Lukaschenko, Protassewitsch und die Rolle Österreichs
Am Sonntag zwang ein Kampfjet die Boeing 737 von Ryanair auf dem Weg nach Vilnius beim Überflug über Weißrussland zum Landen in Minsk, der 26-jährige Roman Protassewitsch und seine Freundin Sophia Sapega wurden verhaftet. Er ist einer der prominentesten oppositionellen Blogger Weißrusslands. Den Befehl, das Flugzeug abzufangen, gab Präsident Alexander Lukaschenko persönlich, wie regierungsnahe Medien berichten.
Protessewitsch ist der ehemaligen Chefredakteur des führenden oppositionellen Telegramkanals "NEXTA". Lukaschenko bezeichnete Protassewitsch am Mittwoch vor Abgeordneten in Minsk als "Terroristen". Der 26-Jährige und seine Helfer hätten einen "blutigen Aufstand" in Weißrussland (Belarus) geplant. Das sei über die Grenze von Weißrussland hinaus bekannt gewesen, meinte er mit Blick auf Russland. Der Kreml erklärte, er sehe keinen Grund, Lukaschenkos Darstellung des Falls zu misstrauen.
Schweiz dementiert Bombenwarnung
Damit räumte Lukaschenko das erste Mal ein, dass er die Ryanair-Maschine am Sonntag auf dem Weg nach Litauen in Minsk auf den Boden brachte, um seinen Gegner festnehmen zu lassen. Dass Weißrussland seinen Bürger und seine russische Begleiterin, die in dem Land einen Aufenthaltsstatus habe, festnahm, sei das souveräne Recht des Landes gewesen. Zuvor hatte Lukaschenko behauptet, es habe eine Bombenwarnung gegeben aus der Schweiz, weshalb die Maschine gelandet sei. Die Schweiz dementierte das.
Foltervorwürfe
Nur einen Tag nach der Verhaftung erschien auf einem regierungsnahen Telegramkanal ein Video, in dem der Festgenommene ein Geständnis ablegt. Von Anfang an wird bezweifelt, dass der Blogger freiwillig zur Aufnahme bereit war.
"Es ist möglich, dass seine Nase gebrochen ist, denn ihre Form ist anders und es ist eine Menge Make-up Puder darauf. Die ganze linke Seite seines Gesichts ist abgepudert", sagte sein Vater Dimitri Protassewitsch in einem Interview am späten Montag der Nachrichtenagentur Reuters. "Es sind nicht seine Worte, es ist nicht seine Art wie er spricht. Er verhält sich sehr reserviert und man kann sehen, dass er nervös ist." Am Dienstag bekräftigt das Natalia Protassewitsch, die Mutter des Bloggers gegenüber der dpa. Im Gesicht ihres Sohnes seien deutliche Spuren von Gewaltanwendung erkennbar (siehe Video oben).
Auch von Sapega erschien ein Video auf Telegram. Darin "gestand" sie "persönliche Informationen" von Mitarbeitern des Sicherheitsapparats veröffentlicht zu haben. Zwei Tage nach der Festnahme besuchte sie laut "Faz" ein russischer Diplomat. Man hoffe, sie werde freigelassen, so ein Kreml-Sprecher am Dienstag, aber "natürlich nur, wenn es an sie keine Fragen im Hinblick auf die Beachtung des Gesetzes gibt".
Einfluss über österreichische Unternehmen?
Die weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja forderte Österreich bei ihrem Besuch im April auf, als Vermittler zwischen dem Regime und der Oppositionsbewegung in Weißrussland (Belarus) aufzutreten. Auch über in dem Land tätige Unternehmen könne und solle Österreich Einfluss nehmen, sagte Tichanowskaja damals.
Österreich viertgrößter Investor in Belarus
Österreich ist laut "zackzack.at", das sich auf Daten der Nationalbank bezieht, der viertgrößte Investor in Belarus und mit 383 Millionen Euro Direktinvestitionen heimischer Unternehmen. Laut Außenministerium sind 83 Unternehmen mit österreichischen Kapitalanteilen und 20 österreichischen Firmenrepräsentanzen in Belarus vertreten. Dazu gehören die Telekom Austria, die 100 Prozent am belarusischen Mobilfunkanbieter Velcom / A1 halten. Der Raiffeisen-Gruppe gehören 87,74 Prozent an einer der größten Banken, der Priorbank. An einen Rückzug aus dem weißrussischen Markt denkt man bei Raiffeisen nicht, wie sie gegenüber "zackzack.at" angaben. Man halte sich "selbstverständlich an alle Sanktionen und wird selbstverständlich auch die jüngst beschlossenen Sanktionen umsetzen."
Aufruf an A1: "Stellt Bedingungen!"
Tichanowskaja brachte auch A1 ins Gespräch. Der Telekomanbieter betreibt eines der größten Handynetze im Land, das bei Demonstrationen oft gezwungen wurde, das Internet abzuschalten. Die Unternehmen müssten ganz klar Bedingungen stellen, betonte die Politikerin: "Geschäfte in Weißrussland sind gut, aber baut die Geschäfte auf Werten auf, für die ihr steht. Wenn das Regime euch benutzt für ihre Gewalt, dann stellt Bedingungen!", appellierte sie.
Auf "zackzack"-Nachfrage spricht A1 von "Drosselungen" aber keinen Internetsperren. Man habe keine Alternative, weil sonst der Regulator das Internet deaktivieren würde. Man bemühe sich jedoch um Transparenz. Die Telekom Austria leistet laut eigener Aussage einen "wesentlichen Beitrag zur Zivilgesellschaft", ermögliche Anschluss an Westeuropa und zeige der Bevölkerung, dass es eine Alternative gibt".
EU sperrt Luftraum
Die EU-Staaten verhängen nach der erzwungenen Landung einer Passagiermaschine in Minsk neue Sanktionen gegen die frühere Sowjetrepublik Weißrussland (Belarus).
EU-Sanktionen gegen Weißrussland
Am Montag beriet ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zum Thema und verhängte neue Sanktionen gegen die frühere Sowjetrepublik Weißrussland. Belarussische Fluggesellschaften dürfen künftig nicht mehr den Luftraum der EU nutzen und nicht mehr auf Flughäfen in der EU starten und landen. Außerdem soll es zusätzliche gezielte Wirtschaftssanktionen und eine Ausweitung der Liste mit Personen und Unternehmen geben, gegen die Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gelten. Fluggesellschaften mit Sitz in der EU werden darüber hinaus aufgefordert, den Luftraum über Belarus zu meiden.
Kurz "zufrieden" über Sanktionen
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte "sehr zufrieden, dass es hier eine klare Reaktion" seitens der EU gebe. "Es wird nicht nur verlangt, dass der verhaftete Journalist sofort freigelassen wird, sondern es gibt auch eine klare Reaktion mit Listungen, Wirtschaftssanktionen und auch einem Flugverbot", sagte Kurz. Das Verhalten von Belarus sei "absolut inakzeptabel, ist aufs Schärfste zurückzuweisen".
Lukaschenko droht mit Gegensanktionen
Dem Westen drohte Weißrussland am Mittwoch mit Gegensanktionen. Die Regierung habe "Schutzmaßnahmen" vorbereitet, sagte Regierungschef Roman Golowtschenko am Mittwoch der Zeitung des Präsidentenamtes, "Belarus Segodnja", zufolge. "Diese Maßnahmen werden für die Länder, die eine offen feindselige Haltung eingenommen haben, ziemlich schmerzhaft sein." Dazu zählten Beschränkungen beim Transit, sagte der Ministerpräsident. Er ließ allerdings offen, ob damit Waren oder der Öl- und Gastransit nach Europa gemeint sind. Zudem könnte es ein Embargo auf Importe geben.
Van der Bellen: "Staatliche Entführung"
Beim Staatsbesuch der estnischen Präsidentin Kersti Kaljulaid am Mittwoch kritisierten sie und Bundespräsident Alexander Van der Bellen die von Weißrussland (Belarus) erzwungene Flugzeuglandung und die Inhaftierung Protassewitschs und seiner Freundin scharf. Das sei eine "staatliche Entführung" gewesen, sagte Van der Bellen auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Es könne jedenfalls nicht sein, "dass ein Flugzeug in Europa entführt wird und Leute dann eingesperrt und gefoltert werden", konstatierte der Bundespräsident.
Österreich habe bisher versucht zwischen dem weißrussischen Staatschef Alexander Lukaschenko und der Opposition zu vermitteln und werde dies auch weiter versuchen. Über die Entwicklung in Weißrussland müsse man jedenfalls auch mit Russland sprechen, so Van der Bellen.
Russland sei ein Teil Europas, doch das Verhältnis der EU zu Moskau habe sich in den vergangenen Jahren in eine negative Richtung entwickelt, was er sehr bedauere. Nun müsse die EU jedenfalls den Druck aufrechterhalten, dennoch dürfe der Dialog nicht aufgegeben werden, sagte der Bundespräsident. Dieser Akt des Staatsterrorismus sei schockierend, sagte Kaljulaid und forderte weitere Maßnahmen gegenüber Minsk.
Zusammenfassung
- Weißrussland hält den Journalisten Roman Protassewitsch gefangen und soll ihn unter Folter zu einem Geständnis gezwungen haben. Die EU verhängte Sanktionen, heimische Politiker verurteilen die Vorfälle. Österreich ist der viertgrößte Investor im Land. Die Unternehmen denken nicht an Rückzug aus Weißrussland.