilt derzeit der frühere portugiesische Regierungschef António Costa, als mögliche Kandidatin für das Amt des Außenbeauftragten die estnische Regierungschefin Kaja Kallas. Costa ist Sozialist und Kallas Liberale.
Karas fordert "rasche Nominierung" von der Leyens
Der EU-Parlamentsvize Othmar Karas und EU-Kommissar Johannes Hahn (beide ÖVP) erwarten eine rasche Nominierung von der Leyens für eine zweite Amtszeit als Kommissionschefin. Karas erwarte, dass das EU-Parlament den Rat der Staats- und Regierungschefs sofort auffordere, von der Leyen zu nominieren, sagte er am Montag in Wien. Hahn, der auch EVP-Vizepräsident ist, sagte, er gehe davon aus, dass schon im Juli die Wahl der EU-Kommissionspräsidentin erfolge "und die Dinge schnell in die Gänge kommen".
Damit die bisherige EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen eine zweite Amtszeit antreten kann, muss der Europäische Rat - das Gremium der Staats- und Regierungschefs - sie mit qualifizierter Mehrheit dem Europaparlament als Kandidatin vorschlagen.
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Das heißt: Neben den 13 Staats- und Regierungschefs, die der gleichen Parteienfamilie angehören wie sie, müssen noch mindestens drei weitere Chefs von großen Mitgliedstaaten für sie stimmen. Danach steht dann die offizielle Wahl im Europäischen Parlament an.
Dort wird die EVP mit der ÖVP nach jüngsten vorläufigen Wahlergebnissen künftig auf 185 Sitze (zuletzt 176 von 705) und damit auf mehr als ein Viertel der nun 720 Sitze kommen. Zweitstärkstes Lager bleiben demnach die Sozialdemokraten. Sie kommen auf 137 Mandate (zuletzt 139). Danach folgen die Liberalen, die auf 79 Sitze abrutschen (zuletzt 102), sowie die zwei bisherigen rechtspopulistischen Parteienbündnisse EKR und ID, die teils deutlich gewinnen: EKR kommt auf 73 (zuletzt 69) Sitze, ID auf 58 (zuletzt 49). Zur ID zählt auch die FPÖ, die in Österreich stärkste Kraft wurde.
So hat Europa gewählt
Nicht hineingerechnet sind dabei die AfD-Abgeordneten. Die AfD wird zu den fraktionslosen Parteien gezählt, da sie kurz vor der Europawahl aus der ID-Fraktion ausgeschlossen worden war. Hintergrund waren unter anderem umstrittene Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS und eine China-Spionageaffäre um einen Mitarbeiter Krahs. Am Montag beschlossen die anderen neu gewählten AfD-Abgeordneten nun, Krah nicht in die neue Delegation aufzunehmen. Dies könnte den Weg für eine Zusammenarbeit mit anderen Rechtsaußen-Parteien wieder freimachen.
Infrage kommen dafür etwa die Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Italiens rechter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und die französische Partei Rassemblement National von Marine Le Pen. Beide gewannen in ihren Ländern die Europawahl.
Ein großer Verlierer der ersten Europawahl nach der verheerenden Corona-Pandemie und dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind die Grünen. Sie kommen den jüngsten Ergebnissen zufolge nur noch auf 52 Sitze (zuletzt 71). Die Linken besetzen nahezu unverändert 36 Sitze (zuletzt 37).
Zusammenfassung
- Nach der Europawahl hat die EVP den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufgefordert, die Wiederwahl von Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin zu unterstützen.
- Von der Leyen sucht Unterstützung von Sozialdemokraten und Liberalen, während die Grünen sich bereit erklärt haben, sie ebenfalls zu unterstützen.
- Die EVP benötigt die Unterstützung anderer Parteienfamilien, um die notwendige Mehrheit im Europäischen Parlament zu erreichen.
- Wichtige Posten wie der des EU-Ratspräsidenten und des EU-Außenbeauftragten stehen zur Disposition, mit António Costa und Kaja Kallas als potenzielle Kandidaten.
- Die Europawahl führte zu signifikanten Verschiebungen der Sitze im Europäischen Parlament: EVP 185 Sitze, Sozialdemokraten 137, Liberale 79, EKR 73, ID 58, Grüne 52 und Linke 36.