Entscheidungstage für Pamela Rendi-Wagner
Erstmals seit Jahrzehnten ist nicht der erste der wichtigste Mai-Tag für Österreichs Sozialdemokratie. Denn am sechsten dieses Monats entscheidet sich, ob die SPÖ mitten in der Coronakrise jemand neuen für den Parteivorsitz suchen muss. Die aktuelle Chefin Pamela Rendi-Wagner hat ihren Verbleib vom Ausgang einer Mitgliederbefragung abhängig gemacht, deren Ergebnis am Mittwoch präsentiert wird.
Eigentlich war die Abstimmung unter den rund 160.000 Besitzern eines roten Parteibuchs schon am 2. April zu Ende gegangen. Ausgezählt wurde aber nicht, was man damit begründete, dass angesichts der Corona-Maßnahmen ein 100-köpfiger Vorstand nicht machbar sei - und dass man das mit Spannung erwartete Ergebnis diesem Gremium zuerst vorlegen wolle.
Geändert hat sich an diesen Rahmenbedingungen kaum etwas, aber dem Zirkel um die Parteichefin war klar, dass man das Ergebnis nicht noch länger unter der Tuchent halten konnte - umso mehr als der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil, kaum aus dem Krankenstand nach seiner Kehlkopf-Operation zurückgekehrt, eindringlich die Vorlage einforderte.
Wie das Votum ausgegangen ist, weiß angeblich noch niemand. Die postalisch bzw. online eingetrudelten Fragebögen wurden nämlich laut Parteiangaben sicher verwahrt und sollen erst kurz vor der Präsentation im Vorstand ausgewertet werden, der im übrigen in einer extra angemieteten Halle stattfinden soll.
Was die Sache gleich noch einmal komplizierter macht, ist, dass sich Rendi-Wagner selbst keine Latte gelegt hat. Das heißt, es wird zunächst von ihrer eigenen Interpretation abhängen, ob die Sache ein Erfolg ist. Dabei sind zwei Parameter zu beachten, die Beteiligung und die Zustimmung. Als Maßstab wird immer wieder eine Mitgliederbefragung von Christian Kern u.a. zu Organisationsthemen hergenommen, die 2018 nur 22 Prozent zur Teilnahme bewegte.
Insofern sollte Rendi-Wagner mit ihrer gegen den Rest des Partei-Establishments durchgeboxten Vertrauensfrage diesen Wert - Coronakrise mit all ihren Einschränkungen während der Befragung hin oder her - zumindest überspringen. Was die Zustimmung zu ihrer Person angeht, wird als Mindestwert irgendetwas zwischen 60 und 70 Prozent angesehen, um zumindest einigermaßen erhobenen Hauptes weiter machen zu können.
Leicht hatte es die durch ein desaströses Nationalratswahl-Ergebnis und seither weiter sinkende Umfragenwerte ins Abseits geratene Parteichefin bei ihrem Vorhaben ohnehin nicht. Dass sie die Abhaltung der Vertrauensfrage im Februar mit 12:10 im schütter besetzten Parteivorstand gerade mal mit Ach und Krach durchbrachte, war nicht nur ein Affront, sondern auch schon Signal, dass sich die wichtigsten Teilorganisationen wohl kaum allzu sehr für sie ins Zeug legen würden.
Zwar haben sich letztlich nach langem Zögern fast alle Granden dann doch in der ein oder anderen Form hinter Rendi-Wagner gestellt, doch könnte sie ein starkes Abschneiden wohl durchaus als eigenen Erfolg verbuchen. Andererseits: von den einigermaßen prominenten Parteiteilen hat nur die Sozialistische Jugend klar gemacht, dass man mit einer neuen Vorsitzenden weiter zu machen wünscht. Speziell in Wien ist man freilich sauer, dass vor der eigenen Wahl im Herbst von Rendi-Wagner eine aus Sicht der Hauptstadt-Roten zu dieser Zeit unnötige Personal-Debatte losgetreten wurde.
Allerdings sind die Partei-Oberen alles andere als unschuldig daran, dass Rendi-Wagner die Flucht nach vorne angetreten hat. Längst ist man quer durch das rote Land zur Überzeugung gekommen, dass man mit der Quereinsteigerin (und ihrem ungeliebten Beraterstab) an der Spitze das Kanzleramt wohl länger von außen betrachten wird müssen. Doch keiner will den Laden selbst übernehmen, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig nicht, Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser nicht, die Zweite Nationalratspräsident Doris Bures nicht und der burgenländische Landeshauptmann Doskozil zumindest noch nicht.
Ihm wird ja nachgesagt, er hätte nichts gegen einen wenig ambitionierten Parteichef zwischendurch, um allenfalls vor der nächsten Bundeswahl als Kanzlerkandidat auf die nationale Bühne zurückkehren zu können. Freilich dementiert der im Burgenland mit absoluter Mehrheit ausgestattete Doskozil das regelmäßig und wäre angesichts seines Rechtskurses auch gar nicht so leicht durchzusetzen.
Es würde durchaus etliche geben, die sich jetzt schon berufen fühlen würden, die SPÖ wieder auf Erfolgskurs zu führen, doch scheinen sie derzeit nicht unbedingt mehrheitsfähig. Gehandelt wurde zuletzt EU-Parlamentarier Andreas Schieder, den angesichts seiner Pleite bei der EU-Wahl und seiner Niederlage gegen Ludwig beim Ringen um den Wiener Parteivorsitz nicht gerade die Aura des Erfolgs umgibt. Dann gibt es noch den angesichts seiner Beliebtheit an der Basis nicht zu unterschätzenden Ex-Bundesgeschäftsführer Max Lercher, der ein Netzwerk quer durch die roten Lande gespannt hat. Er scheint aber den Mächtigen der Partei zu schwer steuerbar, manchen auch zu jung und noch zu wenig geschliffen. Bleibt als Vertreter der Gewerkschaft der Vorsitzende der Eisenbahner-lastigen vida, Roman Hebenstreit. Ihm sind aber selbst im ÖGB nicht allzu viele gewogen.
Angesichts dieser schwierigen Ausgangslage wäre es, wenn man sich in der SPÖ umhört, vielen Parteispitzen gar nicht so unrecht, wenn Rendi-Wagner mit einem mittelprächtigen Ergebnis das Mitgliedervotum überstehen würde. Dann wäre fürs erste das Personalthema vom Tisch, aber nicht für immer, so dass man bei anhaltendem Umfragentief vor der nächsten Wahl einen Wechsel vornehmen könnte, ohne das Parteivolk zu brüskieren. Bei diesem könnte Rendi-Wagner zuletzt mit ihrem sachlichen und kompetenten Auftreten in der Coronakrise gepunktet haben. Hier wirkte die Impfmedizinerin auch deutlich sattelfester und vor allem ungekünstelter als etwa bei der Wahlbewegung im vergangenen Jahr.
Vollkommen untergehen dürfte bei der Präsentation am Mittwoch der inhaltliche Teil der Befragung. Denn dieser wird nicht nur von der Führungsfrage überlagert, sondern ist von der Coronakrise mittlerweile überholt. Eigentlich war ja vorgesehen, dass die Basis durch Gewichtung 15 sozialdemokratischer Kernthemen den Kurs der kommenden Monate vorgibt. Dieser wird aber wohl, egal was die SPÖ-Mitglieder wünschen, von der Pandemie und all ihren Folgen bestimmt.
Zusammenfassung
- Erstmals seit Jahrzehnten ist nicht der erste der wichtigste Mai-Tag für Österreichs Sozialdemokratie.
- Denn am sechsten dieses Monats entscheidet sich, ob die SPÖ mitten in der Coronakrise jemand neuen für den Parteivorsitz suchen muss.
- Die aktuelle Chefin Pamela Rendi-Wagner hat ihren Verbleib vom Ausgang einer Mitgliederbefragung abhängig gemacht, deren Ergebnis am Mittwoch präsentiert wird.