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Zwei starke Frauen, viele nackte Männer: "Maria Stuart"

Neben Friedrich Schiller standen für diese "Maria Stuart" wohl vor allem zwei Künstler Pate: Vanessa Beecroft und Spencer Tunick. An deren Installationen und Performances fühlt man sich nämlich bei Martin Kušejs Inszenierung angesichts von 30 nackten Leibern auf der Bühne sofort erinnert. Die Komparsen sind in wechselnden Formationen fast ständig auf der Bühne präsent. Die Koproduktion mit dem Burgtheater feierte am Samstag auf der Halleiner Perner-Insel Festspiel-Premiere.

Eines muss man dem Burgtheater-Direktor lassen: Alles, was er angekündigt hatte, ist eingetroffen. Der Rahmen dieses ungewöhnlichen Abends, der etwas über zweieinhalb Stunden dauert und ohne Pause gespielt wird, ist "eine Art Environment, darin acht Individuen, acht Protagonisten, die auf Teufel komm raus Schiller spielen", hatte er versprochen. Sprache sollte das zentrale Element sein, um in eine "Emotionsmaschine" hineingezogen zu werden: "Die Schiller'sche Injektion mit Emotion und Pathos funktioniert heute immer noch." Da kann man ihm nur beipflichten. Man möchte nur leise Zweifel anmelden, ob es den Kunstgriff mit den nackten Leibern der Komparserie auch wirklich braucht.

Wie schon Romeo Castelucci in seinem stummen "Don Giovanni"-Frauenchor aus Salzburger Statistinnen setzt auch Kušej auf Geschlechter-Uniformität. Ob durch nackte Haut und strammes Stehen aber tatsächlich ein Rahmen toxischer Männlichkeit geschaffen wird, der über die Auseinandersetzungen der beiden Rivalinnen Elisabeth von England und Maria von Schottland etwas zu erzählen vermag, sei dahingestellt. Da erzählt das Verhalten jener sechs Männer, auf die die Strichfassung das Personal am Hofe reduzierte, deutlich mehr über das Verhältnis von Geschlecht und Macht. Immerhin findet der Regisseur auch zu manchen bewegten Bildern, in denen die 30 mitunter auch in Mäntel gehüllten Männer eine schlüssigere Rolle spielen können. Und er verzichtet in drei zentralen Szenen ganz auf sie. Dann lenkt in dem türenlosen, von schwarzer Erde bedeckten Spielraum (Bühne: Annette Murschetz) nichts von den beiden Königinnen ab - eine Wohltat. Denn Birgit Minichmayr als Maria Stuart und Bibiana Beglau als Elisabeth sieht und hört man gebannt zu. Vor allem Minichmayr geht beeindruckend selbstverständlich mit Schillers Sprache um.

Maria Stuart ist inmitten von Männern eine Gefangene, an die alle Hand anlegen dürfen. Die Hände mit einem langen, roten Strick auf den Rücken gefesselt, gehen der Wärter Paulet (Rainer Galke), dessen Neffe Mortimer (Franz Pätzold), aber auch Burleigh, der oberste Strippenzieher an der Seite der Königin (aasig: Norman Hacker) nach Belieben grob mit ihr um. Dass nicht nur der rechtschaffene Shrewsbury (Oliver Nägele), sondern auch Mortimer und Leicester (blass: Itay Tiran) als von der Liebe geleitete Doppelspieler ihr Gutes wollen, erschließt sich erst im Laufe der Ränke des Dramas. Minichmayrs Maria überrascht jedoch nichts. Sie rechnet mit dem Schlimmsten - bei der Motivation der Männer ebenso wie bei der Unerbittlichkeit der protestantischen Königin, die sie im Gefängnis verschmachten lässt, weil sie Ansprüche auf den englischen Thron erheben könnte.

Die Konfrontation der beiden Rivalinnen wird - bei leergeräumter Bühne und unter einer hin- und herschwingenden Glühbirne, der Höhepunkt des Abends. Beide können nicht aus ihrer Haut, und Maria Stuart genießt jedoch wenigstens den Triumph, der ihr nach dem Leben Trachtenden es noch einmal so richtig reingesagt zu haben. Hier wirkt Bibiana Beglau als Elisabeth erstaunlich schwach und schwankend. Ihr großer Moment kommt erst. Glaubt man vorerst, dass die Schlange, die sich der Männer nach Belieben bedient, vielleicht doch ein Herz zeigt, sieht man sie in einer fast kabarettistischen Szene zunächst in großen roten Lettern auf den nackten Rücken der allgegenwärtigen Männer das Todesurteil unterzeichnen, dann aber Tim Werths als Davison einen so kryptischen Befehl geben, wie mit diesem Urteil zu verfahren sei, dass dieser bereits ahnt: Egal, wie er handeln wird - er wird verloren sein.

Diese "Maria Stuart" liefert ein eindeutiges Statement zur Quotenfrage. 36:2 lautet zugunsten der Männer das Geschlechterverhältnis auf der Bühne. Doch die beiden Frauen haben alle Fäden in der Hand, sogar wenn sie den Tod vor Augen haben. Viel Premierenjubel um alle Beteiligten, besonders aber um Beglau und Minichmayr. Ab 5. September wird die Aufführung am Burgtheater zu sehen sein.

(S E R V I C E - "Maria Stuart", Trauerspiel von Friedrich Schiller, Regie: Martin Kušej, Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Heide Kastler, Musik: Bert Wrede. Mit: Bibiana Beglau - Elisabeth, Königin von England, Birgit Minichmayr - Maria Stuart, Königin von Schottland, Itay Tiran - Robert Dudley, Graf von Leicester, Oliver Nägele - Georg Talbot, Graf von Shrewsbury, Norman Hacker - Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh, Rainer Galke - Amias Paulet, Ritter, Hüter der Maria, Franz Pätzold - Mortimer, sein Neffe, Tim Werths - Wilhelm Davison, Staatssekretär. Salzburger Festspiele in Koproduktion mit dem Burgtheater, Perner-Insel, Hallein, Weitere Vorstellungen: 16., 18., 20., 22., 23., 25., 26.8., www.salzburgerfestspiele.at; Premiere am Burgtheater am 5.9., 19 Uhr)

ribbon Zusammenfassung
  • Neben Friedrich Schiller standen für diese "Maria Stuart" wohl vor allem zwei Künstler Pate: Vanessa Beecroft und Spencer Tunick.
  • An deren Installationen und Performances fühlt man sich nämlich bei Martin Kušejs Inszenierung angesichts von 30 nackten Leibern auf der Bühne sofort erinnert.
  • Dann lenkt in dem türenlosen, von schwarzer Erde bedeckten Spielraum nichts von den beiden Königinnen ab - eine Wohltat.