APA/herwig g. hoeller

Ernüchterung und Ohnmacht bei Festival "Das andere Russland"

Neben der Vorgeschichte der aktuellen Situation in Russland haben sich prominente russische Intellektuelle, Autorinnen und Autoren am Wochenende bei einem Literaturfestival in Wien auch mit dem künstlerischen Widerstand gegen das Putin-Regime und gegen den Krieg beschäftigt. Die mehrheitlich im Exil lebenden Teilnehmer von "Das andere Russland" ließen in der überfüllten Alten Schmiede dabei nur wenig Zweifel, dass es für sie derzeit nur wenig Anlass zur Hoffnung gibt.

Je länger Krieg gegen die Ukraine dauere, desto deutlicher verstehe sie, dass von Intellektuellen nur wenig abhinge, sagte am Samstagabend die Schauspielchefin der Salzburger Festspiele, Marina Davydova, bei der zentralen Podiumsdiskussion des Literaturfestivals. Sie stellte dabei einen Vergleich mit einem antifaschistischen Roman von Juri Dombrowski an, in dem ein Urmensch mit Maschinengewehr in ein wissenschaftliches Institut komme, wo Intellektuelle über Goethe und Schiller sprächen. "Unsere Konferenz hier wirkt für mich wie so eine Diskussionen über die Freundschaft von Goethe und Schiller. Der Urmensch selbst kommt hier zwar nicht vorbei, aber er regiert bereits in einem größeren Teil dieser Welt. Wie ich meine Stimme erhebe, wirkt sich auf die globale Situation kaum aus", beklagte die 2022 aus Moskau geflohene Davydova.

Die Aufgabe von Intellektuellen bestünde darin, den Krieg nicht zur Routine werden zu lassen, erklärte seinerseits der aus St. Petersburg gebürtige und an der Central European University (CEU) in Wien lehrende Kulturhistoriker Alexander Etkind. "Der Sinn unserer Aktivitäten besteht darin, für Lärm als Gegengewicht zu Schweigen und Routinisierung zu sorgen", betonte er.

Der seit 2022 am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien tätige Politologe Kirill Rogow erläuterte die Unmöglichkeit kritischer Intellektueller, sich an erfolgreichen Antikriegskampagnen in Russland beteiligen zu können. Erfolgreiche Kampagnen gegen Krieg in den Ländern selbst hätten sich aus Mitgefühl für die kämpfenden Soldaten entwickelt, erläuterte der Moskauer. "Aber wir erachten jene Menschen, die in der Ukraine andere Menschen töten, als Mörder. Ausgehend von dieser für uns richtigen Position können wir uns aber nicht an einer Kampagne (in Russland, Anm.) gegen den Krieg beteiligen, die eine Wirkung erzielen könnte", sagte er. Rogow erinnerte dabei auch an den Exilfernsehsender Doschd, der wegen einer mitfühlenden Sendung für russische Soldaten im vergangenen Jahr seine Medienlizenz in Lettland verloren hatte.

Es war aber nicht nur diese Diskussion von drei führenden russischen Intellektuellen mit Österreich-Bezug, die am Wochenende für großen Andrang und eine überfüllte Alte Schmiede in der Wiener Innenstadt sorgte. Zu einem größeren Teil russischsprachige Besucherinnen und Besucher zeigten sich auch an literarischen Lesungen interessiert, in denen sowohl vor als nach Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022 verfasste Texte präsentiert wurden.

Parallel zur Entfernung von "moralisch bedenklichen" Fotografien aus sozialen Netzwerken seien despektierlich als "Mädchen" bezeichnete Mitarbeiterinnen von Moskauer Kulturinstitutionen seinerzeit aufgefordert worden, in allen Räumen mit Parteienverkehr Porträts von Wladimir Putin aufzuhängen, erzählte die feministische Aktivistin Darja Serenko eine Geschichte aus Russland vor 2022. Sie floh selbst nach dem Beginn der Invasion nach Georgien, ihre autobiografische Prosa mit Bezug auf den Krieg konnte sie in Russland nicht mehr veröffentlichen. Mit Verweis auf sporadische Selbstmordgedanken von Aktivistinnen sprach sie von über den Zustand von Kriegsgegnerinnen. "Es ist schwer mit dem Wissen zu leben, dass es Antikriegsaktivismus nicht schafft, Kriege zu beenden", sagte sie.

"Während wir schliefen, bombardierten wir Charkiw", las ihrerseits Marija Stepanowa aus eindrucksvoller Lyrik, in der sich die zuletzt mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnete Autorin unter anderem auch mit dem Krieg gegen die Ukraine beschäftigt. Präsentiert wurden aber auch Gedichte aus dem "Winterpoem 20/21", in dem sie seinerzeit auf die Covidpandemie und ihre Folgen reagiert hatte und gleichzeitig eine düstere Vorahnung über einen möglichen Krieg hatte. Die Schriftstellerin erzählte in der Alten Schmiede aber auch über ihre Schwierigkeiten, einen geplanten Lyrikband abzuschließen. Sie wisse weiterhin nicht, wer und wo sie sei, befinde sich "im Zustand eines fortdauernden Fallens", erläuterte die nunmehr in Paris lebende Stepanowa.

Seine Sympathien für einen eigenbrötlerischen Heizer in der russischen Provinz, der wegen eines Piratenradiosenders mit Antikriegsbotschaften zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, brachte indes Filipp Dsjadko zum Ausdruck. Nach dem Ende einer Karriere als Medienmacher hatte er im vergangenen Jahr einen antiutopischen Roman veröffentlicht, dessen Kernstück mit dem Heizer unerwartet Realität geworden wäre, schilderte der im Berliner Exil lebende Autor. Dsjadko stammt aus einer bekannten Moskauer Dissidentenfamilie, seine Großeltern waren noch in den 80er-Jahren für die Verbreitung von christlicher Literatur verhaftet und zu Verbannung verurteilt worden. Es sehe sich in einer langen Traditionslinie von Widerstand, habe aber kein Recht eine Parallele zwischen ihm und dem Schicksal seiner Vorfahren zu ziehen, erklärte er gegenüber der APA. "Sie haben auch für sich selbst nicht die Variante der Emigration in Betracht gezogen", sagte er.

Dsjadko war bei "Das andere Russland" nicht der einzige Teilnehmer, der eine sowjetische Vergangenheit thematisierte. Der für Sonntagabend angekündigte Starautor Wiktor Jerofejew sprach in den letzten Tagen häufig über seine literarischen Aktivitäten in den späten 70er-Jahren, die seinerzeit zu seiner Ächtung durch den Staat geführt hatten. Aktuell könnte dem im deutschen Exil lebenden Schriftsteller Ähnliches drohen: Am Rande des Festivals zeigte er sich wenig begeistert über die Forderung von "patriotischen Aktivisten" in Russland, ihn gemeinsam mit seinen Kollegen Wladimir Sorokin und Ljudmila Ulizkaja auf eine Liste von Terrorismusunterstützern zu setzen. Hintergrund der Causa war die Versteigerung einer von diesen drei Autoren signierten Ausgabe einer Anthologie, deren Erlös der exilierte Moskauer Galerist und Politberater Marat Gelman der ukrainischen Armee zu Gute lassen kommen wollte.

(Von Herwig G. Höller/APA)

(S E R V I C E - Das Festival wird heute Nachmittag in der Alten Schmiede, Wien 1, Schönlaterngasse 9, fortgesetzt und abgeschlossen. 16 Uhr: Olga Skonechnaya, Maxim Osipov, Präsentation der Exilzeitschrift "5. Welle", 18 Uhr: Viktor Jerofejew: "Der Große Gopnik", 19 Uhr: Jelena Fanailowa, Yuli Gugolev: "Dichtung in Zeiten des Krieges II", https://alte-schmiede.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Die mehrheitlich im Exil lebenden Teilnehmer von "Das andere Russland" ließen in der überfüllten Alten Schmiede dabei nur wenig Zweifel, dass es für sie derzeit nur wenig Anlass zur Hoffnung gibt.
  • Dsjadko war bei "Das andere Russland" nicht der einzige Teilnehmer, der eine sowjetische Vergangenheit thematisierte.
  • (S E R V I C E - Das Festival wird heute Nachmittag in der Alten Schmiede, Wien 1, Schönlaterngasse 9, fortgesetzt und abgeschlossen.