Russische Sängerin Zemfira setzte in Wien auf Hoffnung
Die Front ist weit entfernt und obwohl an diesem Sonntagabend nur eine ukrainische Fahne geschwenkt wurde, war das Echo des Krieges in der Ukraine auch in der Halle deutlich zu spüren: Das russischsprachige Publikum, darunter viele Ukrainerinnen und etwas weniger Ukrainer, tauschte sich über Konsequenzen des Krieges aus. In Gesprächsfetzen war von Ausreiseproblemen aus Russland oder Aufenthaltsbewilligungen zu hören, in Smartphones wurden Kommentare über russische Propagandisten getippt und vereinzelt zu "Ruhm der Ukraine"-Rufen Kurzvideos aufgenommen. Deutlich wurde dabei, dass die aus der russischen Region Baschkortostan gebürtige Zemfira, sie ist selbst Tatarin, als einer der letzten gemeinsamen Superstars der ehemaligen Sowjetunion gelten darf - einen postsowjetischen Raum wird es in dieser Form nach 2022 nicht mehr geben können.
In ihren ersten 15 Liedern aus knapp zweieinhalb Jahrzehnten, die die heftig gestikulierende Sängerin in Wien mit Unterstützung einer dichten Soundwall ihrer Band intonierte, kam der Krieg zunächst nicht vor. Zemfiras Songs, darunter einige ihrer größten Hits wie "Ich habe gesucht" und "Verzeih mir, meine Liebe" (jeweils 2000), erzählten in einem bestechend einfachen wie ausdrucksvollen Russisch von komplexen Beziehungsgeschichten eines schwierigen lyrischen Ichs. Autobiografische Züge können dabei nicht ganz verleugnet werden: Die 46-jährige Sängerin wird abseits der Bühne von der großen russischen Schauspielerin Renata Litwinowa begleitet, die selbst im April mit einer Coverversion von "Sag mir, wo die Blumen sind" konzeptuell in die Fußstapfen von Marlene Dietrich getreten war.
Zemfira verweist in ihren Liedern aber auch auf eine Zeit, in der für viele junge Russinnen und Russen materielle Probleme in den Hintergrund getreten waren, ihnen die Welt offen stand, man seiner Geliebten fast jeden Wunsch erfüllen konnte und bei Bedarf auch nach Österreich jetten würde. "Willst du, dass aus deinem Fenster die Alpen zu sehen sind", sang sie mit besonderer Verve in der Zugabe "Willst du" (2000). Dass diese Zeiten für Millionen von Russinnen und Russen zu Ende gegangen sind, verdeutlichte sie mit einer "kleinen Geschichte": Vor etwa 20 Jahren sei über dem Newski Prospekt von St. Petersburg ein Werbebanner gehangen, auf dem "Fünf Mal in der Woche nach Wien" gestanden sei, erzählte die Sängerin nostalgisch von der Bühne. Seit dem Frühjahr 2022 existiert keine einzige direkte Flugverbindung aus Russland in die EU mehr und Beobachter schließen nicht mehr aus, dass die Grenzen wie in sowjetischen Zeiten wieder zugehen könnten.
Nachdem sie dies bereits in den vergangen Tagen bei Auftritten im Nahen Osten gemacht hatte, unterstrich die Sängerin auch am Sonntagabend ihre Ablehnung der Kriegspolitik von Wladimir Putin. "Heute ist der 235. Tag des Kriegs, den mein Land losgebrochen hat", erklärte sie vor dem 16. Lied ihres Wiener Konzerts, "Schießt nicht" (2010). Im Instrumentalteil des Lieds motivierte sie das Publikum dazu, den Antikriegsslogan "Net Wojne" ("Nein zum Krieg") zu skandieren. In Österreich war er auf Russisch seit dem 24. Februar 2022 noch nie so laut zu hören gewesen. "Wir werden weiter leben, lieben und weiter auf Frieden hoffen", sagte sie zum Abschied, den sie ihren Wiener Fans mit zwei unerwarteten Zugaben - "Rumba" (1999) und "Wir werden zerschlagen" (2007) - versüßte.
(S E R V I C E - www.zemfira.ru)
Zusammenfassung
- In Österreich war er auf Russisch seit dem 24. Februar 2022 noch nie so laut zu hören gewesen.