APA/APA (Roland Schlager)/ROLAND SCHLAGER

Heftige Kritik an Kurz im Impfstoffstreit

Die Opposition übt nach dem EU-Impfstoffstreit heftige Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser führe Österreich "ins internationale Abseits", meinte etwa SPÖ-Klubvize Jörg Leichtfried. Scharfe Kritik äußerten auch die NEOS angesichts der Weigerung Österreichs, an einer solidarischen Verteilung der Dosen zugunsten der Impf-Nachzügler teilzunehmen. Kurz selbst will nun Tschechien auf bilateralem Weg mit 30.000 Impfdosen unterstützen.

Rund 2,85 Millionen von zehn Millionen vorgezogenen Dosen von BioNtech/Pfizer werden innerhalb der EU für einen Solidaritätsausgleich genutzt. Bulgarien erhält nun 1,15 Millionen Dosen mehr als nach dem üblichen Verteilungsschlüssel. Bei Kroatien sind es 683.514 Dosen, bei der Slowakei 602.255, bei Lettland 376.456 und bei Estland 41.390. Damit die Unterstützungsaktion möglich wurde, mussten alle 19 Länder jeweils auf rund 30 Prozent ihrer Impfdosen verzichten: Deutschland gab dabei 558.000 Dosen ab, Frankreich 450.000 und Italien 404.000.

Österreich, Tschechien und Slowenien hatten die EU-Impfstoffumverteilung zugunsten der Nachzügler nicht mitgetragen. Die drei Länder erhalten daher ihre vollen Anteile nach Bevölkerung - für Österreich sind das exakt 198.815 Dosen. Aus dem Bundeskanzleramt in Wien hieß es, die rund 199.000 Impfdosen für Österreich seien ein "solides Ergebnis", die "mangelnde Solidarität gegenüber Tschechien" sei aber "absolut nicht nachvollziehbar". Im Erstvorschlag der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft waren für Österreich 139.000 Impfdosen vorgesehen gewesen.

Ein EU-Diplomat machte sich laut dpa recht undiplomatisch Luft: "In dem Robin-Hood-Kostüm von Kurz und seinen beiden Freunden steckte dann doch nur wieder der finstere Sheriff von Nottingham. Sie nehmen Impfstoffe, teilen aber keine Impfstoffe."

Am Freitag kündigte Kurz dann an, Österreich werde in Abstimmung mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) "Tschechien auf bilateralem Weg mit 30.000 Impfdosen unterstützen". Kurz kritisierte: "Tschechien ist besonders hart getroffen mit zahlreichen Todesfällen und noch immer hohen Ansteckungsfällen, hat aber trotzdem als einziges Land bei der europäischen Impfstoffverteilung keine zusätzlichen Impfdosen bekommen. Gerade Tschechien nicht zu unterstützen empfinden wir als unfair und unsolidarisch."

Tschechiens Regierungschef Andrej Babis dankte Kurz für die 30.000 Dosen. "Wir sind sehr dankbar für diese großzügige Hilfe, ganz besonders von Freunden, die auch mehr Impfstoffe brauchen, die aber verstehen, wie schwierig unsere Situation ist. Das ist echte Solidarität", schrieb Babis auf Twitter.

Tschechien hatte entgegen ursprünglicher Pläne keine zusätzlichen Dosen erhalten. Das Land wäre wohl mit dem portugiesischen Vorschlag besser gefahren und hätte rund 310.000 Impfdosen bekommen können, statt jetzt rund 239.000. Babis äußerte sich am Freitag enttäuscht. "Solidarität gibt es nur in Presseaussendungen. Hinter verschlossenen Türen gibt es keine Solidarität", sagte er der tschechischen Nachrichtenagentur CTK. Babis äußerte die Vermutung, bei den Verhandlungen habe sich der Wunsch durchgesetzt, Kurz abzustrafen.

Kurz sei "am EU-Parkett nicht nur ausgerutscht, er ist schwer gestürzt", sagte Leichtfried laut Aussendung. Die Regierung Kurz habe zuerst auf 1,5 Mio. Dosen von Johnson & Johnson-Impfstoffe freiwillig verzichtet. Damit hätten im Juni 1,5 Mio. Menschen in Österreich geimpft werden können. Dieser Verzicht sei grob fahrlässig gewesen, so Leichtfried. "Österreich hat es nicht verdient, einen Kanzler zu haben, der unser Land ins internationale Abseits stellt."

"Wir haben uns vollkommen ins Aus manövriert. Bravo!", schrieb die NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon auf Twitter. Gamon kritisierte, dass Österreich die bedürftigen Länder nicht mit eigenen Impfdosen unterstützt habe: "Österreich nimmt an dieser solidarischen Verteilung gar nicht Teil. Das offizielle Österreich lässt andere EU-Staaten im Stich."

Der Politologe Peter Filzmaier sieht in dem EU-Impfstoffstreit eine gewisse Ablenkung von der Debatte, warum Österreich zu wenig Impfstoffe bestellt habe und wer davon wann gewusst habe. "Es überlagert die Ausgangsdebatte", sagte Filzmaier am Freitag im Gespräch mit der APA. In der innerösterreichischen Öffentlichkeit mache der Streit mit der EU keinen zusätzlichen Unterschied. "Die Basisbotschaft von der Impfung als Game Changer funktioniert nicht mehr."

Das EU-Portal "Politico" schrieb, für Kurz markiere der Impfstoffstreit in der EU "ein Scheitern an mehreren Fronten. Er war nicht in der Lage, zusätzliche Impfdosen für sein Land zu sichern; er hat die bedürftigen Länder verraten, die ursprünglich seine Bemühungen unterstützten; und er hat seine eigenen Bestrebungen untergraben, ein Anführer der in Europa dominierenden politischen Mitte-Rechts-Familie zu werden." Das Magazin zitierte einen namentlich nicht genannten Diplomaten mit den Worten, Kurz sei nun eine 'persona non grata" für die meisten Mitgliedsstaaten.

ribbon Zusammenfassung
  • Die Opposition übt nach dem EU-Impfstoffstreit heftige Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
  • Dieser führe Österreich "ins internationale Abseits", meinte etwa SPÖ-Klubvize Jörg Leichtfried.
  • Scharfe Kritik äußerten auch die NEOS angesichts der Weigerung Österreichs, an einer solidarischen Verteilung der Dosen zugunsten der Impf-Nachzügler teilzunehmen.
  • Tschechiens Regierungschef Andrej Babis dankte Kurz für die 30.000 Dosen.