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Politischer Auftakt zu Österreichs Literaturschau in Leipzig

Mit der Ausstellung "JETZT html5-dom-document-internal-entity1-amp-end ALLES. Österreichische Literatur. Die letzten 50 Jahre" im Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig ist am Dienstagabend der erste große Programmpunkt des österreichischen Gastland-Auftritts der Leipziger Buchmesse eröffnet worden - einen Tag vor der offiziellen Messe-Eröffnung und zwei Tage vor der Eröffnung des Gastland-Standes der Messe. Politisch und kritisch fiel die Eröffnungsrede des Autors Josef Haslinger aus.

Der langjährige Leiter des Leipziger Literaturinstituts beschäftigte sich vor allem mit Politik - mit Kultur- und Medienpolitik, aber auch mit Österreichs Asylpolitik. "Wie kann es sein, dass Menschen, die zu uns flüchten und bei uns ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, wie Feinde behandelt werden, die man selbst an den EU-Binnengrenzen mit militärischen Mitteln abhalten und, falls sie durchkommen, möglichst schnell wieder aus dem Land hinausekeln muss, während gleichzeitig händeringend Arbeitskräfte gesucht werden? Warum verstehen wir es nicht, den Zukunftswillen der Flüchtenden, die dafür viel in Kauf nehmen und oft ihr Leben riskieren, für unsere Gesellschaft zu nutzen?"

Hart kritisierte Haslinger eine Haltung, die junge Menschen nach ihrer Lehrlingsausbildung ebenso abschiebe wie integrierte Familien, die in Österreich lebenden Menschen das volle Wahlrecht verweigere und die sich in Videos des ÖVP-Chefs von Wien, Karl Mahrer, ebenso äußere wie in der Regierungsbeteiligung der FPÖ in Niederösterreich. Haslinger nahm auch Bezug auf den Ukraine-Krieg und die darüber in Deutschland und auch hierzulande entstandenen Debatten: "Die Auseinandersetzungen verschärfen sich. Auf dem Schlachtfeld und im öffentlichen Gespräch. Wer für Waffenstillstandsverhandlungen eintritt, steht im Verdacht, dem Aggressor helfen zu wollen und ist überdies mit dem moralischen Makel behaftet, das Opfer der Aggression im Stich zu lassen. Meines Erachtens nach besteht das höchste moralische Gebot immer noch darin, Menschenleben zu retten."

"Der Weg vom literarischen Einfall zum fertigen Buch ist lang. Und er ist für uns Leserinnen und Leser unsichtbar. Oder eben auch nicht. Denn im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek werden sie gesammelt: die Manuskripte, Briefe, Fotos und Lebensdokumente von österreichischen Autorinnen und Autoren", sagte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) in ihren Eröffnungsworten. Die Ausstellung zeige, "wie die Welt zur Sprache und die Literatur auf die Welt kommt; wie sie in den Lebenskontext des Autors bzw. der Autorin eingebettet ist; wie sie mit der Geschichte unseres Landes und seiner Literatur zusammenhängt."

Bei der vormittägigen Pressekonferenz hatte ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger auf das verbindende Motto des österreichischen Gastland-Messeauftritts, "meaoiswiamia", verwiesen: "Die österreichische Literatur trägt dazu bei, dass wir nicht nur wir bleiben." - "Mit den Dingen kommen die Inhalte", meinte Literaturmuseum-Direktor Bernhard Fetz mit Verweis auf die vor allem aus eigenen Beständen stammende Auswahl an auratischen Objekten wie Manuskriptblättern von Thomas Bernhard, "aber auch von Alltagsgegenständen, die sich zu Geschichten verdichten". "Jenseits der Klischees des Österreichischen möchte die Ausstellung ein vielstimmiges und auch sinnliches Bild der österreichischen Literatur der letzten 50 Jahre vermitteln", so Fetz.

1973 sei u.a. deshalb als Startpunkt gewählt worden, da in diesem Jahr die Gründung der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV) erfolgte, der Tod Ingeborg Bachmanns eine Zäsur dargestellt und Peter Handke den Büchnerpreis erhalten habe, erläuterte Kerstin Putz, die mit Fetz die von einem umfangreichen Katalog begleitete Ausstellung kuratierte.

Zu sehen sind Manuskriptblätter ebenso wie persönliche Schreibgegenstände, die von Peter Handkes Bleistiften bis zu Josef Winklers Kugelkopf-Schreibmaschine reichen. Das von der ÖNB in 200 Umzugsboxen übernommene "Zetteluniversum" Friederike Mayröckers hat ebenso Eingang in die Schau gefunden wie Nikolaus Habjans Jelinek-Klappmaulpuppe oder ein skulpturales Objekt von Teresa Präauer. Arbeitsmaterialien wie alte Handys oder Aufnahmegeräte sind genauso zu finden wie Plüschtiere, Reisesouvenirs, Fotografien, Ausweise und Wanderschuhe. Dem "atemlosen Sprechen" als wichtigen Teil heimischer Literaturtechniken wird ebenso Raum gegeben wie den vielgestaltigen Versuchen der österreichischen Literatur, Vergangenes gegenwärtig zu machen.

Österreichische Literatur sei "streitbar, form- und sprachbewusst und vielstimmig im politischen wie ästhetischen Sinne", betonte Fetz, dies solle sich auch in dem "vielstimmigen Chor" an Positionen ausdrücken, die man für die Ausstellung zusammengestellt hat. Objekte stammen u.a. auch von Ilse Aichinger, Ruth Klüger, Gert Jonke, Florjan Lipuš, Christoph Ransmayr, Marlene Streeruwitz, Ann Cotten, Clemens J. Setz, Gerhard Rühm, H. C. Artmann, Christine Nöstlinger und Robert Menasse.

"Es ist eine ANDERE Literaturausstellung", bedankte sich abschließend Stephanie Jacobs, die Direktorin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek, für die "wunderbare Kooperation", bei der man "durchaus auch miteinander gerangelt" habe, und die nun bis 7. Jänner in Leipzig gezeigt wird.

Die Leipziger Buchmesse, die erste nach drei Jahren Corona-Pause, findet von Donnerstag bis Sonntag statt. Nach Frankfurt ist sie der wichtigste Branchentreff im deutschsprachigen Raum. Entsprechend umfangreich fällt auch der vom Kulturministerium mit bis zu 2,2 Mio. Euro geförderte Gastland-Auftritt Österreichs aus.

(S E R V I C E - "JETZT & ALLES. Österreichische Literatur. Die letzten 50 Jahre", Ausstellung des Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek in Kooperation mit dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum Leipzig. Eröffnung heute um 19 Uhr. 26. April 2023 - 7. Jänner 2024, Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr, Donnerstag 10-20 Uhr. Katalog im Residenz Verlag, Hg. von Bernhard Fetz, Stephanie Jacobs und Kerstin Putz. Mit zahlreichen Abbildungen und Originalbeiträgen von Ann Cotten, Oswald Egger, Arno Geiger, Erich Hackl, Maja Haderlap, Josef Haslinger, Monika Helfer, Anna Kim, Michael Köhlmeier, Florjan Lipuš, Teresa Präauer u.a., 240 Seiten, 28 Euro; https://www.dnb.de/jetztundalles ; https://gastland-leipzig23.at/event/ausstellung-der-oesterreichischen-nationalbibliothek/)

ribbon Zusammenfassung
  • Politisch und kritisch fiel die Eröffnungsrede des Autors Josef Haslinger aus.
  • "Jenseits der Klischees des Österreichischen möchte die Ausstellung ein vielstimmiges und auch sinnliches Bild der österreichischen Literatur der letzten 50 Jahre vermitteln", so Fetz.
  • Die Leipziger Buchmesse, die erste nach drei Jahren Corona-Pause, findet von Donnerstag bis Sonntag statt.
  • Nach Frankfurt ist sie der wichtigste Branchentreff im deutschsprachigen Raum.