"Rico, Oskar und die Tieferschatten" im Theater der Jugend
Rico ist "tiefbegabt", sein Hirn funktioniert nicht so schnell, wie sich das die Erwachsenen vorstellen. Gemeinsam mit seiner Mutter, die in einem Nachtclub arbeitet, lebt er in einem Berliner Mehrparteienhaus, in dem ihn die meisten Nachbarn lieb gewonnen haben. Im nach einer Gasexplosion gesperrten Hinterhaus beobachtet er nächtens verdächtige Schatten, tut sie aber als Hirngespinst ab. Als er auf der Straße den jüngeren, hochbegabten, aber sehr ängstlichen Oskar kennenlernt, entspinnt sich eine Freundschaft, die vom wechselseitigen Lernen in unterschiedlichen Lebenslagen geprägt ist. Aber das Glück währt nur kurz: Oskar wird Opfer eines Serientäters, der Kinder entführt und sie für 2.000 Euro Lösegeld zurückbringt. Da setzt sich Rico in den Kopf, seinen Freund zu retten - und entdeckt, dass die Schatten keine Einbildung waren.
Mit Paul Winkler hat man einen Hauptdarsteller gefunden, der den "tiefbegabten" Rico mit viel Leidenschaft und Ernsthaftigkeit verkörpert. In Wahrheit steht ihm sein Freund Oskar (Etienne Halsdorf), der die Straße aufgrund der vielen Gefahren nur mit Sturzhelm betritt, in Wunderlichkeit nichts nach. Als liebevolle, aber überforderte Mutter verkörpert Alexandra Weis den Prototyp der sich abstrudelnden Alleinerzieherin. Das ergibt schöne Szenen, in denen Mutter und Sohn etwa verbrannte Fischstäbchen essen oder gemeinsam tanzen und singen. Als Kulisse (Bühne: Christine Grimm) dient ein Gang mit sechs Türen, die Szenen spielen dank der Drehbühne abwechselnd in und vor den Wohnungen, was sich in weiterer Folge als hervorragendes Setting für ein Katz- und Maus-Spiel erweist.
Durchgehend ärgerlich ist das Beharren auf zahlreichen bundesdeutschen Ausdrücken und die Verortung vor der Berliner Skyline - ein Wiener Gemeindebau und weniger "kucken" hätte dem Plot keinen Abbruch getan. Noch weitaus fragwürdiger ist hier allerdings die Altersempfehlung des Theaters: In Nachtclubs arbeitende Mütter, die Erörterung der Arbeitsplatzbeschreibung von Callgirls oder die reihenweise Entführung von Kindern, die anschließend im Keller mit Handschellen an Heizkörpern festgekettet werden - das ist eher kein Stoff für Volksschülerinnen und Volksschüler.
Zwar wird am Ende alles gut, weil die unterschiedlichen Begabungen der beiden Buben ineinandergreifen, es dürfte allerdings einen Grund geben, warum der Roman nur auf den Leselisten von Unterstufen steht. Für junge Erwachsene gibt es hier viel zum Mitfiebern und Schmunzeln. Eltern von jüngeren Besuchern dürften im Anschluss wohl einige Aufklärungsarbeit zu leisten haben.
(S E R V I C E - "Rico, Oskar und die Tieferschatten" von Andreas Steinhöfel im Theater der Jugend. Regie: Karin Drechsel, Ausstattung: Christine Grimm. Mit Paul Winkler, Etienne Halsdorf, Alexandra Weis, Bettina Schwarz, Martin Winkelmann, Frank Engelhardt und Reinhold G. Moritz. Laut Theater der Jugend ab 6 Jahren. Weitere Termine: 12. bis 14. und 16. bis 22. Dezember sowie im Jänner. www.tdj.at)
Zusammenfassung
- Zwei ungleiche Freunde, eine Serie von Kindesentführungen und ganz viel Heldentum: Mit seinem Roman "Rico, Oskar und die Tieferschatten" hat der deutsche Autor Andreas Steinhöfel 2008 den Grundstein für eine erfolgreiche Romanserie gelegt.
- Das Wiener Theater der Jugend bringt den Stoff nun in einer rasanten Inszenierung von Karin Drechsel auf die Bühne.
- Warum die Altersempfehlung von zehn auf sechs Jahre reduziert wurde, bleibt aber ein Rätsel.