"Don't give up!" ist das Saisonmotto im Theater der Jugend
Den entsprechenden Song von Peter Gabriel bei der Präsentation abzuspielen, hätte ihm aber sein Team verboten, bedauerte der Intendant, der aber ansonsten Pathos durchaus nicht scheute. Es sei eine "sehr durchwachsene Zeit", "ob uns noch ein weiteres annus horribilis bevorsteht, wird sich erst herausstellen - die nächste Welle kommt bestimmt". "Das Wort Zukunft" sei im Moment kein Versprechen auf Verbesserungen, sondern eher mit Angst behaftet: "Winter is coming!" Für den 1964 geborenen Theatermacher stellen sich daher manche Fragen: "Wie erzählen wir den Jugendlichen aller Nationalitäten, weshalb es so weit gekommen ist? Wie erklären wir den Jüngsten, dass Teile der Gesellschaft bereits in eine Art Lethargie verfallen sind?" Bei jungen Leuten herrsche teilweise eine Art von Minderheitengefühl im Gegensatz zu den herrschenden Babyboomern, die auch die Rentnergesellschaft von morgen dominieren werden. Ihnen möchte Birkmeir Mut machen: "Sie sollen, sie müssen und sie können den Planeten retten!"
In eigener Sache gäbe es aber auch Good News - dazu zählte der Theaterchef etwa die vier Nominierungen für seine Inszenierung von "Anne of Green Gables" für den Deutschen Musical Theater Preis, der am 10. Oktober in Hamburg vergeben wird. "Vielleicht können wir eine kleine Trophäe nach Wien bringen. Bitte Daumen drücken!" Auch dass Stückentwicklungen des Theaters der Jugend im deutschsprachigen Raum bereits über 120 Mal nachgespielt wurden ("durchschnittlich über 6 Mal pro Saison") sei außergewöhnlich.
Weniger erfreulich fiel der Rückblick auf die vergangenen Saison aus. Laut der kaufmännischen Direktorin Sonja Fretzer (die Ende Juni 2023 in Pension geht und ihrem Nachfolger Ronald Hora Platz macht, der sich heute der Presse erstmals vorstellte) sei rund ein Viertel aller Vorstellungen von Eigenproduktionen der vergangenen Saison ausgefallen, die finanzielle Einbuße betrage 150.000 Euro. Die Eigendeckung ist um rund die Hälfte auf 20 bis 21 Prozent gesunken, die Auslastung bei Eigenproduktionen auf 62 Prozent, inklusive für die Abos angekaufter Produktionen auf 81 Prozent (im Gegensatz zu 93 Prozent im Jahr davor). Verglichen zu anderen Häusern sei dies freilich hervorragend, betonte Birkmeir: "Von den Ertrinkenden sind wir noch die glücklichsten Ertrinkenden."
Wie lange man sich noch über Wasser halten kann, hängt u.a. von der Kälte des Winters, der Entwicklung der Energiepreise und von den Gehaltsabschlüssen ab. Mit 340.000 Euro mehr Personalkosten und 200.000 Euro Mehraufwand bei den Energiekosten rechnet Fretzer. In allen Bereichen des Hauses gebe es Anstrengungen zum Energiesparen, etwa Richtung papierloses Büro, Wärmerückgewinnung, LED-Technologie oder Nachtabsenkung bei der Heizung. Die Saaltemperatur werde aber sicher nicht gedrosselt: "Wir werden nicht bei den Kleinsten zu Sparen beginnen." Das gelte auch für die Kartenpreise: "Wir bleiben billig! Wir erhöhen die Preise bewusst nicht", versicherte Birkmeir, sagte aber auch: "Es ist absolut klar, dass wir in der kommenden Saison, spätestens in der übernächsten ganz tief in Rote Zahlen schlittern werden."
Birkmeir richtete einen "flammenden Appell" an die "sehr verehrten" Kulturpolitikerinnen in Stadt und Bund, "die Zeichen der Zeit" zu verstehen. "Es bröckelt schon allerorten im Erwachsenenbereich, halbleer ist das neue voll, aber das kann's nicht sein. Da wird etwas falsch gemacht. Investiert bitte! Sonst sieht die Kulturlandschaft Österreich bald so aus wie mancher Vorgarten in diesem Hitzesommer." Vor allem sehe er "ein Missverhältnis" bei der Förderung von Kinder- und Jugendtheater im Verhältnis zum sonstigen Sprechtheater. "Dabei ist Kulturvermittlung für Kinder und Jugendliche die beste Integrationsmethode, die es nur gibt." Man werde Stadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Staatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) "ein Denkmal bauen, wenn sie sich wirklich dafür einsetzen. Das ist versprochen! Pappmaschee haben wir noch genug."
Der seit der Saison 2002/03 amtierende Theaterchef Thomas Birkmeir hat einen unbefristeten Vertrag. Bisher hieß es, dieser könne beidseitig zum Stichtag 31. August mit einer Kündigungsfrist von zwei Jahren beendet werden. Das sei unrichtig, sagte Birkmeir heute. "Ich kann jederzeit gekündigt werden." Er würde sich jederzeit einer Neuausschreibung stellen, wie es derzeit auch Burgtheater-Direktor Martin Kusej tun müsse, betonte er. "Aber ich stelle meine Funktion nicht zur Verfügung. Wenn ich gefragt werde, kann ich nur sagen: Ich mache es, bis ich 85 bin, weil ich es gerne mache. Das mag für den einen beruhigend, für den anderen erschreckend sein. Ich glaube, ich habe mein richtiges Berufsumfeld gefunden. Ich klebe nicht an meinem Sessel, aber ich mach es gerne." Er habe das Gefühl, von der Kulturpolitik werde wahrgenommen, "dass hier sehr gutes Arbeit geleistet wird": "Ich bin ein alter Besen - aber manchmal kehren auch alte Besen gut."
Die heute für 2022/23 angekündigten Uraufführungen sind durchgehend Bearbeitungen: "Ein Kind" nach Thomas Bernhard (Bearbeitung und Regie: Gerald Maria Bauer, Premiere: 13. Jänner 2023), "Moby Dick" nach Herman Melville (Bearbeitung und Regie: Michael Schachermaier, Premiere: 25. April 2023) sowie "Frühlings Erwachen" nach Frank Wedekind (Bearbeitung und Regie: Thomas Birkmeir, Premiere: 23. März 2023). Diese lange geplante Produktion sei bereits kurz vor der Premiere gestanden und musste verschoben werden. "Wenn's diesmal nicht klappt, gebe ich auf", meinte der Regisseur zu seinem "Versuch, das gegenwärtige Jugendgefühl einzufangen" und nannte die Wedekind-Vorlage "hoffnungslos veraltet". Weiters geplant sind die von Werner Sobotka inszenierte Musical-Komödie "Honk!" (Premiere: 11. Oktober), Andreas Steinhöfels Kinderkrimi "Rico, Oskar und die Tieferschatten" (Premiere: 6. Dezember), das Musical "Frau Zucker will die Weltherrschaft" von Wolfgang Böhmer und Peter Lund, der auch Regie führt (Premiere: 16. Februar 2023), Christine Nöstlingers "Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse" (Premiere: 25. Mai 2023) und die Komödie "Bradley - Letzte Reihe, letzter Platz" von Louis Sachar (Premiere: 18. Oktober).
(S E R V I C E - www.tdj.at)
Zusammenfassung
- Der Zeitbefund von Thomas Birkmeir ist gar nicht positiv: "Soviel Endzeitstimmung war noch nie. Wir kommen dem von uns selbst geschaffenen Abgrund immer näher." Aus diesem Grund setze das von ihm geleitete Theater der Jugend in dieser Saison mit acht Neuproduktionen (darunter drei Uraufführungen) auf einen "möglichst hoffnungsfrohen, zukunftsbejahenden und in allen Facetten seelenstärkenden Spielplan", sagte er heute bei der Pressekonferenz. Das Motto lautet: "Don't give up!"