APA/PETRA MOSER

Theaterstück von Anna Neata geht Österreich auf den Grund

Was passiert, wenn man Österreich auf den Grund geht? Anna Neata tut dies in ihrem zweiten Theaterstück "Die Notwendigkeit, dass ein See verschwindet", das Freitagabend im Linzer Landestheater uraufgeführt wurde, indem sie ein Gewässer auslässt. Und plötzlich klären sich viele Fälle vermisster Frauen ganz von selbst. Neata und das Ensemble unter Regisseur Martin Mader deuten vieles nur an und führen es so nur noch deutlicher vor Augen. Kompakt, skurril, absolut sehenswert.

Ein See, mutmaßlich im Salzkammergut, Urlaubsidylle, "herrlich", wie die Stammgäste Frau und Herr F. nicht müde werden zu schwärmen. Edi betreibt hier Appartements, Else hilft ihm dabei. Die Journalistin Ava will über den See schreiben. Sie kommt aus der Stadt, ist mit dem Bus angereist - sehr suspekt - und peilt jetzt auch noch "etwas Romantisches" mit Else an. Das ist Edi ein Dorn im Auge, seine innere Uhr zeigt noch die 1950er-Jahre, und außerdem ist er selbst scharf auf Else. Und es sind schon wieder Wahlen, man kommt ja kaum noch heraus aus dem Wählen in diesem Land. Das Topthema im Örtchen Seeblick ist aber ein anderes: Der See wird immer wärmer, der Wasserstand immer niedriger und es sind ziemlich viele Bremsen unterwegs - egal, Räucherspiralen sind ja unter der Abwasch.

Schließlich lässt sich das Schwinden des Sees nicht mehr wegignorieren. Der Bundeskanzler a.D/in spe - wer noch einen Tipp braucht: das Stück wurde in der Zeit kurz nach Auftauchen des Ibiza-Videos geschrieben - glaubt sich der Sache annehmen zu müssen. "Mit uns gibt es einen Plan", verspricht er. Dass das Stück und der Österreich-Plan des aktuellen Kanzlers am selben Tag auf Bühnen präsentiert wurden, ist eine den Theatermachern vom Schicksal geschenkte Pointe. Der Kanzler im Stück erntet jedenfalls mit seinem sinnbefreiten Wording "Der Klimawandel ist nicht die Lösung des Problems" breite Zustimmung und kündigt an, man werde "den Dingen auf den Grund gehen". Der See soll ausgelassen und an anderer Stelle wieder eingelassen werden.

Ein Countdown der kleinen Larilara weist auf dieses Ereignis hin, nach welchem die bisher hauptsächlich auf Parksünder fokussierte "Kriminalistik vor Ort" plötzlich massiv viel zu tun bekommt. Denn im Schlick des schwindenden Sees finden sich nebst Gerümpel auch die Leichen all jener Frauen, die von ihren Männern in den vergangenen Jahrzehnten ums Eck gebracht wurden. Bisher ungeklärte Vermisstenfälle, bei denen die Ermittlungen buchstäblich im Sand verlaufen sind, und eine davon kennt das Publikum. Wer hat Else getötet? "Es kann jeder gewesen sein", aber vermutlich war es "einer von den Fremden", obwohl es die hier gar nicht gibt.

Der Klimawandel und Gewalt an Frauen, das Wegschauen der Menschen und Scheinlösungen der Politik - Anna Neata hat erstaunlich viele Probleme der Gegenwart in ein nur 90 Minuten langes Stück gepackt. Noch erstaunlicher ist, dass es dadurch keineswegs überfrachtet wirkt. Das ist einerseits der Sprache der Autorin zu verdanken, die es versteht, mit Andeutungen zu arbeiten und dennoch ganz präzise sagt, was sie meint, und andererseits einem Ensemble, das diese gleichzeitig filigran gezeichnete und brutal entlarvende Skizze der österreichischen Seele wundervoll umsetzt. Theresa Palfi als Ava und Hanna Kogler als Else sagen mit Blicken mehr als mit Worten, Benedikt Steiner ist ein äußerlich junger, innerlich alter Bursche vom Land und streut Kurz-Parodien ein, Katharina Hofmann und Lutz Zeidler als skurrile Stammgäste F. in Freizeitklamotten im Partnerlook können sich trotz zum Himmel stinkender Probleme "herrlich" erholen.

In den Text eingestreut sind auch "die Seite des Gemeindeamtes", die Marketingfloskeln, aber auch Daten zum Gewässer liefert, und alte Sagen, die tote Frauen in Seen zum Inhalt haben - Regisseur Martin Mader war bei der Auseinandersetzung mit dem Stück aufgefallen, wie viele lokale Mythen dies thematisieren. Die kleine Studiobühne des Landestheaters, auf der Bianca Sarah Stummer einen zweidimensionalen, altmodischen türkisen Wohnwagen gestellt hat, passt perfekt zum Stück, man sitzt quasi mit am austrocknenden Badestrand und hätte gerne auch eine Räucherspirale - dennoch ist dem Publikum zu wünschen, dass Neatas Stück auch auf größere Bühnen geholt wird.

(Von Verena Leiss/APA)

(S E R V I C E - Anna Neata "Über die Notwendigkeit, dass ein See verschwindet" (UA) im Landestheater Linz, Studiobühne Promenade, 4020 Linz. Inszenierung: Martin Mader, Bühne und Kostüme: Bianca Sarah Stummer, Musik Joachim Werner, Dramaturgie: Wiebke Melle. Mit Theresa Palfi - Ava, Hanna Kogler - Else, Lutz Zeidler - Herr F., Katharina Hofmann - Frau F., Benedikt Steiner - Edi, Der Bundekanzler AD/in Spe, Muriel Nova/Isabela Guadalupe Mehr - Larilara. Weitere Vorstellungstermine am 31. Jänner, am 7., 17. und 25. Februar sowie am 2., 9., 20. und 23. März. www.landestheater-linz.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Uraufführung von Anna Neatas zweitem Theaterstück 'Die Notwendigkeit, dass ein See verschwindet' fand im Linzer Landestheater statt. Das Stück beleuchtet das Verschwinden eines Sees und die Aufklärung damit verbundener Vermisstenfälle.
  • In den 90 Minuten des Stücks werden Themen wie Klimawandel, Gewalt an Frauen und politische Scheinlösungen eindrucksvoll dargestellt.
  • Das unter der Regie von Martin Mader stehende Ensemble, insbesondere Theresa Palfi als Ava und Hanna Kogler als Else, wird für seine herausragende Leistung gelobt.
  • Eine zentrale Figur des Stücks, Else, wird ermordet, wobei der Täter unbekannt bleibt.
  • Weitere Aufführungen des Stücks sind am 31. Jänner, am 7., 17. und 25. Februar sowie am 2., 9., 20. und 23. März im Landestheater Linz geplant.