Polizei beim Flüchtlingscamp LipaELVIS BARUKCIC / AFP

Anhaltende Gewalt an EU-Außengrenzen: "Hilfe vor Ort wird Gefängnis"

Der Europarat kritisiert in seinem Jahresbericht erhebliche Missstände an den EU-Außengrenzen. Migrant:innen sind dort Gewalt und illegalen Zurückweisungen ausgesetzt. Auch Österreich sei involviert, prangert die NGO SOS Balkanroute an. Sie befürchtet die Entstehung eines Gefängnisses in Bosnien und Massenabschiebungen - auch nach Afghanistan.

"Pushbacks sind illegal, inakzeptabel und müssen aufhören", stellte Alan Mitchell, der Vorsitzende des Anti-Folter-Komitees (CPT) des Europarats bei der Präsentation des Jahresberichts unmissverständlich klar. Dennoch passiert an den EU-Außengrenzen genau das, wie der Bericht aufzeigt. 

Das CPT kritisierte die Gewalt von Beamten bei Festnahmen oder illegalen Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen. Polizist:innen, Mitglieder der Küstenwache oder andere Beamt:innen würden Migrant:innen "Ohrfeigen, Schläge mit Schlagstöcken" oder Schläge mit "Läufen von automatischen Waffen, Holzstöcken oder Ästen" zufügen. Die Expert:innen berichteten zudem von weiteren Formen von "unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung".

Grenze nackt überquert

Migrant:innen wurden demnach teils mit verbundenen Händen in Flüsse gestoßen, mussten sich ausziehen und barfuß zurück über die Grenze laufen. Einige Schutzsuchende hätten nackt die Grenze in ein Drittland überqueren müssen. Die Experten stützen sich auf Besuche im vergangenen Jahr, unter anderem in Ländern mit EU-Außengrenzen wie Kroatien, Italien, Polen und Griechenland. Der Bericht reiht sich in eine Reihe von Medienberichten und Erfahrungen von NGOs und Menschenrechtsaktivist:innen ein. Auch PULS 24 machte sich im Herbst ein Bild vor Ort an der ungarischen Außengrenze.

Mehr dazu:

Viele Länder in Europa seien an ihren Grenzen zwar mit "sehr komplexen Herausforderungen der Migration" konfrontiert, trotzdem dürften sie ihre "Menschenrechtsverpflichtungen" nicht ignorieren, forderte CPT-Präsident Mitchell. Staaten sollen eine ordnungsgemäße Registrierung von ankommenden Migrant:innen garantieren und die Möglichkeit für diese, Asyl zu beantragen.

"Die Erkenntnisse des Anti-Folter-Komitees bestätigen einmal mehr, dass an den EU-Grenzen täglich Recht gebrochen wird", sagte dazu auch NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper. "Die österreichische Bundesregierung sollte sich daher für ordentliche Kontrollen, eine faire Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb der EU und für effiziente Rückführungsabkommen einsetzen, statt mit rechtsbrechenden, unsolidarischen Staaten wie Ungarn und Serbien gemeinsame Sache zu machen." 

Pushbacks nach Bosnien

Besondere Kritik gibt es derzeit auch an der Situation zwischen Bosnien-Herzegowina und dem neuen EU-Mitglied Kroatien. Auch hier soll die österreichische Regierung eine umstrittene Rolle einnehmen. Am Wochenende sollen 180 Migrant:innen aus Kroatien ins westbosnische Flüchtlingcamp Lipa gebracht worden sein. Das ist jenes Camp, das wegen der unmenschlichen Zustände immer wieder in den Schlagzeilen landete. 2020 brach dort ein Brand aus

TV-Bericht vom Brand 2020.

Für den Wiederaufbau hat Österreich gezahlt: Insgesamt 820.000 Euro - davon 480.000 für den Ausbau der Strom-, Elektrizitäts- und Wasserversorgung, 17.000 Euro für einen Krankenwagen und 320.000 Euro für die Anschaffung von 71 Wohn- und Schlafcontainern. Das zeigte eine parlamentarische Anfrage durch Stephanie Krisper an das Innenministerium. Dass das Camp nun vor dem Besuch des EU-Botschaftes Johann Sattler "gefüllt" wird, stößt SOS-Balkanroute besonders sauer auf, wie Obmann Petar Rosandić im Gespräch mit PULS 24 sagt. Es gehe darum, mehr Geld von der EU zu bekommen. 

Rosandić, der auch als als Rapper Kid Pex bekannt ist, kritisiert, dass auch diese Abschiebungen von Kroatien nach Bosnien gegen das Non-Refoulement-Prinzip der Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen würden. Es soll aber einen entsprechenden Deal zwischen dem kroatischen Innen- und dem bosnischen Sicherheitsministerium geben.

"Kickls Fantasien": "Gefängnis" in Lipa

Vor Ort sorgt das aber für Aufregung, die lokale Politik in Bosnien soll nicht informiert worden sein. Auch nicht informiert wurde sie scheinbar, dass das Camp in Lipa bei der Kleinstadt Bihać umgebaut werden soll. Neben dem Camp soll dort eine Art Gefängniseinheit entstehen, wie lokale Medien berichten. "Herbert Kickls Fantasien über das Konzentrieren von Menschen sind in Lipa leider Realität geworden, realisiert von einer türkisgrünen Regierung", sagt Rosandić. Aus Österreichs Hilfe vor Ort werde ein "Gefängnis". Er befürchtet, dass das Camp zu einem Abschiebelager wird - auch nach Afghanistan. 

"Es stellt sich die Frage, ob Bosnien-Herzegowina tatsächlich, unter Druck der EU und vor allem Österreichs, nun auch noch Abschiebungen ins Land der Taliban plant", so der SOS Balkanroute-Gründer. Lokale Medien zitieren das bosnische Fremdenamt, welches sich auf Vereinbarungen mit der EU beruft und von geplanten Abschiebungen in die Herkunftsländer spricht. "Das wäre der nächste Skandal. Wahrscheinlich wurden hier aber, wie so oft auf der Balkanroute, Menschen mit anderer Hautfarbe einfach wahllos in Busse gesteckt und in isolierte Lager gebracht". 

Lokaler Widerstand, Abkommen mit Österreich

Lokale Politiker kündigen aber Bereits Widerstand an: "Wenn das so weiter geht, wird unser Kanton erneut zum Flaschenhals", kritisierte etwa der Premierminister des betroffenen bosnischen Kantons, Mustafa Ružnić. Er kritisiert, dass er nicht informiert worden sei und fordert Erklärungen vom Sicherheitsministerium. Elvedin Sedić, Bürgermeister von Bihać kündigte an, beim Besuch von EU-Botschafter Johann Sattler kommende Wochen "klare Antworten" fordern zu wollen. "In den Bauplänen, die uns für Lipa vorgelegt wurden, war nie ein Gefängnis geplant. Niemand hat uns informiert". 

Österreich hat mit Bosnien-Herzegowina 2021 ein Abkommen bei Abschiebungen getroffen. Die Cobra sollte eine gemeinsame Übung mit bosnischen Grenzschutzbeamten abhalten, wurde damals angekündigt. "Wenn Österreich den Westbalkanländern helfen will, dann soll es diese Länder beim Aufbau von rechtsstaatlichen Asylverfahren unterstützen. Wenn allerdings Menschen, die in diesen Ländern keine fairen Verfahren erwarten können, einfach abgeschoben werden sollen und Österreich dabei hilft, macht es sich zum Komplizen eines Völkerrechtsbruches", kritisierte beispielsweise die Diakonie damals.

Mehr dazu:

ribbon Zusammenfassung
  • Der Europarat kritisiert in seinem Jahresbericht erhebliche Missstände an den EU-Außengrenzen. Migrant:innen sind dort Gewalt und illegalen Zurückweisungen ausgesetzt.
  • Auch Österreich sei involviert, prangert die NGO SOS Balkanroute an. Sie befürchtet die Entstehung eines Gefängnisses in Bosnien und Massenabschiebungen - auch nach Afghanistan.