Linzer Opernbühne widmet sich isländischen Mysterien
"Unter dem Gletscher", so der Titel des neuen Musiktheater-Produkts (der Begriff "Oper" wird vermieden), verarbeitet geschickt Realität und Fiktion, Mystisches und Spirituelles des Lebens auf der nördlichen Insel. Mit der gekonnten Instrumentierung durch Michael Obst und der insgesamt tadellosen Interpretation durch Orchester und Solisten ergibt das Werk einen ungewöhnlichen Abend. Er dauert mit fast dreieinhalb Stunden aber zu lange. Mit der Pause nach fast zwei Stunden lichteten sich die Reihen im Großen Saal des Theaters.
In der dörflichen Tristesse am Fuße eines Gletschers haben sich über die Jahrzehnte Schicksale und sagenhafte Mythen entwickelt, die die kirchliche Autorität auf den Plan rufen. "Vebi", der junge Vertreter des Bischofs, versucht Licht ins Düstere zu bringen, der Gemeindepfarrer hat die seelsorgliche Tätigkeit eingestellt, seine Frau Ua ist schon vor 30 Jahren mit einem Unternehmer verschwunden. Drei Hirten als Shiva-Jünger erwarten die Wiederbelebung der Verstorbenen. In einer vor vielen Jahren auf dem Gletscher eingefrorenen Kiste vermuten die Menschen die Leiche Uas, stattdessen kommt aber ein riesiger Lachs zum Vorschein. Gleichzeitig taucht, quasi wiederbelebt, die geheimnisumwitterte Frau auf. Schlussendlich - man ahnt es - erliegt der junge Bischofs-Vertreter ihrer Verführungskunst. Islands Sagenwelt und religiöse Verfasstheit eröffnet sich mitteleuropäischen Opernbesuchern nicht ganz einfach.
Die Zahl Drei erweist sich in dem neuen Werk als geschickter Schachzug: jeweils drei Frauen, Männer und Hirten erhalten als Terzette dankbare, aber anspruchsvolle musikalische Aufgaben. Die Damen und Herren des Ensembles liefern damit auch darstellerisch Höhepunkte des Abends.
Darüber hinaus ordnet Komponist Michael Obst den jeweiligen Solistinnen und Solisten vom Klangcharakter her passende Bläser-Soloinstrumente zu, wie beispielsweise dem Bischofsvertreter Vebi (in der Hosenrolle Anna Alas i Jove sängerisch herausragend) die Flöte, der Haushälterin des Pfarrers (Fenja Lukas in einem darstellerischen Kabinettstück) das Fagott, dem Kirchenvorsteher (Dominik Nekel) das Horn, dem Gemeindepfarrer (Michael Wagner) das Alt-Saxophon. Die dreistimmigen Ensembles werden auch im Orchester mit dem Grundprinzip des Dreiklangs begleitet. Im Instrumentarium ergänzt der Komponist die reduzierte Streicherbesetzung und die Bläser-Soli mit Schlagzeug und Pauken, Jazz-Kontrabass, Vibraphon und Klavier. Stilistisch greift Michael Obst damit auf verschiedenste musikalische Richtungen und Rhythmen zurück. Die Palette ist breit und reicht von kirchlichen Chorälen, Trinkliedern, Tänzen, über Jazz und Rock-Musik bis zu isländischen Volksweisen. Sieben "Vogelmusiken" bilden kurze kammermusikalische Intermezzi, basierend auf Originalaufnahmen isländischer Vogelarten, und sind damit Ruhepunkte im Ablauf der "Oper".
Unter der musikalischen Leitung des jungen Gast-Dirigenten Ingmar Beck trägt das Bruckner Orchester Linz die 13 stimmlich und darstellerisch hochmotivierten Sängerinnen und Sänger verlässlich durch den Abend. Textautor und Auftraggeber der Komposition, Hermann Schneider, besorgt auch die Inszenierung und erweist sich damit als erfahrener Praktiker. Falko Herold unterstützt ihn - nebst Kostümen und Video - mit einem realistischen Bühnenbild zwischen eisiger dörflicher Ödnis und modernem Bungalow als Kontrast aufeinander prallender Welten.
Den Löwenanteil des Beifalls erhielten die Interpreten im Orchestergraben und auf der Bühne - dort vor allem die "Vebi" von Anna Alàs i Jove. Das Leading-Team und der anwesende Komponist schienen mit dem reduzierten Applaus für sie zufrieden.
(S E R V I C E - "Unter dem Gletscher" (UA) von Michael Obst, Text: Hermann Schneider, Auftragswerk des Landestheaters Linz nach dem Roman "Am Gletscher" von Halldór Laxness. Musikalische Leitung: Ingmar Beck, Inszenierung: Hermann Schneider, Bühne, Kostüme und Videodesign: Falko Herold, Choreografie: Hannah Moana Paul, Dramaturgie: Katharina John. Mit Anna Alàs i Jové (Vebi), Dominik Nekel (Tumi Jonson), Vaida Raginskytė (Mutter Jonson), Tina Josephine Jaeger (Fina), Michael Wagner (Sira Jon Primus), Gotho Griesmeier (Ua), Matthäus Schmidlechner (Helgi), Martin Achrainer (Trucker), Peter Fabig u.a., weitere Vorstellungen am 1., 8., 21. Juni, 1. und 7. Juli 2022 im Linzer Musiktheater, Großer Saal. https://www.landestheater-linz.at)
Zusammenfassung
- Das jüngste Werk des deutschen Komponisten Michael Obst für die Bühne hat am Samstag im Linzer Musiktheater seine Uraufführung gefeiert.
- Den Text für das Auftragswerk des Linzer Landestheaters schuf Hausherr Hermann Schneider, der dafür auf den Roman "Am Gletscher" des isländischen Erfolgsautors Hallidór Laxness zurückgriff.
- Stilistisch greift Michael Obst damit auf verschiedenste musikalische Richtungen und Rhythmen zurück.