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"Villa Orlofsky" im Volkstheater: Strauss in der Hüpfburg

Heute, 10:07 · Lesedauer 4 min

Glücklich ist, wer den gestrigen Premierenabend im Wiener Volkstheater vergisst. Anlässlich des Strauss-Festjahres hat sich Paul-Georg Dittrich mit "Villa Orlofsky" den bacchantischen zweiten Akt der "Fledermaus" vorgeknöpft und aus der beliebtesten Operette eine Art Operettenterror inszeniert - mit Rammstein-Anleihen und Techno-Beats. Ein wenig ratlos ist man schon. Das Programmheft hilft.

Der Champagner steht schon auf der Bühne bereit, noch bevor der Vorhang aufgeht. Der Abend wird musikalisch bewusst wie ein Horrorfilm begonnen. Tobias Schwencke und Christopher Scheuer haben aus Strauss' Motiven ein Klangarrangement im elektronischen Sounddesign geschaffen. Schauplatz ist die Villa des Prinzen Orlofsky aus der "Fledermaus". Im Volkstheater ist das eine wackelige Luftburg, in der die Figuren der berühmten Operette im Dreivierteltakt rülpsen und auf und ab hüpfen. Zum Maskenball gesellen sich brachiale Töne der Neuen Deutschen Härte, Gigi D'Agostino und "Barbie Girl", ein Lied von Aqua, das schon in den Neunzigern grauenvoll war. Ein "Brüderlein und Schwesterlein" wird mit Rammstein-Tönen unterbrochen.

Ganz generell wird an diesem Abend viel gegrunzt, gestöhnt und gequietscht - aber auch gesungen, und da ist Marysol Schalit überragend als Kammerzofe Adele. Ihr Sopran hat Strahlkraft, egal ob sie lacht oder den berühmten Refrain von "Trinke, Liebchen, trinke schnell" anstimmt: "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!" Umwerfend auch der Sopran von Hasti Molavian, die den Prinzen Orlofsky wie eine aufziehbare Puppe spielt.

Der Rest des Septetts besteht aus dem charismatischen Christoph Schüchner, der den Eisenstein mimt, Bettina Lieder als Rosalinde, Fabian Reichenbach soll Frank sein und Opernsänger Christoph Heinrich der Falke. Claudia Sabitzer bekommt keine Rolle zugewiesen, aber spielt auch mit. Die klassischen Figuren der "Mutter-Operette" scheinen aber keine Rolle an diesem abstrusen Abend zu spielen, der nicht nur für die Gäste des Prinzen auf die völlige Erschöpfung zusteuert.

"Dui-Dui-Yeah!"

Im Zentrum der "Fledermaus" steht das Fest bei Orlofsky, eine große Party, auf der die feine Gesellschaft auf dem Vulkan tanzt. Der Lebemann Gabriel von Eisenstein muss ins Gefängnis und will noch einmal so richtig einen drauf machen. Die Operette von Strauss mit Texten von Richard Genée war schon immer eine urkomische Satire mit wunderbaren Melodien, die den Bussi-Bussi-Wienern und -Wienerinnen den Spiegel vorhielt.

Schwer jedoch zu sagen, was einem diese letzte Produktion von Volkstheater-Intendant Kay Voges mitteilen will. Dittrich hat sich für seine dritte Regiearbeit am Haus eine spezielle Sprechtechnik mit den Spielenden erarbeitet, heißt es im Programmheft, sogenannte "Sprechkostüme", irgendwo zwischen Singen, Stottern, Sprechen, Zucken. Die Menschenkostüme mit barocken Perücken sind quietschbunt (Kompliment an die Kostümbildnerin Mona Ulrich) und leicht zu lieben. Die klamaukigen Ticks sind allerdings bizarr. Die Männer greifen sich in den Schritt und stöhnen: "Dui-Dui-Yeah!"

Verbarrikadierte Festgesellschaft rückt nach rechts

Im Palais des Prinzen soll man jedenfalls hinter die gutbürgerliche Fassade blicken können, die Figuren des Hieronymus Bosch und allerlei diffuse Albträume werden auf die Hüpfburg projiziert (Videoart: Robi Voigt). Ein "Gruß von Draußen" weht immer wieder ins Theater in Form von Kameraaufnahmen, die auf Leinwänden abgebildet werden und die Realität darstellen sollen. Denn die Festgesellschaft hat sich verbarrikadiert, ist zu einer "Festung" geworden, heißt es. Realitätsverweigerer.

Die Perücken sind am Ende verrutscht, die Kostüme abgeworfen und die Schminke zerlaufen. Am Tag nach dem Fest trifft man einander anscheinend in der Irrenanstalt wieder. Die Bühne hebt sich. Das Septett trägt nun Dirndl und Lederhosen, denn so wird angedeutet: die Gesellschaft rückt nach rechts. "Wir bauen diese Festung, und der Mörtel ist unser Patriotismus!", posaunt eine Figur. Was eine andere am Ende ins Mikrofon brüllt, ist leider nicht zu verstehen.

In einer Rezension nach der Premiere am 5. April 1874 im Theater an der Wien hieß es, die "Fledermaus" sei aufgenommen worden "mit einem Beifallstosen, das das Haus erzittern machte". Die Wiener und Wienerinnen waren geknickt von der Wirtschaftskrise. Strauss half ihnen wieder auf die Tanzbeine. Das lässt sich vom gestrigen Abend leider nicht behaupten. Nicht nur der Luftburg geht am Ende die Luft aus. Ein zaghaftes Buh, aber dennoch Applaus.

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - "Villa Orlofsky" nach "Die Fledermaus" von Johann Strauss im Volkstheater, Arthur-Schnitzler-Platz 1, 7., Wien. Regie: Paul-Georg Dittrich, Bühne: Pia Dederichs, Kostüm: Mona Ulrich, Musikalische Leitung: Christopher Scheuer, Tobias Schwencke, Videoart: Robi Voigt, Lichtdesign: Voxi Bärenklau, Dramaturgie: Michael Klügl, Mit: Christoph Heinrich, Bettina Lieder, Hasti Molavian, Fabian Reichenbach, Claudia Sabitzer, Marysol Schalit, Christoph Schüchner. Weitere Termine: 21. März, 5., 11. und am 20. April 2025. https://www.volkstheater.at)

Zusammenfassung
  • Die Inszenierung 'Villa Orlofsky' im Wiener Volkstheater ist Teil des Strauss-Festjahres und wurde von Paul-Georg Dittrich inszeniert.
  • Musikalisch wird der Abend mit einem elektronischen Sounddesign von Tobias Schwencke und Christopher Scheuer begleitet, das Rammstein-Anleihen und Techno-Beats umfasst.
  • Marysol Schalit beeindruckt als Kammerzofe Adele mit ihrem strahlenden Sopran, während Hasti Molavian den Prinzen Orlofsky darstellt.
  • Die Aufführung verwendet eine spezielle Sprechtechnik, genannt 'Sprechkostüme', die von Dittrich entwickelt wurde.
  • Die Inszenierung endet mit einer Szene, die auf eine gesellschaftliche Verschiebung nach rechts hinweist, und erhält gemischte Reaktionen vom Publikum.