Amnesty sieht Lücken bei Armutsbekämpfung
Für den gut 60-seitigen Bericht wurden seitens der Studienautorinnen und -autoren Experten sowie Bezieher der Sozialhilfe befragt. Vor allem bei vulnerablen Gruppen sieht man Missstände. Für Probleme sorgt etwa, dass Behinderte erst ihre Eltern auf Unterhalt klagen müssen, ehe sie einen Anspruch auf die Sozialhilfe haben. Gleiches gilt für ehemalige Partner nach Trennungen - jeweils nur für den Fall, dass die Erfüllung der Forderungen realistisch ist.
Unangenehm für die Betroffenen ist weiters, dass sie auch die Vermögensverhältnisse von Angehörigen offen legen müssen, wenn diese im selben Haushalt leben. Dies könne zu Abhängigkeiten und Spannungen in einer ohnehin belasteten Situation führen.
Eine weitere Gruppe, der besonders Augenmerk geschenkt wird, sind subsidiär Schutzberechtigte. Diese haben im Gegensatz zu Asylberechtigten keinen Zugang zur Sozialhilfe, sondern können nur die geringer dotierte Grundversorgung beziehen. Ebenfalls keine Sozialhilfe beziehen können nicht-österreichische Staatsangehörige, die weniger als fünf Jahre rechtmäßig und ständig in Österreich aufhältig sind. Für Amnesty birgt dies die Gefahr, prekäre oder ausbeuterische Arbeit annehmen zu müssen.
Auch sprachlich sind vor allem Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache stark gefordert. Die Anträge, die für den Bezug eingebracht werden müssen, sind laut dem Bericht nicht nur zu umfangreich, sondern oft zudem schwer verständlich, selbst für Sozialarbeiter.
Entsprechende Hürden würden oft dazu führen, dass die Sozialhilfe letztlich gar nicht bezogen wird, auch wenn man anspruchsberechtigt wäre. Amnesty bezieht sich auf eine Studie aus dem Jahr 2020, wonach etwa 30 Prozent aller anspruchsberechtigten Haushalte in Wien keinen Antrag auf staatliche Unterstützung gestellt haben, obwohl sie die Voraussetzungen dafür erfüllten. Amnesty geht davon aus, dass sich die Zahl seither sogar erhöht hat. Dazu kommt, dass diverse Bezieher berichten, dass keine adäquate Beratung zur Verfügung gestanden sei.
Als Konsequenz der im Report gewonnen Erkenntnisse und im Vorfeld der Nationalratswahlen in Österreich fordert Amnesty International nun von der Politik, "Armut in Österreich als menschenrechtliches Problem anzuerkennen, das es zu lösen gilt", wie Studienleiterin Ronya Alev in einer Aussendung betont. Das bedeute auch, das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz zu überarbeiten und die bestehenden Zugangsbeschränkungen zu beseitigen.
Konkret will man, dass bei der Sozialhilfe wie davor bei der Mindestsicherung Mindestsätze eingezogen werden. Das neue unter ÖVP und FPÖ eingeführte System wird freilich in drei Bundesländern ohnehin noch immer nicht vollzogen, nämlich in Wien, Tirol und dem Burgenland. Dort ist es möglich, durch weitere Beihilfen über den für Ein-Personen-Haushalte vorgesehenen Maximalbetrag von 1.156 Euro zu kommen.
Kritik an den in der Studie problematisierten Zuständen kam von SPÖ-Volksanwalt Bernhard Achitz. "Es gibt Hinweise, dass Menschen, die eigentlich Anspruch auf Sozialhilfe hätten, durch extensive Auslegung der Mitwirkungspflicht vergrault werden", schrieb er in einer Aussendung. Auch der Volksanwaltschaft kämen immer wieder Fälle unter, wo Erwachsene ihre Eltern klagen sollen, oder Pensionisten und Pensionistinnen deren Kinder.
Der Bericht war auch Anlass für mehrere NGOs, abermals Kritik an der Sozialhilfe zu üben. Statt in einer Krisensituation Schutz zu bieten, führe das neue Gesetz zu einer Ausbreitung der Not, bemängelte etwa die Armutskonferenz in einer Aussendung. Österreich sei das einzige Land der EU, dessen Verfassung keine sozialen Grundrechte beinhaltet, meinte außerdem das Vertretungsnetz. Diese Lücke sollte geschlossen werden.
Zusammenfassung
- Amnesty International bemängelt in einem 60-seitigen Bericht restriktiven Zugang und inadäquate Obergrenzen des österreichischen Sozialhilfesystems, was vor allem vulnerable Gruppen benachteiligt.
- Etwa 30 Prozent der anspruchsberechtigten Haushalte in Wien stellen keinen Antrag auf Sozialhilfe, obwohl sie die Voraussetzungen erfüllen, oft aufgrund von sprachlichen und bürokratischen Hürden.
- Im Vorfeld der Nationalratswahlen fordert Amnesty die Anerkennung von Armut als menschenrechtliches Problem und eine Überarbeitung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes, einschließlich der Einführung von Mindestsätzen.