"Kein Mitleid!": Elyas Jamalzadeh über Flucht und Ankommen
Jamalzadehs Eltern flohen bereits vor seiner Geburt aus Afghanistan nach Teheran, wo die dort rechtlose Familie mit Schwarzarbeit und mit der Hilfe von Freunden und Verwandten durchzukommen versucht. An seinem Geburtstag schneit es, ein genaues Datum kennt er nicht. Bereits als Siebenjähriger muss er als Straßenverkäufer arbeiten, ein regulärer Schulbesuch bleibt ihm ohne Papiere verwehrt. Schließlich entschließt sich die Familie zur Flucht nach Europa. Er erzähle "nicht, damit du Mitleid hast", denn: "Vielen Menschen auf der Welt geht es gleich oder schlechter. Auch andere Menschen müssen leiden, flüchten, sterben, ertrinken. Ich erzähle dir das nur, damit du verstehst, woher ich komme."
Dass der Erzähler kein Mitleid vom Leser will, zieht sich durch das ganze Buch. Von den bitteren Rückschlägen auf der Flucht, den geldgierigen Schleppern, Nächten in üblen Gefängnissen und feuchtkalten Wäldern, Gewalt durch Grenzsoldaten, der dauernden Ungewissheit sowie der beängstigend eindringlich geschilderten Überfahrt über das Mittelmeer erfährt man in leichtem, manchmal sogar saloppen Ton. Aufkommende Betroffenheit bricht der Erzähler durch schlechte Scherze, etwa als der Vater spurlos verschwindet., "für immer", dann aber heißt es: "Okay warte, ich hab dich nur verarscht. Haha, du hättest dein Gesicht sehen sollen!" Als Lesende hat man einen mündlichen Erzähler vor sich, der einen direkt anspricht: "Stell dir mal vor, du bist dein ganzes Leben lang nervös. Du merkst alles. Du bist ständig auf der Hut. (...) Ich war nervös. Ich war schon nervös geboren."
Die schwierige Reise führt Jamalzadeh und seine Eltern 2014/15 durch die Türkei, Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, Ungarn, die Slowakei und schließlich - im Kofferraum eines Autos - bis nach Österreich, für das Jamalzadeh voll des Lobes ist. "Leute, lernt zu schätzen, was ihr in diesem Land alles habt!", heißt es. Er berichtet, wie er sich mit Unterstützern den Schulbesuch erkämpft, einen Hirntumor überlebt, zielstrebig eine Arbeit in einem Friseursalon findet und sich mit einiger Zähigkeit um den Erwerb der deutschen Sprache - Fernunterricht per Telefon - bemüht. "Eigentlich flüchtet jeder", findet Jamalzadeh, wenn auch der Österreicher, wie er feststellt, nur "vor dem Rundfunkgebühren-Inquisitor".
Das Buch entstand gemeinsam mit Andreas Hepp, einem befreundeten Linzer Lehrer. Dieser notierte, sortierte und formulierte die erzählten Erlebnisse für ein Buch, wofür ihm eine Nennung am Cover gebühren würde. Jamalzadeh fiel es nach eigenen Angaben vor allem schwer über die Mittelmeer-Überfahrt zu sprechen: "Du hast deinen Tod vor Augen. Du hast den Tod deiner Eltern vor Augen. Und du kannst nichts dagegen tun." Genau darum wollten die beiden das Buch schreiben: "Um dir praktisch zu zeigen, wie das ist, wenn jemand flüchtet, um sein Leben kämpfen muss." Heute ist Jamalzadeh mit einer Österreicherin verheiratet, ausgebildeter Friseur und wohl auch endlich angekommen.
(S E R V I C E - Elyas Jamalzadeh: "Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten", Aufgezeichnet von Andreas Hepp, Zsolnay Verlag, 256 Seiten, 22 Euro)
Zusammenfassung
- In "Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten" verarbeitet der als afghanischer Flüchtling im Iran geborene Elyas Jamalzadeh seine lebensgefährliche Reise nach Europa.
- Dass der Erzähler kein Mitleid vom Leser will, zieht sich durch das ganze Buch.
- (S E R V I C E - Elyas Jamalzadeh: "Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten", Aufgezeichnet von Andreas Hepp, Zsolnay Verlag, 256 Seiten, 22 Euro)