Festnahme und Proteste
Ekrem Imamoğlu: Wer ist der Rivale, den Erdoğan fürchtet?
Am Mittwoch wurde der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, Mitglied der sozialdemokratischen CHP, unter anderem wegen Bestechung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Landesweit löste dies eine große Protestwelle aus.
Oppostionsführer Özgür Özel sprach von einem "Putschversuch gegen den nächsten Präsidenten". Am Wochenende sollte nämlich İmamoğlu zum CHP-Präsidentschaftskandidaten nominiert werden. Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind allerdings erst für 2028 geplant. Wieso wird İmamoğlu also als Gefahr für Erdoğan gesehen?
Mehrheit wünscht sich vorgezogene Wahlen
Laut den Ergebnissen einer Wahlumfrage des Social Impact Research Centre (TEAM) vom 20. Februar wünschen sich 59 Prozent der Bevölkerung vorgezogene Wahlen, berichtete die türkische Tageszeitung "Cumhuriyet" vergangene Woche.
Den Umfrageergebnissen zufolge, käme İmamoğlu auf 54,1 Prozent, Staatschef Erdoğan hingegen nur auf 38,6 Prozent. İmamoğlu gilt deshalb zusammen mit dem CHP-Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş, als mächtigster Rivale Erdoğans.
Durch seine volksnahe Art und seine Fähigkeit, Menschen zu mobilisieren, konnte İmamoğlu bis heute eine breite Wählerschaft für sich gewinnen. Seine Popularität reicht weit über die traditionelle Basis der säkularen CHP hinaus und weit in religiös-konservative Wählerschichten hinein, die bisher Erdoğans Basis bildeten.
Parallele zwischen Rivalen
İmamoğlus Aufstieg in der Politik weist eine entscheidende Parallele zu jenem von Erdoğan auf. Auch Erdoğans Polit-Karriere begann in Istanbul. 1994 gewann dieser überraschend die Wahl zum Oberbürgermeister der Metropole am Bosporus. In weiterer Folge gewann er mit seiner AKP bei den Parlamentswahlen 2002 und 2007.
İmamoğlu wurde 1971 in der Schwarzmeerprovinz Trabzon geboren und studierte Betriebswirtschaft an der Universität Istanbul, bevor er in das Baugeschäft seiner Familie einstieg.
2008 trat er der CHP bei und wurde 2014 zum Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Beylikdüzü. Fünf Jahre später fügte er Erdoğans regierender AKP die größte Niederlage seit zwei Jahrzehnten zu, indem er 2019 die Bürgermeisterwahl in Istanbul gewann.
Nach Einspruch der AKP wurde das Wahlergebnis zunächst annulliert. Doch bei der Wahlwiederholung gewann İmamoğlu mit großem Vorsprung die Kommunalwahlen und erklärte damit die 25-jährige konservativ-islamische Herrschaft der AKP in Istanbul für beendet.
Auch 2024 wurde İmamoğlu trotz eines zersplitterten Wahlbündnisses wiedergewählt. Dass er zweimal hintereinander über die zuvor unbesiegbar scheinende AKP triumphierte, ermutigte İmamoğlu dazu, Erdoğan auf nationaler Ebene herauszufordern. "Dies ist mehr als eine Bürgermeisterwahl", sagte er vergangenes Jahr in einer Rede.
Am 23. März wollte die CHP den Istanbuler Bürgermeister offiziell zum Präsidentschaftskandidaten für 2028 bestimmen. Nicht nur deshalb sorgt seine Festnahme für breite Kritik bei Opposition und Wähler:innen.
"Vorbereitung für Absetzung"
Aktuell steht die Frage im Raum, ob der Bürgermeister von Istanbul abgesetzt werden könnte. Das regierungskritische Medium "Aposto" interpretiert den Terrorismusvorwurf gegen İmamoğlu als "Vorbereitung für eine Absetzung".
In den vergangenen Wochen sind türkischen Behörden immer wieder gegen Oppositionspolitiker vorgegangen. Politiker:innen der CHP sowie der prokurdischen Partei DEM wurden abgesetzt und teilweise durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt.
Zudem war auch am Dienstag bekannt geworden, dass die Universität Istanbul den Abschluss İmamoğlus wegen "offensichtlicher Fehler" aberkannt hatte. Sollte die Entscheidung von einem Gericht bestätigt werden, könnte dies dazu führen, dass er bei den Präsidentschaftswahlen 2028 nicht mehr antreten kann.
Ein abgeschlossenes Hochschulstudium ist in der Türkei nämlich rechtliche Voraussetzung für eine Kandidatur als Staatspräsident. Darüber hinaus darf ein Kandidat nicht rechtskräftig verurteilt sein.
Wie sich die Lage in den kommenden Tagen und Wochen entwickelt, ist aktuell schwer abzuschätzen. Die nächsten Wahlen in der Türkei könnten aber so spannend werden wie schon lange nicht mehr.
Zusammenfassung
- Ekrem İmamoğlu, Istanbuls Bürgermeister, wurde wegen Bestechung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung festgenommen, was landesweite Proteste auslöste.
- Die Festnahme erfolgte kurz vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der CHP, was als gezielter Angriff auf einen der größten Rivalen Erdoğans gesehen wird.
- Laut einer Umfrage wünschen sich 59 Prozent der Türken vorgezogene Wahlen, bei denen İmamoğlu 54,1 Prozent der Stimmen erhalten könnte, während Erdoğan nur 38,6 Prozent erreichen würde.
- İmamoğlus politische Karriere zeigt Parallelen zu der von Erdoğan, da beide als Bürgermeister von Istanbul begannen und İmamoğlu 2019 einen bedeutenden Sieg gegen die AKP errang.
- Der Terrorismusvorwurf könnte eine Vorbereitung für seine Absetzung sein, und die Aberkennung seines Hochschulabschlusses könnte seine Kandidatur für die Präsidentschaft 2028 gefährden.