"Aigistos Agistos" und Co.: Die Figuren im Spionage-Skandal
Egisto Ott alias "Aigistos Agistos"
Seit seiner Festnahme am 29. März bei Hausdurchsuchungen in Wien-Leopoldstadt und in Paternion im Bezirk Villach-Land werden immer mehr Details über die mutmaßlichen illegalen Spionagetätigkeiten des ehemaligen BVT-Beamten Egisto Ott bekannt. Er sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft und wurde vernommen.
Ermittelt wird gegen ihn seit 2017. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses und geheimer Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs - aber unter anderem im Sinne Russlands - vor. Die Ermittlungsakten liegen PULS 24 vor.
Der Kärntner Polizist Ott war ab 1993 bei der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus tätig. Ab 2001 war er Verbindungsbeamter in Italien, von 2010 bis 2012 in der Türkei.
Später war er bei der Fremdenpolizei und zwischen 2013 und 2015 für das damalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus (BVT) - und dort primär für den Bereich Dschihadismus tätig. Seit 2017 saß er insgesamt dreimal in U-Haft - das letzte Mal 2021, weil ihn sein Kollege Martin Weiss belastete.
Martin Weiss alias "John Green"
Die nunmehrige Festnahme Otts folgte nach neuen Informationen aus Großbritannien. Dort wurden Chat-Verläufe zwischen dem geflüchteten Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der mithilfe Moskaus untergetaucht sein dürfte und für den russischen Geheimdienst FSB tätig sein soll, und einem inzwischen in Großbritannien festgenommenen russischen Spion sichergestellt. Die Chats belasten Ott - und auch dessen ehemaligen Vorgesetzten, dem BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss.
Aus den Chats geht hervor, dass Ott, der sich selbst gerne "Aigistos Agistos" nannte und Weiss "systematisch" den russischen Geheimdienst mit geheimen, streng vertraulichen Tatsachen und Erkenntnissen aus dem Verfassungsschutz sowie personenbezogenen Daten aus Polizeidatenbanken versorgt haben sollen.
Weiss soll 2020, nach dem Platzen der Wirecard-Blase, bei der Flucht Jan Marsaleks aus Österreich behilflich gewesen sein. Er selbst soll mittlerweile nach Dubai evakuiert worden sein- und dort unter dem Decknamen "John Green" untergetaucht sein.
Weiss wurde schon im Alter von 19 Jahren Polizist, beim Verkehrsunfallkommando, bei der Passkontrolle in Schwechat, später wie Ott bei der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus.
Weiss machte sogar eine Ausbildung bei der CIA, das Innenministerium schickte ihn nach Brüssel. Im BVT schaffte es der gebürtige Niederösterreicher bis zum Abteilungsleiter der Spionageabwehr.
Weiss dürfte, wie der "Falter" berichtet, dennoch Frust geschoben haben, dass ihn sein früherer guter Bekannter, der damalige BVT-Chef Peter Gridling, nicht zu seinem Stellvertreter machte. 2015 soll er den ersten Kontakt zu Marsalek gehab haben, 2017 verließ er das BVT und wurde Sicherheitsberater des Wirecard-Vorstands. Er soll in dessen Villa in München gelebt haben, bis Marsalek flüchtete und Weiss damals verhaftet wurde.
Jan Marsalek, der Strippenzieher
Der sagenumwobene Österreicher, über den es mittlerweile ganze Doku-Serien gibt, ist einer der meistgesuchten Männer der Welt. Er war einst Vorstand des Finanzkonzerns Wirecard - bis die Blase platzte und sich herausstellte, dass Milliarden an Transaktionen wohl fingiert waren.
Deutsche Behörden suchen ihn seither wegen Betrugs. Mit der Hilfe von Weiss dürfte Marsalek es aber nach Russland geschafft haben - er soll für den dortigen Geheimdienst FSB tätig sein.
Wie Recherchen des "Spiegels" zeigten, soll Marsalek schon ab 2014 für den FSB spioniert haben - und im nunmehrigen österreichischen Spionage-Skandal gilt er ebenfalls als Strippenzieher hinter Weiss und Ott.
Marsalek und Weiss sollen sich 2015 bei einer Veranstaltung im Innenministerium kennengelernt haben - der österreichische Spionageabwehrchef war sein Zugang zu geheimen Infos des BVT.
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Weiss soll über Ott Infos für Marsalek und letzten Endes für Russland besorgt haben. Mindestens 309 illegale Abfragen ließ Marsalek scheinbar in Polizeidatenbanken einholen.
Auch ein streng gesicherter SINA-Laptop soll von Ott an mutmaßliche FSB-Agenten übergeben worden sein. Der Deal dürfte ebenfalls von Marsalek eingefädelt worden sein - er soll im Herbst 2022 für den Laptop über sogenannte "laundry guys" 20.000 Euro von Berlin nach Wien bringen haben lassen.
Michael Takàcs und die Kanu-Fahrer
Außerdem werden die Handy-Daten dreier hoher Beamter aus dem Innenministerium beim russischen Geheimdienst vermutet. Bei den gestohlenen Smartphones soll es sich um die Geräte von Michael Kloibmüller, der jahrelang Kabinettschef im Innenministerium war, dem nunmehrigen Bundespolizeidirektor Michael Takacs sowie von Gernot Maier, Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, handeln.
Sie fielen bei einem Kanu-Ausflug des Innenministeriums im Jahr 2017 ins Wasser - bei Reparaturen im BVT landeten sie über Ott und einen IT-Techniker im BVT später anscheinend in Russland. Ott habe die Handys in der Wohnung seines Schwiegersohns in Wien-Floridsdorf übergeben - so zumindest der Vorwurf.
Ott bestritt das laut "Standard" in seiner Einvernahme - er habe die Handys in seinem Briefkasten gefunden, wisse nicht, woher sie kamen und habe sie vernichtet. Gegen den IT-Techniker ist ein Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlicher Veruntreuung anhängig.
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Peter Gridling
Gridling war von 2008 bis 2020 Leiter des BVT. Mit Weiss soll er zunächst befreundet gewesen sein - es sollen sich aber Spannungen aufgebaut haben, da Weiss im BVT mehr werden wollte, wie der "Falter" berichtete. Weiss soll sich unter anderem deshalb später Marsalek zugewendet haben, wie der "Falter" berichtete.
Gridling wurde 2008 unter Innenminister Günther Platter (ÖVP) zum BVT-Chef ernannt. Sein Vorgänger war Gert-René Polli, der später die FPÖ in Sicherheitsfragen beriet. Polli und Weiss sollen sich 2017 mehrmals getroffen haben, so der "Falter": Dabei könnte die Idee zur Razzia im BVT entstanden sein. Dabei wurden Räumlichkeiten des BVT im Februar 2018 durchsucht.
Der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) soll im Zuge der - später als rechtswidrig erklärten - Razzia im BVT die erneute Bestellung von Gridlings zunächst zurückgehalten und ihn später suspendiert haben - auch die Suspendierung wurde später aufgehoben. Später schrieb Gridling in seinem Buch von einem "Überfall" auf das BVT.
Die FPÖ kritisiert nun, dass die Tätigkeiten von Weiss und Ott unter der Zeit Gridlings stattgefunden haben. Gridling soll jedoch von anderen BVT-Beamten über die Tätigkeiten Otts und Weiss' gewarnt worden sein, so der "Falter". In der "ZiB2" meinte der ehemalige BVT-Chef jüngst dazu, dass er rechtlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe.
Ott wurde nach einer Warnung durch den britischen Geheimdienst 2017 sogar suspendiert. Er soll der Geheimhaltung unterliegende E-Mails von seiner dienstlichen auf seine private E-Mail-Adresse versendet und "dienstliches Schriftmaterial" in seinem Besitz gehabt haben.
Allerdings begründete die Disziplinarkommission im Innenministerium die Suspendierung laut Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend - laut Innenministerium, weil der ausländische Nachrichtendienst nicht genehmigte, die Informationen weiterzugeben.
Die Innenminister: Strasser, Platter, Sobotka, Kickl
In der Debatte, wer für den Spionage-Skandal nun politisch verantwortlich sei, schenken sich die Parteien - vor allem ÖVP und FPÖ - derzeit nichts. Gegenseitig unterstellt man sich, die engeren Kontakte zu Russland oder Wirecard gehabt zu haben.
Die Struktur des BVT ginge auf die Zeit von ÖVP-Innenminister Ernst Strasser zurück, wird die FPÖ nicht müde zu betonen. Ott und Weiss seien unter den ÖVP-Innenminister:innen Günther Platter, Liese Prokop, Maria Fekter, Johanna Mikl-Leitner und Wolfgang Sobotka im Apparat aufgestiegen.
Die ÖVP wiederum wirft dem folgenden FPÖ-Innenminister Herbert Kickl vor, mit der Razzia das BVT zerstört zu haben - er habe damit möglicherweise Interessen von mutmaßlichen Russland-Spionen erfüllt.
Der "Falter" berichtete jüngst, dass es sowohl unter Innenminister Wolfgang Sobotka als auch unter FPÖ-Innenminister Herbert Kickl BVT-interne Warnungen vor russischer Spionage gab - und es in Österreich zu wenig Personal zur Spionageabwehr gegeben habe.
Peter Goldgruber
Ebenfalls fällt nun in den politischen Diskussionen um den Spionage-Skandal der Name Peter Goldgruber. Der Mann, der jüngst im U-Ausschuss jegliche Aussage verweigerte, war unter Innenminister Kickl Generalsekretär im Innenministerium.
Er sollte im U-Ausschuss just zum BVT, zu Spionen und zu angeblichen zwei Besuchen Marsaleks im FPÖ-geführten Innenministerium befragt werden.
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Nach der Ibiza-Affäre wollte Kickl Goldgruber in letzter Sekunde zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit ernennen - der Bundespräsident verhinderte dies. Goldgruber soll eine wichtige Rolle bei der BVT-Razzia gespielt haben, er soll damit geprahlt haben, im BVT "aufräumen" zu wollen.
Das Außenministerium: Peterlik und Kneissl
Hochzeitsgast und Wohnsitz sprechen Bände, wenn es um Karin Kneissls Haltung zu Russland geht. Auch sie und ihr damaliger Generalsekretär im Außenministerium, Johannes Peterlik, spielen nun eine Rolle im Spionage-Skandal.
Peterlik wurde nach seiner Zeit im Ministerium Botschafter in Indonesien - allerdings 2021 suspendiert. Er soll regelwidrig Akten bekommen haben - und auf seinem Handy soll die Formel für das Nervengift Nowitschok abgespeichert gewesen sein, sagt Falter-Chefredakteur Florian Klenk im PULS 24-Interview. "Diese Formel soll er mutmaßlich auch ausgetauscht haben", so Klenk. Es gilt die Unschuldsvermutung. Dieses Gift wurde von russischen Agenten für diverse Anschläge benutzt - unter anderem auf den Oppositionellen Alexej Nawalny.
Video: Klenk erklärt die Rolle von Karin Kneissl
Laut Ermittlungsakten soll auch Ott die Formel abgespeichert haben - die beiden sollen Austausch gepflegt haben. Außerdem sollen sie den Plan gehegt haben, im Außenministerium von Kneissl eine Art Auslandsgeheimdienst aufzubauen - laut Organigrammen mit Ott in einer Leitungsfunktion. Ob und wie viel Kneissl davon wusste, ist nicht bekannt.
Christo Grosew und die Opfer
Über das Nervengift Nowitschok und den gescheiterten Anschlag auf den mittlerweile in Haft gestorbenen Nawalny recherchierte etwa der Kreml-kritische Investigativ-Journalist Christo Grosew. Er lebte bis Anfang des Vorjahres in Wien - bis bei ihm eingebrochen wurde und ein Laptop sowie USB-Sticks gestohlen wurden.
Die mutmaßliche Datenübergabe an vermutlich russische Agenten durch Ott und Weiss hatte tatsächlich Auswirkungen. Ott soll davor die Meldeadresse Otts abgefragt und an Marsalek übermittelt haben.
Ein weiteres mutmaßliches Opfer war ein abtrünniger FSB-Agent, den Ott ebenfalls bespitzelt haben soll. Am Pkw des Ex-FSB-Agenten wurde am 28. Dezember 2023 unter dem Schutzblech ein Peilsender gefunden. Ähnliches war zuvor bereits einem anderen, in Russland in Ungnade gefallenen Mann widerfahren, den Ott ebenfalls 2017 ausgekundschaftet haben soll.
Abfragen soll Ott auch über antifaschistische Aktivist:innen in Wien getätigt haben - in diesem Fall landete die Adresse einer Aktivistin danach im rechtsextremen Milieu.
Hans-Jörg Jenewein: Helfer für "neuen" Geheimdienst?
Zuletzt von der ÖVP ins Spiel gebracht wurde der ehemalige FPÖ-Sicherheitssprecher Hans-Jörg Jenewein. ÖVP-U-Ausschuss-Fraktionsführer Andreas Hanger zitierte zuletzt aus einem Chat zwischen Jenewein und Ott.
Demnach soll Jenewein 2019 angekündigt haben, bei der Neustrukturierung des Geheimdienstes "mit dabei zu sein". "Wir werden für alle, die mitgeholfen haben, eine gute Lösung finden", soll Jenewein Ott versprochen haben.
2021 kam es bei Jenewein zu einer Hausdurchsuchung. In der Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien heißt es laut "Presse", Jenewein soll Ott angestachelt haben, ihm die Namen der Ermittler der "Soko Tape" zu verraten, die nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos eingesetzt worden war. So zumindest der Vorwurf.
Laut Hanger habe Jenewein als "rechte Hand" Kickls fungiert, die FPÖ spielte seine Rolle jedoch herunter. Jenewein sei nicht in der Position gewesen, über Funktionen zu entscheiden, sagte der freiheitliche Generalsekretär Christian Hafenecker.
Zusammenfassung
- Eine mutmaßliche Spionagezelle, die auch im Interesse Russlands gehandelt haben soll, beschäftigt die Republik.
- Es gab Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Die Ermittlungen und Handlungsstränge reichen teils Jahre zurück.
- Fehlt Ihnen schon der Überblick? PULS 24 erklärt die wichtigsten Player.