20 Tote nach Raketenangriff auf Winnyzja in Zentralukraine
Die Stadt liegt rund 200 Kilometer südwestlich von Kiew und fernab der Hauptfronten im Osten und Süden der Ukraine. Das ukrainische Militär teilte mit, Russland habe von einem U-Boot im Schwarzen Meer aus Kalibr-Raketen auf Winnyzja abgefeuert. Nach Angaben der örtlichen Behörden waren unter den Todesopfern auch zwei Kinder. Wohn- und Bürogebäude seien bei dem Angriff zerstört oder schwer beschädigt worden. Der Polizei zufolge mussten rund 90 Verletzte medizinisch behandelt werden, etwa 50 von ihnen befanden sich in einem kritischen Zustand. Unabhängig konnten die Angaben zunächst nicht überprüft werden.
In Filmaufnahmen war zu sehen, wie dichter schwarzer Rauch aus einem großen Gebäude drang. Fotos, die der ukrainische Rettungsdienst online stellte, zeigten Trümmer und ausgebrannte Auto. Auch ein umgestürzter Kinderwagen war zu sehen. Laut den Einsatzkräften gab es einen Raketeneinschlag an einem neunstöckigen Bürogebäude. "Leider gibt es wahrscheinlich keine Hoffnung, (unter den Trümmern) Überlebende zu finden", sagte ein Vertreter des Rettungsdienstes.
Vom russischen Verteidigungsministerium gab es zunächst keine Stellungnahme zu den Berichten. Russland hat wiederholt Vorwürfe von sich gewiesen, zivile Ziele ins Visier zu nehmen. Auch weist die Regierung in Moskau Anschuldigungen zurück, dass die russischen Truppen in der Ukraine Kriegsverbrechen begingen.
Der Angriff auf Winnyzja passt eigentlich nicht ins derzeitige Kriegsgeschehen, da sich die russischen Truppen vor allem auf die Region Donezk im Osten der Ukraine konzentrieren. Nach Luhansk soll auch dieses Gebiet vollständig eingenommen werden. Dann hätte Russland die volle Kontrolle über den Donbass, die industriell geprägte Region, die bereits seit 2014 teilweise von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird. Am Donnerstag griffen russische Truppen erneut die Stadt Kramatorsk in Donezk an. Raketen seien im Industriegebiet eingeschlagen, schrieb Bürgermeister Olexandr Hontscharenko auf Facebook. In einigen Teilen der Stadt sei der Strom ausgefallen.
Aber auch im Süden gingen die Angriffe weiter. Die Stadt Mykolajiw lag nach Angaben von Bürgermeister Olexandr Senkewytsch weiter unter russischem Beschuss. Mehrere zivile Gebäude seien getroffen worden, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst Telegram. Mykolajiw liegt unweit von Odessa, der größten ukrainischen Hafenstadt, die bereits vereinzelt unter Beschuss geraten ist. Die Ukraine fürchtet, dass Russland auch die Hafenstadt einnehmen will, um dann die gesamte Küste des Schwarzen Meeres zu kontrollieren.
Die russischen Streitkräfte fügten nach eigenen Angaben mit schweren Artillerie-, Luft- und Raketenangriffen dem ukrainischen Militär hohe Verluste zu. Die jüngsten Luftschläge hätten die Ukrainer bis zu 1.000 Soldaten und mehr als 100 Militärfahrzeuge und Waffensysteme gekostet, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Donnerstag. Unabhängig ließen sich diese Angaben nicht überprüfen.
Unter anderem seien in Tschassiw Jar im ostukrainischen Gebiet Donezk 43 Soldaten getötet und 170 verletzt worden, sagte Konaschenkow. Die Ukraine hatte am Samstag einen Luftschlag auf ein Wohnhaus in der Kleinstadt gemeldet. Inzwischen sind nach ukrainischen Angaben 48 tote Zivilisten aus den Trümmern geborgen worden.
Der russische Armeesprecher berichtete zudem vom erneuten Einsatz der seegestützten Kalibr-Raketen. Die Lenkwaffen mit mehreren Hundert Kilometern Reichweite seien auf eine Fabrik für Hochspannungsanlagen in Saporischschja abgefeuert worden und hätten mehrere dort in den Hangars stehende Raketenwerfer vernichtet.
Die ukrainische Armee treibt unterdessen nach eigenen Angaben ihre Offensive gegen die von Russland besetzten Gebiete im Süden des Landes voran. Zwei Straßenkontrollen und ein Landeplatz seien angriffen worden, teilten Regierungsvertreter am Donnerstag mit. Bei den Vorstößen auf Nowa Kachowka in der Region Cherson seien 13 "Besatzer" getötet worden, zitierte der Sprecher der Regionalverwaltung Odessa, Serhij Bratschuk, den militärischen Stab im Süden der Ukraine. Von russischer Seite war zunächst keine Stellungnahme zu den Angaben zu erhalten.
Russlands Präsident Wladimir Putin machte unterdessen den Weg für eine stärkere Ausrichtung der russischen Wirtschaft auf Bedürfnisse der Armee frei. Der Kremlchef unterzeichnete am Donnerstag ein Gesetz, das der Regierung "Spezialmaßnahmen" für Militäreinsätze im Ausland erlaubt. Damit können einzelne Branchen zur Belieferung der Streitkräfte verpflichtet werden. Zudem können Arbeiter in diesen Betrieben zu Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit sowie zum Verzicht auf Urlaub gezwungen werden.
Auf eine Frage, unter welchen Umständen die Regierung gedenke, solche Maßnahmen umzusetzen, antwortete Kremlsprecher Dmitri Peskow nach Angaben der Agentur Interfax lediglich: "In dem Maße, in dem die Regierung es für sinnvoll hält, hat sie das Recht, sie (die Maßnahmen) anzuwenden." Vergangene Woche hatte das Parlament das Gesetz verabschiedet. Vize-Regierungschef Juri Borissow begründete es unter anderem mit den westlichen Sanktionen gegen Russland und den westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine.
Russland führt seit Ende Februar Krieg gegen das Nachbarland. Seitdem betont Moskau immer wieder, dass bei der "militärischen Spezial-Operation" - wie der Krieg offiziell nur genannt wird - alles "nach Plan" laufe. Internationale Militärexperten weisen hingegen darauf hin, dass Russland deutlich mehr Soldaten und Ausrüstung verloren haben dürfte als offiziell angegeben.
Zusammenfassung
- Bei einem russischen Raketenangriff auf die zentral-ukrainische Stadt Winnyzja sind laut Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag mindestens 20 Zivilisten getötet und Dutzende verletzt worden.
- Die Stadt liegt rund 200 Kilometer südwestlich von Kiew und fernab der Hauptfronten im Osten und Süden der Ukraine.
- Die Stadt Mykolajiw lag nach Angaben von Bürgermeister Olexandr Senkewytsch weiter unter russischem Beschuss.