Ansage an Kocher: "Wer weniger verdient, kriegt schon weniger raus"
"Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen", sagte Martin Kocher, der in der Regierung auf einem ÖVP-Ticket als Wirtschafts- und Arbeitsminister wirkt, in einem Interview mit dem "Kurier". Dieser Vorstoß zu Ungunsten von Teilzeitkräften - den Kocher inzwischen relativiert hat - löste auch bei "WildUmstritten" mit Moderator Werner Sejka eine lebhafte Debatte aus.
Bohrn Mena: Wer weniger einzahlt, kriegt weniger raus
Arbeitsmarktexpertin Veronika Bohrn Mena konnte dem Ansatz des Ministers erwartungsgemäß nichts abgewinnen. "Es ist ja so, dass sich bei den Sozialleistungen sowohl das Arbeitslosengeld, das Krankengeld als auch die Pensionsversicherung nach der Höhe des Einkommens richten. Jemand, der teilzeitbeschäftigt ist und deshalb weniger verdient, zahlt weniger ein und kriegt weniger raus", erinnerte Bohrn Mena. Die einzigen Sozialleistungen, wo dies nicht so sei, "sind die Mindestsicherung, die Notstandshilfe und die Familienbeihilfe", betonte sie. Diese würden explizit nicht davon abhängen, ob man beschäftigt ist oder nicht.
Bohrn Mena erklärte, in welchem Bereich soziale Einschnitte für (Ex-)Teilzeitbeschäftigte wirksam werden würden: "Die Notstandshilfe, die Mindestsicherung und der Ausgleichszulagenrichtsatz sind für alle Menschen gedacht, die ansonsten erfrieren und verhungern." Das seien rund 900 Euro, betonte die Expertin und Autorin, von der zuletzt das Buch "Konzerne an die Kette! So stoppen wir die Ausbeutung von Umwelt und Menschen" erschienen ist. Diese 900 Euro lägen "weit unter der Armutsgrenze", und diesen Ausgleich bekämen häufig ältere Frauen, deren Pension so mickrig ist, dass sie das Geld zum Überleben brauchen.
Bohrn Mena sagte dann, Kocher habe bei seinen Reformideen möglicherweise die Familienbeihilfe gemeint. Wobei sie anmerkte, eine gestaffelte Höhe der Familienbeihilfe sei für die ÖVP bisher immer ein rotes Tuch gewesen.
Kocher-Lob vom Sacher-Chef
Sacher-Chef Matthias Winkler begrüßte hingegen den Vorstoß von Kocher, denn es gebe zu viel Arbeit im Land und zu wenig Leute, die arbeiten wollen. "Vollzeit ist das, was wir uns wünschen", sagte der Hotelier. Vollzeitjobs müsse man attraktiver machen.
Schauspieler Albert Fortell beschwerte sich in der Sozialgelder-Debatte allgemein über die Steuerhöhe in Österreich. "Wenn ich in Österreich heute 2.500 oder 3.000 Euro brutto verdiene, dann darf ich doch nicht mehr als zehn oder zwölf Prozent Steuern zahlen", so die kühne These des Mimen. Anmerkung: Tatsächlich liegt die Lohnsteuer eines Arbeitsnehmers mit einem 3.000-Euro-Gehalt laut dem Brutto-Netto-Rechner des Finanzministeriums bei 344,20 Euro. Weitere 543,60 Euro muss ein Arbeitnehmer mit diesem Gehalt für Sozialversicherungsbeiträge berappen.
Kochers Teilzeit-Vorstoß
Hintergrund der "WildUmstritten"-Diskussion: Arbeitsminister Kocher sagte in einem "Kurier"-Interview, das am Dienstag erschienen ist, er wolle mehr Leute in Vollzeitjobs und bei Teilzeitarbeit hingegen Kürzungen bei den Sozialleistungen. In der Zeitung meinte Kocher: "Wir (die Regierung, Anmerkung) haben die Lohnnebenkosten um 0,4 Prozentpunkte gesenkt. Aber wir brauchen weitere Schritte, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen, wie eine geringere Abgabenbelastung und noch treffsicheren Einsatz von Sozialleistungen. In Österreich wird wenig unterschieden bei Sozial- und Familienleistungen, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen."
Nach breiter Kritik, was dies insbesondere für viele Frauen und Alleinerzieherinnen bedeuten würde, ruderte Kocher im Laufe des Dienstags zurück. Es gehe nicht um Kürzungen von Sozialleistungen, sondern darum, bei Änderungen und Reformen den Teilzeit-Aspekt stärker zu berücksichtigen, meinte er schließlich. Selbstverständlich gehe es bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung auch um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch qualitative Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen, sagte Kocher zur APA.
Wifo hegt Zweifel
Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo sieht zwar ein großes Potenzial darin, Teilzeitbeschäftigte auf Vollzeit umzustellen, denn der Wunsch bei den Beschäftigten sei da, aber: Es müssten auch die Betriebe diese Bereitschaft nutzen - und die Vorschläge von Kocher zu einer Einschränkung der Sozialleistungen seien zu unkonkret, um hier einen Beitrag zu mehr Vollzeitarbeit zu erkennen.
Zum einen gebe es die Universalleistungen wie die Familienbeihilfe oder die Krankenversicherung. Beides seien sogenannte "horizontale Leistungen", bei denen Kinderlose für Familien mit Kindern einzahlen bzw. Gesunde für Kranke. Dies sei unabhängig vom Erwerbsstatus, sagte Wifo-Expertin Christine Mayrhuber zur APA. Ebenfalls kein Ansatzpunkt zur Steigerung seien einkommensabhängige Abgaben, wie für die Arbeitslosenversicherung oder die Pensionen. Denn je weniger der Bürger verdiene, desto weniger zahle er ohnehin bereits dafür ein. Dieses Argument führte auch Bohrn Mena bei "WildUmstritten" ins Treffen.
Für Sozialminister Johannes Rauch von den Grünen stehen Kürzungen bestehender Sozialleistungen nicht zur Diskussion, ließ er am Dienstag wissen.
Zusammenfassung
- In "WildUmstritten" sprachen Arbeitsmarktexpertin Veronika Bohrn Mena, Sacher-Chef Matthias Winkler und Schauspieler Albert Fortell über den jüngsten Vorstoß von Arbeitsminister Kocher.