Giftgaskatastrophe: Lazars "Der Nebel von Dybern" im Hamakom
Unweit der belgischen Stadt Ypern war im April 1915 von deutscher Seite erstmals Giftgas eingesetzt worden. Die Schuld, die der Chemiker Fritz Haber dabei auf sich geladen hat, wurde in Film ("Clara Immerwahr") und Theater ("The Forbidden Zone") in den vergangenen Jahren mehrfach thematisiert. Lazar stellt die Politik der Behörden angesichts der Katastrophe in den Mittelpunkt. Diese setzen auf Leugnung, Verharmlosung, fast könnte man sagen: auf Vernebelungstaktik.
Bald hat man die Zusammenhänge heraußen: Die Substanzen, die in der örtlichen Fabrik erzeugt werden, sind keineswegs harmlos, und das neue unterirdische Kino, über die sich die Ortsbewohner wundern, ist eigentlich ein Bunker, um für den Notfall gerüstet zu sein. Also konzentriert man sich als Zuschauer auf die Feinheiten der szenischen Umsetzung.
Bérénice Hebenstreit, für ihre Inszenierung von "Urfaust/FaustIn and out" 2020 mit einem Nachwuchs-Nestroy ausgezeichnet, hat das rund zwei Dutzend Figuren umfassende Personal des Stücks auf einen Schauspieler (Sebastian Klein) und zwei Schauspielerinnen (Aline-Sarah Kunisch und Johanna Wolff) reduziert, die mittels von in einem stummen Vorspiel eingeführten Requisiten und Kostümteilen abwechselnd in alle zentralen Figuren schlüpfen. Das funktioniert in seiner Stilisierung, auch im Verein mit den Versatzstücken von Mira Königs Bühne, gut.
Wo der 90-minütige Abend eine heikle Gratwanderung unternimmt, ist der Umgang mit der altertümlichen Ästhetik des frühen Krimi- und Horrorfilmgenres. Einspielungen von düsterer Spannungsmusik oder die Wiederholung von "Oh Gott!"-Ausrufen bei jedem Telefonanruf, der eine neuerliche, unheilvolle Drehung des Windes ankündigt, wurden bei der Premiere am Donnerstag von Teilen des Publikums mit großer Heiterkeit aufgenommen. Es blieb unklar, welcher Funktion die hier erzeugte Komik zukommen soll - denn die von Lazar geschilderten Ereignisse eskalieren, bis hin zu Aufruhr und Armeeeinsatz.
Die Entscheidung der Protagonistin Barbara, ihrem eben zur Welt gebrachten Kind die Zumutung dieser in jeder Hinsicht vergifteten Welt zu ersparen, wird jedoch mit großer Sensibilität auf die Bühne gebracht: mittels einer sparsamen, als choreografisches Element gemeinsam gezeigten Geste, die mehr Horror erzeugt als alles andere.
Die Produktion wird von einem Rahmenprogramm aus zwei Lesungen, einer Diskussionsveranstaltung sowie einem Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung am 18. Oktober abgerundet. Das Schauspielhaus Graz bringt in dieser Spielzeit ebenfalls eine Neuinszenierung von "Der Nebel von Dybern". Dort war das Stück bereits 1933 angekündigt gewesen - wurde jedoch aufgrund der jüdischen Herkunft der Autorin wieder vom Spielplan genommen. Das Bühnen-Revival von Maria Lazar dürfte noch lange nicht zu Ende sein. Im Nachlass wurden vier bisher ungespielte Stücke entdeckt. Eine Buchausgabe im Verlag "Das vergessene Buch" ist bereits in Vorbereitung.
(S E R V I C E - "Der Nebel von Dybern" von Maria Lazar, Österreichische Erstaufführung, Regie: Bérénice Hebenstreit, Bühne: Mira König, Mit Aline-Sarah Kunisch, Sebastian Klein und Johanna Wolff, weitere Vorstellungen: 28. und 30. September, 4., 6., 7., 11. bis 14., 18., 20., 21. Oktober, 20 Uhr. Karten: 01 / 8900314. Theater Nestroyhof Hamakom, Wien 2, Nestroyplatz 1, www.hamakom.at)
Zusammenfassung
- Diesmal ist es nicht das Burgtheater, sondern das Wiener Theater Nestroyhof Hamakom, das ein Stück der expressionistischen Autorin aufführt.
- Dybern klingt nicht zufällig wie Ypern.
- Das funktioniert in seiner Stilisierung, auch im Verein mit den Versatzstücken von Mira Königs Bühne, gut.
- Das Bühnen-Revival von Maria Lazar dürfte noch lange nicht zu Ende sein.
- Eine Buchausgabe im Verlag "Das vergessene Buch" ist bereits in Vorbereitung.