Johanna Mahaffy: "Bei uns bekommt Lulu auch einen Geist"
Dass ihre Lulu nicht mehr eine reine Projektionsfläche der Männer sein wird, sondern eine Figur mit eigenem Willen und einer Haltung, verdankt sich der Bearbeitung des Regisseurs, der zur originalen Stück-Ebene eine kommentierende, kritische Reflexionsebene hinzugefügt hat. "Unsere Figur der Lulu versucht sich im Laufe des Stücks selbst zu ermächtigen, sich frei von dem misogynen Frauenbild zu machen und steigt immer wieder aus der klassischen Figur in die Reflexionsebene. Sie rebelliert immer wieder und zwingt damit auch die anderen zum Aussteigen aus ihren Rollen und zum kritischen Hinterfragen", sagt die Wienerin im Gespräch mit der APA. "Man wird vielleicht nicht immer wissen, ob jetzt die Figur der Lulu oder die Schauspielerin spricht, wenn die Ebenen irgendwann miteinander verschwimmen."
Sie hoffe, dass dies gelingen werde, "ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben". Die dabei gesprochenen Texte wurden zwar mit dem Ensemble diskutiert und bearbeitet, kommen aber letztlich vom Regisseur. "Es gibt eine Art Schlusspointe, in der ich sage: 'Dieser ganze Quatsch - eigentlich ist es ja zum Lachen, denn selbst DER Satz ist nicht von mir", lacht die Schauspielerin, die aber "voll und ganz hinter unserer Version" steht: "Elmar Goerden hat uns eine große Spielwiese errichtet mit der Überschreibung des Originals."
Was das um die Jahrhundertwende entstandene Stück, dessen verschiedenen Fassungen den Autor zwei Jahrzehnte lang beschäftigten, noch heute interessant mache, sei dessen rohe und brutale Behandlung von Themen, die uns nach wie vor beschäftigen, sagt Mahaffy, "nämlich das patriarchale System, das misogyne Frauenbild, Geschlechterrollen, Machtmissbrauch und Pädophilie". Die #metoo-Debatte habe wenigstens dazu geführt, dass dank mutiger Personen, die ihr Schweigen brachen, auch bei Film und Theater anders miteinander umgegangen werde. "Die größere Sichtbarkeit dieser Fragen hat auch eine größere Sensibilität gebracht. Es geht um Respekt - auch darum, dass der weibliche Körper respektiert und nicht sexualisiert wird."
Johanna Mahaffy war von 2012 bis 2015 Mitglied der Jungen Burg und studierte danach am Max Reinhardt Seminar in Wien. 2020 war sie eine von fünf jungen Frauen, die im Burgtheater-Kasino wie ein Wirbelwind durch Lily Sykes' witzige Inszenierung von "Stolz und Vorurteil* (*oder so)" fegten. Eine Nestroy-Nominierung war der Lohn. Obwohl aufgrund der Corona-Pandemie die üblichen Absolventen-Vorsprechen ihres Seminar-Abschlussjahrgangs entfielen, hatte sie Glück: Zwei Tage nach einem Vorsprechen für "Der König stirbt" hatte sie um 8 Uhr früh Claus Peymann auf ihrem Anrufbeantworter und wurde nach einer weiteren Casting-Runde für dessen Ionesco-Inszenierung in den Kammerspielen engagiert. "Und irgendwann in der Probenarbeit ist dann auch die Ehrfurcht weggegangen. Ich will diese Erfahrung keinesfalls missen, denn ich habe viel gelernt dabei."
Seit September 2021 ist Mahaffy nun fixes Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt, spielte u.a. in "Der Bockerer" und "Der Wald", wird ab 11. Jänner in der etwas veränderten Fassung von Peter Turrinis in Gutenstein uraufgeführtem Revolutionsstück "Es muss geschieden sein" spielen, hat auch ab 7. März in Thomas Arzts "Leben und Sterben in Wien" eine schöne Rolle und ist ab 28. März in der veränderten Wiederaufnahme von Torsten Fischers Reichenauer "Möwe" besetzt. Viel zu tun also für die junge Schauspielerin, die sich in der Theaterfamilie der Josefstadt sehr wohl fühlt. "Hier am Haus ist etwas ganz Besonderes. Hier hält man sehr zusammen, hier herrscht kein Konkurrenzdenken, sondern Ensemblegeist."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Frank Wedekind: "Lulu", Regie und Bearbeitung: Elmar Goerden, Bühnenbild und Video: Silvia Merlo & Ulf Stengl, Kostüme: Lydia Kirchleitner, Musik: Imre Lichtenberger Bozoki, Mit: Johanna Mahaffy (Lulu), Susa Meyer (Martha Gräfin von Geschwitz), Joseph Lorenz (Dr. Franz Schöning), Michael König (Dr. Goll; Schigolch; Rodrigo), Martin Niedermair (Eduard Schwarz; Alwa Schöning), Kammerspiele der Josefstadt, Premiere: Samstag, 28. Oktober, 19.30 Uhr. Nächste Vorstellungen: 29.10., 3., 4., 5.11., Karten und Info: 01 / 42 700-300, www.josefstadt.org)
Zusammenfassung
- Am Samstag hat Frank Wedekinds "Lulu" in den Kammerspielen der Josefstadt Premiere.
- Sie hoffe, dass dies gelingen werde, "ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben".