"Die Kleinbürgerhochzeit": Kleinholz in den Kammerspielen
In Bert Brechts 1919 geschriebenem Jugendwerk "Die Kleinbürgerhochzeit" sitzen sie an einer Hochzeitstafel versammelt: die Spießer, die gerne die Sau rauslassen, wenn der Alkohol sie erst locker gemacht hat, und ihr Nachwuchs, der sich klein macht, noch ehe er groß geworden ist. In den Kammerspielen der Josefstadt war gestern Premiere einer Neuinszenierung.
Regie führte Philip Tiedemann, ein Muster- und Meisterschüler von Claus Peymann, der 1997 und 1998 erste eigene Inszenierungen am Burgtheater vorlegte und danach mit dem Direktor als Oberspielleiter ans Berliner Ensemble wechselte, wo er Brechts Einakter bereits einmal erfolgreich in Szene setzte.
Die Inszenierung stand unglaubliche 17 Jahre lang auf dem Spielplan und wechselte 2018 an das Berliner Schlosspark Theater. In seiner Wiener Interpretation spielt das Bühnenbild von Alexander Martynow die Hauptrolle.
Es ist eine ziemlich beengende Pressspan-Hölle mit brüchigem Boden und zerbrechlichen Möbeln, die als Schauplatz des Hochzeitsessens von Jakob und Maria dient. Katharina Klar und Alexander Absenger spielen das Brautpaar, das Freunde und Verwandte zur Feier des angeblich schönsten Tags im gemeinsamen Leben ins traute Eigenheim geladen hat.
Home sweet Home Marke Eigenbau, das bedeutete in der Vor-Ikea-Zeit selbst Gezimmertes aus eigens angerührtem Leim. Im Laufe des Abends wird das Mobiliar nicht nur aus dem Leim, sondern auch in die Brüche gehen. Die kunstvolle Choreographie des Zusammenbruches verdient Anerkennung und wurde bei der Premiere mit einigen Lachern quittiert.
Es sind jedoch billige Lacher, die nicht aus bitterer Selbsterkenntnis kommen. Die Kleinbürger von heute werden nicht gezeigt und nicht gemeint. Die Spinnweben im Keller hängen symbolisch über dem ganzen Abend: Dass 100 Jahre vergangen sind und die Verhältnisse sich doch einigermaßen gewandelt haben, darüber macht sich die Inszenierung in den 85 pausenlosen Minuten wenig Gedanken.
Dafür wird mit Slapstick und grober Überzeichnung gearbeitet, die nicht das Tragische, sondern das potenziell Monströse der Figuren vorführt. Morsch ist nicht nur das Mobiliar, sondern auch die Moral. Das viele Kleinholz, das hier quasi von alleine entsteht, wird schon wenige Jahre später bei Saalschlachten fabriziert werden. Lust und Gewalt, mehr noch: Lust auf Gewalt liegt in der Luft. Es wird gesungen, getanzt und gedroht.
Klar und Absenger stehen im Zentrum des selbst gezimmerten Aufbruchs, der zum Untergang wird. Aus der Tischgesellschaft stechen André Pohl als schwatzsüchtiger Vater der Braut, Markus Kofler als mit praller Lebenslust provozierender Freund des Bräutigams und Roman Schmelzer und Michaela Klamminger als Paar heraus, das zeigt, in welche Sackgasse die Ehe führen kann. Am Ende geht es zwar winkend abwärts, doch den Schlussakkord setzt Babygeschrei. Das Leben geht weiter. Viel Applaus.
Zusammenfassung
- In den Kammerspielen der Josefstadt war gestern Premiere einer Neuinszenierung.
- In seiner Wiener Interpretation spielt das Bühnenbild von Alexander Martynow die Hauptrolle.