APA/APA / DNT Weimar/Candy Welz

Musiktheater von Staud und Köck in Weimar uraufgeführt

Der oberösterreichische Autor Thomas Köck ist mit seinen Endzeitstücken derzeit everbodys darling. "Eure Paläste sind leer" wurde 2021 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Nun wurde aus dem Untertitel "Missa in cantu" (gesungene Messe) der Titel "missing in cantu" (verloren im Gesang) und aus dem Theaterstück eine Oper, nämlich die erste Zusammenarbeit Köcks mit dem Komponisten Johannes Maria Staud. Das Österreicher-Doppelpack wurde gestern in Weimar uraufgeführt.

Die Weimarer Operndirektorin Andrea Moses hatte bereits Stauds "Die Weiden" 2018 an der Wiener Staatsoper aus der Taufe gehoben, der Intendant des Kunstfests Weimar, Rolf C. Hemke, dagegen bereits zwei Köck-Texte aufgeführt. Was lag da also näher als die beiden österreichischen Künstler für ein Auftragswerk zusammenzuspannen? Dem langen und kräftigen Premierenapplaus für "missing in cantu (eure paläste sind leer)" nach zu schließen, wurde die 100-minütige Uraufführung ein voller Erfolg - wiewohl einzig die Musik Stauds wirklich überzeugen konnte.

Köcks Stückvorlage, die er selbst zum Libretto umarbeitete, verzettelt sich in mehrere Stränge, die nur auf einer abstrakten intellektuellen Ebene etwas miteinander zu tun haben. In einem leeren, offenbar schon vor langem geplünderten Palast, beklagt ein Seher, alle Zerstörung im Voraus gewusst zu haben. Auf einem Schiff landet eine Horde Abenteurer auf der Suche nach dem El Dorado in der Neuen Welt, um im Namen des Kreuzes den neu entdeckten Kontinent auszuplündern. In einer noblen Vorstadtvilla bedrängt ein Kamerateam einen offenbar von Medikamentensucht schwer gezeichneten Star, um ihm ein enthüllendes Interview zu entlocken.

Es sind zugleich Vorgeschichte, Symptome und Diagnose einer kranken, rettungslos verlorenen Welt, die hier parallelgeführt werden. In dem von Bühnenbildner Raimund Bauer auf die Drehbühne gewuchteten und in gehörige Schieflage gebrachten devastierten Goldpalast lässt sich der Überblick leicht verlieren, denn Andrea Moses hat alle Hände voll zu tun. Etliche Massen- und Chorszenen sind ebenso wie unmögliche Zeitsprünge zu bewältigen.

Mal wird auf einem Pick-up eine Hexenverbrennung veranstaltet, mal gibt es im Schlachthaus ein menschliches Massensterben unter herabhängenden Rinderhälften. Da sehnt man sich nach Auftritten von Otto Katzameier, der seinen Seher-Part optisch als Mischung aus Sokrates und Gottfried von Einem, sängerisch mit großer Klarheit bewältigt und immer wieder Ruhe ins Geschehen bringt. Emma Moore als sein Echo sowie Alexander Günther als Eroberer Don Gairre und Oleksandr Pushniak als sein priesterlicher Widerpart Don Stepano stechen aus der langen Reihe an Mitwirkenden hervor.

Johannes Maria Staud hat aus dem Vollen geschöpft - in jeder Hinsicht. Was als zartes, irritierendes Klanggeflecht beginnt, entfaltet später szenenweise musicalartige Bombastik, lässt Jazz und Swing aufblitzen, wirkt mal wie Filmmusik und überrascht an anderer Stelle mit einem Choral. "Mein Motto war: Vielfältigkeit ja, Beliebigkeit nein", schreibt Staud, der in seiner von der Staatskapelle Weimar unter der musikalischen Leitung von Andreas Wolf engagiert umgesetzten Partitur auch Live-Elektronik eingebaut hat. Im Gegensatz zu Libretto und Regie ist es ihm auch gelungen, dieses Motto umzusetzen.

Das Deutsche Nationaltheater Weimar ist überhaupt das Zentrum des noch bis 10. September laufenden Kunstfests Weimar. Wenige Stunden vorher war auf der Studiobühne unter dem Dach der anarchische belgische Performance-Künstler Benjamin Verdonck zugange. Unter dem bedrohlichen Titel "Fällt alle Bäume!" bediente er in dieser Auftragsarbeit des Festivals im Verein mit Peter Ampe in einer Mischung aus Aktionismus und Objekttheater nicht nur alle Emotionen, sondern brachte auch zweimal einen Elefanten ins Spiel - zunächst als Witzfigur, zum Schluss als buchstäblich raumgreifende Materialisierung von Fantasie. Am frühen Abend gab dann die israelische Autorin Sivan Ben Yishai im Kunstfest-Pavillon am Theaterplatz eine Lesung.

Über den Verlauf des heurigen Kunstfestes zeigte sich Intendant Rolf C. Hemke gegenüber der APA sehr zufrieden: "Wir sind sehr gut verkauft und haben ein überragendes überregionales Presseecho." Dafür sorgte auch die Eröffnung, die nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch ein klares Bekenntnis brachte: Vor dem Nationaltheater, wo 1919 die Verfassung der Weimarer Republik beschlossen wurde, hatte Objektkünstler Günther Uecker ein "Steinmal für Buchenwald" errichtet und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) deutliche Worte gegen die extreme Rechte gefunden, die in der Presse breite Beachtung fanden.

Auch an diesem Samstag werden auf dem Weimarer Theaterplatz vor dem Schiller-Goethe-Denkmal politische Botschaften verbreitet. Die Linke feiert ein Friedensfest. Die AfD schaut bei ihren Montagsdemonstrationen allerdings ebenfalls regelmäßig hier vorbei. "Die Stimmung ist deutlich aggressiver geworden", sagt Hemke, der heuer u.a. auf dem beängstigenden einstigen Gauforum zur jeden vollen Stunde mahnende Worte aus drei großen Lautsprechern erklingen lässt.

Eine Mahnwache war auch eingerichtet worden, um das "Steinmal" zu schützen - glücklicherweise ohne Zwischenfälle. Auf der Straße kann der Intendant aber von Weimarer Bürgern durchaus zu hören bekommen, ob ihm denn nichts besseres einfiele. 2024 finden in Thüringen Landtagswahlen statt, und die AfD kommt in Umfragen derzeit auf rund 35 Prozent. Was passiert, wenn die AfD in die Landesregierung kommen sollte? "Dann bin ich meinen Job los", sagt Hemke. "Da mach ich mir gar keine Illusionen."

(S E R V I C E - "missing in cantu (eure paläste sind leer)" wird noch am 7.9., 29.9., 8.10., 18.11. und 21.12. im Deutschen Nationaltheater Weimar gezeigt. www.nationaltheater-weimar.de; Das Kunstfest Weimar läuft noch bis 10.9., www.kunstfest-weimar.de; )

ribbon Zusammenfassung
  • Der oberösterreichische Autor Thomas Köck ist mit seinen Endzeitstücken derzeit everbodys darling.
  • "Eure Paläste sind leer" wurde 2021 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt.
  • Nun wurde aus dem Untertitel "Missa in cantu" der Titel "missing in cantu" und aus dem Theaterstück eine Oper, nämlich die erste Zusammenarbeit Köcks mit dem Komponisten Johannes Maria Staud.