Wiener Festwochen bringen Themen der Jugend zu Gehör
"In den vergangenen Jahren hat bei vielen Menschen ein Nach- und Umdenken stattgefunden, was die Begriffe Erfolg und Misserfolg betrifft", ist sich Rispoli sicher. Wie sehr soziale Traumata im Zuge der Corona-Krise auch Jugendliche betreffen, wollte sie im Rahmen von Workshops herausfinden, an denen Schülerinnen und Schüler aus je einer AHS und einer Berufsschule teilgenommen haben. Die Dialoge, die sie in vertraulichem Rahmen miteinander geführt haben, wurden anonym transkribiert und von Rispoli zu einem einzigen, prototypischen Dialog neu zusammengesetzt. Diesen haben wiederum zwei Jugendliche eingesprochen.
Über Kopfhörer hört jeder Besucher eine der beiden Stimmen, die andere hört der ihm gegenübersitzende Jugendliche. Durch das Nach- und Aussprechen des Gesagten entsteht so ein künstlicher Dialog zwischen Besucher und Jugendlichem. "Die Art, wie die Jungen sprechen, die Themen, die sie bewegen - all das wird in dieser halben Stunde für den Theaterbesucher erfahrbar gemacht", erläutert Rispoli im APA-Interview. "Sie haben in einem 'safe space' gesprochen und so über Themen geredet, die sonst oft zu kurz kommen." Besonders interessant sei der unterschiedliche Blick auf Themen wie Ausbildung und Arbeit sowie Erfolg und Misserfolg, so Rispoli, der es ein besonderes Anliegen war, das Stück im Theater Akzent - einer Institution der Wiener Arbeiterkammer - aufzuführen.
"Für mich überraschend war, dass junge Menschen viel darüber nachdenken, wie wichtig es wäre, sich in unserer stressigen Gesellschaft gegenseitig zu helfen", so Rispoli, die überzeugt ist, dass solche Diskursformate Eingang in den Schulalltag finden sollten. Der Theaterbesucher wiederum erhalte in "Close Encounters" das "Gefühl, einmal jemand anderer sein zu können". So sei es auch möglich, sich selbst einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Apropos Blickwinkel: Ein soziales Experiment führt die Regisseurin, die im Vorjahr mit "Einkommen. Die bedingungslose Rede" die Eröffnungsrede der Wiener Festwochen hielt, im Rahmen der Festwochen-Schiene "Mitten" durch: Seit 2018 ist Rispoli Teil der Initiative "Common Wallet", in der rund zehn Menschen ihr gesamtes individuelles Einkommen auf ein gemeinsames Konto überweisen, von dem wiederum alle Personen des Kollektivs Geld für Ausgaben des täglichen Lebens abheben können.
"Das hat sehr viel mit Vertrauen zu tun", so Rispoli, die ihre Mit-Kontoinhaber einmal wöchentlich trifft. "Damit wollen wir die Tabus und Ungerechtigkeiten, die unser Finanzsystem mit sich bringt, hinterfragen." Die Teilnehmer des "Mitten"-Labors sind eingeladen, in der Gruppe über ihre persönliche Beziehung zu Geld zu sprechen und gemeinsam das Brettspiel "Commonopoly" zu spielen und so ein Modell von Solidarität zu entwerfen. Am 6. Juni haben alle Interessierten die Möglichkeit, im Rahmen eines "Mitten Open House" bei "Commonopoly" mitzuspielen.
(S E R V I C E - Wiener Festwochen: "Close Encounters" von Anna Rispoli. Premiere am morgigen Samstag, 16 Uhr, im Theater Akzent, danach halbstündlich weitere Slots bis 19 Uhr. Weitere Termine am 29. Mai und 4. Juni. Karten und Infos unter www.festwochen.at)
Zusammenfassung
- 50 Stunden Audiomaterial hat die italienische Regisseurin Anna Rispoli für ihre Festwochen-Produktion "Close Encounters" gesammelt.
- Zu hören sind bei der Premiere im Theater Akzent am Samstag aber nur 30 Minuten, wenn sich je ein Besucher und ein Jugendlicher gegenübersitzen, um den voraufgezeichneten Dialog live nach- und mitzusprechen.
- Premiere am morgigen Samstag, 16 Uhr, im Theater Akzent, danach halbstündlich weitere Slots bis 19 Uhr.