"Der Selbstmörder" im Burgtheater erstickt in Exzentrik
Durch einen Irrtum denkt Semjons (Florian Teichtmeister) Umfeld, dass er sich umbringen möchte. Eine wirkliche Tragödie ist das allerdings nur für seine Frau Maria Lukjanowna Podsekalnikowa (Lilith Häßle) - nicht wenig Spielzeit wird dafür verwendet, lange russische Namen möglichst komplett auszusprechen. Das aus Peter Jordan und Leonhard Koppelmann bestehende Regieduo lässt die anderen Charaktere zunächst unisono geschockt reagieren, bevor diese versuchen, mit dem vermeintlich Suizidgefährdeten ihre jeweiligen Zwecke zu verfolgen. Für die alte russische Intelligenz, für den Handel, die Kunst, die Religion und so weiter - Bereiche, die die Charaktere während des Stalinismus in der Krise wähnen - soll sein Selbstmord mittels Abschiedsbrief instrumentalisiert werden.
Wie bereits seine erste politische Satire "Das Mandat" fiel Erdmans "Der Selbstmörder" der sowjetischen Zensur zum Opfer. Erdman selbst wurde unter Stalin verbannt, eine Aufführung in seiner Heimat erlebte der Autor, der später keine Stücke mehr verfasste, nicht. Ungleich den anderen Bühnenrollen und seinem Verfasser hat Semjon keine Ideale, lässt sich von der drängenden Meute aber an den Rand des Selbstmords treiben. Eine Pause, die sich für Erdman-Neulinge verwirrenderweise nur als solche erkennen lässt, weil niemand Applaus entgegennimmt, teilt das Stück entzwei.
Während der gesamten, deutlich zu langen 2 Stunden und 45 Minuten an Spielzeit herrscht auf der Bühne reges Treiben, die Protagonisten sprechen laut und gehetzt. Durch geringfügige Kostümänderungen - die bärtige Dame Margarita (Tim Werths) verwandelt sich am Ende auch unter dem Tisch in den Pfarrer Vater Elpidius - schlüpfen die Schauspieler in eine gewaltige Menge an Rollen. Allerdings bleibt so nicht nur der Überblick, sondern auch die Besonderheit der Protagonisten auf der Strecke. Die eigenwillige modernisierte Ästhetik drängt in den Vordergrund, die mit Tattoos übersäten Charaktere vermischen sich zum exzentrischen Einheitsbrei. Lediglich Dietmar König sticht streckenweise als von sich überzeugter Aristarch, Vertreter der russischen Intelligenzija im Pelzmantel, hervor. Für Gelächter sorgt er, als er vermeintlich versehentlich zu früh von der Bühne abgehen will und das auch kundtut.
Für Situationskomik bleibt in diesem Selbstmordstück viel Platz. Auch, weil "Der Selbstmörder" im Burgtheater von einer unharmonischen Dichotomie aus Komik und ständiger Bedrängnis beherrscht wird, fällt der Humor aber oft flach - einige gute Pointen (Auf die Frage "Wie kann ein einziger Mensch so erbärmlich stinken?" antwortet Semjon mit "Man muss es wollen") ausgenommen. Lichtblicke gibt es, wenn Jordan und Koppelmann den Charakteren mehr Raum geben, etwa, wenn Semjon verzweifelt über das Leben nach dem Tod sinniert oder sich schon mit seiner Schwiegermutter dort wähnt. Die wirklichen ernsten und witzigen Momente, die so produziert werden, bleiben aber leider dünn gesät.
(S E R V I C E - "Der Selbstmörder" von Nikolai Erdman im Burgtheater, Universitätsring 2, 1010 Wien. Regie: Peter Jordan, Leonhard Koppelmann, Bühne und Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch. Mit: Florian Teichtmeister, Lilith Häßle, Katharina Pichler, Markus Hering, Tim Werths, Dietmar König, Bardo Böhlefeld und Alexandra Henkel. Weitere Aufführungen am 2., 13., 17. und 29. November. www.burgtheater.at/produktionen/der-selbstmoerder)
Zusammenfassung
- Statt Russen aus den 1920er-Jahren, streiten bei der Premiere von Nikolai Erdmans Komödie "Der Selbstmörder" am Freitag Punker in Netzhemden und Lederröcken um die Verwertungsrechte am Tod des Protagonisten.
- Wie bereits seine erste politische Satire "Das Mandat" fiel Erdmans "Der Selbstmörder" der sowjetischen Zensur zum Opfer.
- Regie: Peter Jordan, Leonhard Koppelmann, Bühne und Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch.