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"Die Inkommensurablen" im Volkstheater: Trickfilm ohne Magie

Es war ein ambitioniertes Vorhaben: Mithilfe seines "Live Animation Cinemas" hat sich der deutsche Regisseur Nils Voges mit seinem sputnic-Kollektiv vorgenommen, Raphaela Edelbauers historischen Roman "Die Inkommensurablen" als vor Ort hergestellten Trickfilm auf die Bühne des Volkstheaters zu bringen. Allein: Bei der Premiere am Donnerstagabend blieb es bei einer fragmentierten Versuchsanordnung, die den Funken nicht überspringen ließ.

Der dritte Roman der vielfach ausgezeichneten 33-jährigen Autorin entführt die Leser am Vorabend des Ersten Weltkriegs in die Bundeshauptstadt, in der sich drei junge Menschen aus denkbar unterschiedlichsten Lebensverhältnissen zusammenfinden und die letzten Stunden vor dem drohenden Krieg miteinander zwischen Rausch und Zukunftsangst verbringen. Der Tiroler Bauernknecht Hans ist am Tag seiner Ankunft überwältigt von der Großstadt und den Halbwelt-Orten, in die ihn seine neue Bekannte, die Mathematik-Doktorandin Klara, und deren Bekannter Adam entführen. Nach Wien gekommen ist er, um sich bei der Psychoanalytikerin Helene, bei der er auch Klara und Adam kennenlernt, behandeln zu lassen. Mit ihnen taucht er auch in jenen kollektiven Traum ab, mit dem Helene groß angelegt experimentiert.

Für den Abend im Volkstheater haben Voges und sein Team über 300 Platten mit ihren Zeichnungen bedruckt, die von vier Schauspielerinnen und Schauspielern auf vier großen, auf der Bühne platzierten "Tricktischen" zu einem Film montiert werden. Die so mit erheblichem Aufwand entstehende Live-Animation, die auf zahlreiche Lamellenvorhänge mittels Overhead-Technik projiziert wird, blieb bei der Premiere allerdings hinter den Erwartungen an die so entstehende Dynamik zurück. Während das Ensemble fixe Rollen verkörpert, finden sich deren täuschen ähnliche Alter Egos sowie zahlreiche Nebenfiguren auch auf der grafischen Ebene wieder.

Um das Anfang des Jahres erschienene, 350 Seiten umfassende Werk halbwegs in zwei Stunden auf die Bühne zu bringen, musste Voges allzu stark zur Schere greifen: Die Aneinanderreihung von eindringlichen Szenen - etwa das Kennenlernen der drei, ein Abendessen mit den Offiziersfreunden von Adams Vater oder das von Kriegstreibern gestörte Rigorosum Klaras - bleibt holzschnittartig, der große Bogen fehlt. Ein großes Verdienst Edelbauers ist auch die präapokalyptische Stimmung, die sie in ihrem Roman eingefangen hat - gepaart mit Wiener Lokalkolorit und der Darstellung jenes multikulturellen Meltingpots, der Wien am Ende der Monarchie gewesen ist. All diese Aspekte sind in Voges' sehr auf Technik und Optik zielender Inszenierung kaum spür- und hörbar.

So leiden schließlich auch die Figuren selbst, die oft im Halbdunkel sprechend und Folien auflegend daran scheitern, Persönlichkeit und Präsenz zu entwickeln. Es gelingt Anna Rieser selten, der sozialistischen Studentin Klara, die als Suffragette für Frauenrechte kämpft, die nötige intellektuelle Überzeugungskraft zu verleihen; dem aus Heilbronn stammenden Hardy Emilian Jürgens nimmt man den in der Großstadt staunenden Tiroler Knecht zu keinem Moment ab. Das meiste Profil erarbeitet sich Fabian Reichenbach als Adam, der weiß, dass er am nächsten Tag bei der Mobilmachung einzurücken hat. Gerti Drassl, die als Helene eigentlich im Hintergrund die Fäden in der Hand hält, entfaltet nur wenig manipulative Energie. Und so wird Voges' "Die Inkommensurablen" zu einem Abend, der mehr Spektakel bleibt als tiefgreifende Auseinandersetzung mit jener Stimmung, die vor großen Umbrüchen in der Luft liegt.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Die Inkommensurablen" von Raphaela Edelbauer im Volkstheater, realisiert von "sputinic". Regie: Kay Voges, Bühne: Michael Wolke, Kostüme: Friederike Wörner, Illustration: Karl Uhlenbrock, Head of Animation: Michael Dölle, Komposition: Fiete Wachholtz, Lichtdesign: Ines Wessely. Mit: Gerti Drassl, Hardy Emilian Jürgens, Fabian Reichenbach und Anna Rieser. Weitere Termine: 15. und 21. Dezember sowie am 14. und 31. Jänner 2024. www.volkstheater.at)

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  • Allein: Bei der Premiere am Donnerstagabend blieb es bei einer fragmentierten Versuchsanordnung, die den Funken nicht überspringen ließ.