Ärzte ohne Grenzen: "Apokalyptische Situation" im Ostkongo
Vor allem die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Goma Ende Jänner sei "extrem brutal" erfolgt. "Es werden jetzt noch laufend Leichen geborgen, das ganze Ausmaß lässt sich noch gar nicht erkennen", erklärt Bachmann, der seit Anfang des Jahres als Einsatzleiter in der Provinzhauptstadt Bukavu tätig ist. Laut offiziellen Angaben wurden in dem aktuellen Konflikt bisher rund 3.000 Menschen getötet und Hunderttausende vertrieben.
Noch vor der Einnahme Gomas hätten die Rebellen unter anderem die Stadt Minova , in der Ärzte ohne Grenzen (MSF) ein großes Krankenhaus unterstützt, überrannt. "Die meisten Menschen hatten gar keine Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, inklusive unserem Team.", so Bachmann. "Es waren wirklich dystopische, apokalyptische Verhältnisse, wir waren nur in der Lage, absolut lebensrettende medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten", so der Experte.
Zwar konnte seither die Hilfe wieder langsam hochgefahren werden, doch ist in vielen Teilen die Stromversorgung und damit auch das Kommunikationsnetz zusammengebrochen. In Goma oder Minova sei etwa auch die medizinische Infrastruktur wie Spitäler durch die Kampfhandlungen beschädigt, zerstört oder geplündert worden.
Anfang der Woche hatten die Rebellen damit gedroht, auf Bukavu, das rund 200 Kilometer südlich von Goma liegt, vorzurücken. In der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu spüre man große Panik", schildert Bachmann. Die Menschen hätten "enorme Angst" vor den Kämpfen und würden versuchen zu fliehen - "wenn sie überhaupt schnell genug fliehen können". Mancherorts breche die Infrastruktur angesichts der Zigtausenden Binnenflüchtlinge zusammen, teilweise gebe es keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser mehr.
Gefährlich sei die Situation für die Zivilbevölkerung vor allem in den Zonen hinter der Frontlinie, die "auf beiden Seiten extrem militarisiert" seien. Es komme immer wieder zu Übergriffen auf die Bevölkerung, zu Zwangsrekrutierungen und sexueller Gewalt.
Unter diesen Umständen und vor allem mit der extremen Unsicherheit eines möglichen Überfalls durch die Rebellen weiterhin humanitäre Hilfe zu leisten, sei "extrem, extrem schwierig", erklärt Bachmann. "Wenn alle Dämme brechen" - also sollte es tatsächlich zu Kampfhandlungen direkt in Bukavu kommen - "müssten wir unsere Hilfe zumindest vorübergehend einstellen. Das ist hoffentlich nicht der Fall, wir werden alles Erdenkliche tun, um die die medizinische Notfallversorgung der Menschen hier sicherzustellen, so lange es unter einigermaßen vertretbaren Umständen möglich ist".
Internationale Rufe nach eine sofortigen Waffenruhe und der Aufnahme von Verhandlungen mit der Rebellengruppe M23 blieben bisher ungehört. Man könne nur hoffen, dass jetzt "hinter den Kulissen stille Diplomatie" betrieben werde, betont Bachmann. Gleichzeitig appelliert er an die Konfliktparteien, internationales humanitäres Völkerrecht zu respektieren: "Zivilistinnen und Zivilisten dürfen nicht das Ziel von militärischen Angriffen sein." Zudem müssten medizinische Einrichtungen sowie medizinisches Personal respektiert und der Zugang für humanitäre Nothilfe sichergestellt werden.
Das Wiederaufflammen des Konflikts im Osten des Kongo hat seit Anfang 2022 Tausende Menschen das Leben gekostet und mehr als eine Million in die Flucht getrieben. Der Kongo, die Vereinten Nationen und mehrere westliche Länder beschuldigen Ruanda, die M23-Rebellen zu unterstützen und zu bewaffnen. Die kongolesische Regierung wirft Ruanda vor, es auf die wichtigen Rohstoffe der Region abgesehen zu haben. Dort werden einige der seltensten und wertvollsten Metalle der Welt abgebaut, darunter Gold, Nickel, Kobalt, Kupfer und das Erz Coltan - vieles, was zum Beispiel für die Herstellung von Smartphones nötig ist. Ruanda wiederum spricht vom Schutz seiner territorialen Sicherheit und der Volksgruppe der Tutsi im Kongo.
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Zusammenfassung
- Der Vormarsch der M23-Rebellen im Ostkongo hat seit Anfang 2022 Tausende Menschenleben gefordert und mehr als eine Million in die Flucht getrieben.
- In der Stadt Goma wurden bei der brutalen Einnahme durch die Rebellen rund 3.000 Menschen getötet, während die medizinische Infrastruktur stark beschädigt wurde.
- Ärzte ohne Grenzen kämpft unter extrem schwierigen Bedingungen, um die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, während internationale Aufrufe zu einer Waffenruhe bisher ungehört blieben.