Biden-Putin-Treffen in Genf: Worum es geht und was zu erwarten ist
Die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und den USA sind aktuell so schlecht wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Die beiden Atommächte unterhalten aktuell nicht einmal mehr Botschaften im jeweils anderen Land. Beim persönlichen Gipfeltreffen der beiden Präsidenten wollen diese Kompromisse zur Normalisierung der Beziehungen finden. Beide betonten im Vorfeld aber auch, "rote Linien" festlegen zu wollen.
Biden und Putin: "Karrierist" trifft auf "Killer"
Genf scheint als Veranstaltungsort zumindest ein gutes Omen zu sein. Hier fanden 1985 Gespräche zwischen dem sowjetischen Regierungschef Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan statt, die den Kalten Krieg nachhaltig entschärften und Vorarbeit für Abrüstungsabkommen leisteten.
Dass es zu einer ähnlichen Entspannung zwischen den Atommächten kommt, ist eher unwahrscheinlich - zu groß sind die Konfliktherde, allen voran die Ukraine und die Behandlung des russischen Oppositionellen Nawalny. Zumindest in manchen Themen sind eine Arbeitsbeziehung und Kompromisse aber möglich, etwa wenn es um atomare Abrüstung oder das iranische Atomprogramm geht.
Lukas Mandl, dem ÖVP-Außenpolitiksprecher im Europaparlament spricht u.a. mit PULS 24 über die Friedensbeziehungen zwischen Russland und dem Westen.
Wie der Ablauf ist
Während Biden am späten Dienstnachmittag in Genf eingetroffen ist, wird Putin erst am Mittwoch dort ankommen. Nach Angaben des außenpolitischen Berater im Kreml, Juri Uschakow, beginnt der Gipfel in der Villa La Grange am Genfersee um 13 Uhr (MESZ). Zunächst sei ein Small Talk geplant, dann gehe es in erweiterter Runde weiter. Mit an Ort und Stelle seien auch die Außenminister beider Länder, Antony Blinken und Sergej Lawrow. Der Kreml erwartet bei dem Gipfel eine Sitzungsdauer von vier bis fünf Stunden - unterbrochen durch mehrere Pausen.
Nach ihrem Treffen werden die beiden Präsidenten getrennt eine Pressekonferenz geben. Danach will Putin laut dem Kreml noch den Schweizer Bundespräsidenten Guy Parmelin treffen. Biden trifft Parmelin bereits am Dienstag. Er kommt vom G7-Gipfel in Cornwall sowie einem Treffen mit EU-Spitzenvertretern in Brüssel.
Welche Themen auf der Agenda stehen
Menschenrechte und der Fall Nawalny
Biden hat angekündigt, dass seine Regierung in der globalen Einhaltung der Menschenrechte einen Schwerpunkt legen will. Dabei sollen Verstöße offen angesprochen werden. Wiederholt haben die USA den Umgang Russlands mit Nawalny kritisiert und dessen Freilassung gefordert. Der Kreml betont, dies sei eine innere Angelegenheit Russlands. Man werde sich auch nicht von einem Land belehren lassen, das selbst Probleme mit der Einhaltung der Menschenrechte habe.
Atomwaffen
Die beiden weltgrößten Atommächte streben eine weitere Rüstungskontrolle und ein stabiles Verhältnis ihrer beiden Streitkräfte an. Im Februar hatten die Kontrahenten daher den neuen Start-Vertrag verlängert, der die Zahl der strategischen Nuklearköpfe, Raketen und Kampfbomber limitiert. Moskau will den Vertrag auf neuere Systeme ausweiten und strebt eine lange Laufzeit an. Zudem will Russland nach Ablauf des INF-Vertrag 2019 eine neue Vereinbarung treffen, keine landgestützten Kurz- und Mittelstrecken-Nuklearraketen in Europa mehr zu stationieren.
Ukraine
Nach der russischen Annexion der Krim 2014 sind die USA einer der engsten Verbündeten der Ukraine. Nach dem als völkerrechtswidrig bewerteten Schritt sind die Beziehungen des Westens zur Regierung in Moskau auf einen Tiefpunkt seit Ende des Kalten Kriegs gesunken. Die USA und die Europäische Union bestehen darauf, dass Russland die Krim an die Ukraine zurückgibt und der Regierung in Kiew die Kontrolle über das gesamte Land überlässt - einschließlich des Ostens, der von prorussischen Separatisten beherrscht wird. Der NATO-Gipfel hatte am Montag bekräftigt, dass die Ukraine Mitglied der Allianz werden könne. Biden fordert von der Regierung in Kiew aber, mehr gegen Korruption zu unternehmen und auch andere Kriterien für einen Beitritt zu erfüllen.
Putin hat klargemacht, dass die Ukraine für ihn eine "rote Linie" darstelle. Dies betreffe eine Mitgliedschaft des Landes in der NATO genauso wie die Tatsache, dass die Krim russisch sei. Die Regierung in Kiew hat der russische Präsident aufgefordert, direkt mit den Separatisten im Osten über die Einheit des Landes zu verhandeln.
Botschafter und diplomatischer Dienst
Der Status der bilateralen diplomatischen Beziehungen ist ein Gebiet, bei dem es Fortschritte geben könnte. Russland hatte im März seinen Botschafter in Washington zurückgerufen, nachdem Biden in einem Interview Putin als "Killer" bezeichnet hatte. Im April war der US-Botschafter in Moskau dann zu Konsultationen nach Washington zurückgekehrt. Eine Verständigung, dass beide Botschafter ihre Posten wieder einnehmen, wäre ein Signal für einen Fortschritt in den eingefrorenen Beziehungen. Auch eine Vereinbarung in Visa-Fragen und den Status von Botschaftsmitarbeitern ginge in diese Richtung. Russland hat im Gegenzug von US-Sanktionen die Zahl der US-Diplomaten in Moskau eingeschränkt. Zudem nahm Russland eine Vereinbarung zurück, wonach sich Diplomaten im jeweils anderen Land freier bewegen können.
Cyber-Kriminalität
Angriffe mit sogenannter "Ransomware" (Erpresser-Software), die Russland zugeschrieben werden, beunruhigen die USA. Die US-Bundespolizei FBI hat bisher allerdings keine Beweise dafür vorgelegt, dass die russische Regierung in die Angriffe etwa auf die Pipeline Colonial verstrickt ist. Russland selbst weist die Vorwürfe als absurd zurück. Biden ist entschlossen, das Thema in Genf zur Sprache zu bringen. Putin hat gesagt, er sei bereit zu kooperieren, wenn auch die USA Erkenntnisse teilten. In diesem Zusammenhang könnte Biden auch mutmaßliche russische Interventionen in die US-Politik ansprechen, die die Regierung in Moskau ebenfalls dementiert.
Gefangene
Russland hält den früheren US-Soldaten Paul Whelan wegen Spionagevorwürfen fest. Zudem sitzt der frühere US-Soldat Trevor Reed wegen eines mutmaßlichen Angriffs auf einen Polizisten in russischer Haft. Beide bestreiten die Vorwürfe. Die Familien der beiden US-Bürger haben im Vorfeld des Gipfels intensiv für deren Freilassung geworben. Gefragt, ob er einen Gefangenenaustausch erwägen würde, antwortete Putin bei NBC News: "Ja." Im Gegenzug zu den früheren US-Soldaten könnte der russische Waffenhändler Viktor Bout und der Pilot Konstantin Jaroschenko aus US-Haft freikommen. Letzterem wird eine Verschwörung zum Kokainschmuggel vorgeworfen.
Zusammenfassung
- Am Mittwoch treffen sich US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin in Genf zu Gesprächen. Beide Regierungschefs wollen "rote Linien" aufzeigen, suchen aber auch nach Kompromissen als Ausweg aus dem aktuellen diplomatischen Tiefpunkt.