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Claudia Bauer inszeniert Jelinek im Volkstheater Wien

Mit "Krankheit oder Moderne Frauen" bringt Claudia Bauer, die mit "humanistää!" und "Malina" große Erfolge am Volkstheater feierte, ab 24. Jänner ein frühes Jelinek-Stück zurück ans Haus. Im Gespräch mit der APA unterstreicht die deutsche Regisseurin ihre Liebe für das österreichische kritische Volksstück, analysiert die Entwicklung des Frauenbilds vor dem aktuellen politischen Hintergrund und zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft des Theaters.

APA: Sie haben in Ihrer Karriere viele österreichische Säulenheilige inszeniert, darunter Schwab, Jandl, Bachmann und jetzt Jelinek. Gibt es da Verbindungslinien?

Claudia Bauer: Ja, extrem. Ich komme ja aus Bayern und da ist man dem mundartlichen, kritischen Volkstheater doch sehr nah. Zudem habe ich im Osten an der Ernst Busch-Hochschule studiert, wo man ja vor allem Brecht um die Ohren geschlagen bekommt. Ich bin also immer sehr dankbar, wenn ich in südlich-deutschsprachigen Gefilden arbeiten kann, wo diese tollen Horváth-, Schwab- und auch die frühen Brecht-Stücke zu Hause sind. Daher inszeniere ich nun ein Jelinek-Stück aus den 1980ern, weil die frühe Jelinek noch viel mehr im kritischen Volksstück verortet ist. Zumindest erweckt sie den Anschein.

APA: Inwiefern?

Bauer: Weil sie Figuren selbst in diesem Stück eigentlich nicht mehr spannend findet. Sie findet groteske Situationen gut, die aber eher brisanten Themen entspringen und nicht so sehr den Figuren. Damals war Jelinek genau am Scheideweg. Eigentlich bedauere ich es sehr, dass sie sich in weiterer Folge - wie der Schmetterling aus seinem Kokon - von Spielfiguren gelöst hat und zur reinen Textfläche übergegangen ist. Aber man darf ja auch mit ihren späteren Stücken frei umgehen. Also könnte man vielleicht sogar wieder Figuren erfinden.

APA: Wer Ihnen noch fehlt, ist Thomas Bernhard. Wollen Sie den auch mal inszenieren?

Bauer: Also ich mag Bernhards Sprache unglaublich gerne, aber ich scheue ein wenig vor seinen grantigen alten Männern zurück. Das hat nichts mit Wokeness zu tun, sondern eher damit, dass diese Grantigkeit schon oft recht männlich ist und ich da keine Bildfantasie dazu bekomme. Aber ich glaube, Bernhard kommt schon noch, vielleicht muss ich einfach noch älter und grantiger werden.

APA: Bei den alten weißen Männern muss ich noch einmal einhaken. Statistisch gesehen wird Goethe in den vergangenen Jahren immer weniger gespielt, als Grund wird von Experten angenommen, dass alte weiße Männer bei den derzeitigen Diskursen nicht unbedingt als Hauptfiguren taugen. Würden Sie das unterschreiben?

Bauer: Ich glaube ja, dass Goethe auch - wie Jelinek - eher ein Textflächenpapst ist und sich eher thematisch abarbeitet. Mit Goethe kann man ziemlich viel machen, seine Texte stark bearbeiten. Auch wenn die Figur des Gretchens derzeit als problematisch gilt, gibt es viele wunderbare "Faust"-Inszenierungen in den vergangenen Jahren. Man muss halt einen Weg finden, die Dinge neu zu erzählen.

APA: Kommen wir zu den Frauen im Jelineks Stück. "Krankheit oder Moderne Frauen" ist 40 Jahre alt. Man möchte auf den ersten Blick meinen, das Frauenbild sowie das Selbstverständnis von Frauen haben sich seither verändert. Aber so sicher bin ich mir in letzter Zeit doch nicht.

Bauer: Es gibt es ja zwei Frauen im Stück: Einmal die voll durchemanzipierte Emily, die seit einigen hundert Jahren eine Vampirin ist. Sie lässt sich nur auf ihren Verlobten Dr. Heidkliff ein, weil sie eine Zahn-OP haben möchte, damit ihre Eckzähne ein- und ausfahrbar gemacht werden können. Und dann gibt es da noch die Hausfrau Carmilla mit den vielen Kindern. Ich muss sagen, vor ein paar Jahren hätte ich noch gedacht, ihr Bild ist antiquiert. Aber mit den jüngsten politischen Entwicklungen, nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Teilen dieses Planeten, habe ich den Eindruck, dass wieder die große Sehnsucht in bestimmten Gesellschaften besteht, dass die Frauen bitte wieder gebärfreudig am Herd stehen sollen.

Letztlich erzählt das Stück tatsächlich auch gar nicht so viel Neues über Frauen, sondern es erzählt von Männern und was sie sich wünschen. Sie werden unrund und unruhig, wenn beide Frauen als Vampirinnen ihr eigenes Leben leben. Das ist absolut modern, weil nach all den Schritten im Feminismus bestimmte Männer jetzt wieder an den Stammtischen sitzen und sagen: "Also so haben wir uns das eigentlich nicht vorgestellt. Warum sind die Frauen nicht zu Hause und vermehren unsere eingeborene Bevölkerung mit ihren geburtsfreudigen Körpern?" Ich glaube, es wird bald sehr dunkel für bestimmte positive Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte.

APA: Woher kommt diese neue Abneigung aus Ihrer Sicht?

Bauer: Ich glaube, dass diese Forderung nach Gleichberechtigung auf vielen Ebenen in den letzten Jahren extrem vehement geworden ist und eben auch stark in die Sprache eingegriffen hat. Das hat zwar schon immer einigen Menschen nicht gepasst, aber sie haben dazu geschwiegen. Aber je mehr Gleichberechtigung auch medial gepusht wurde, desto vehementer wurde natürlich die Gegenbewegung. Und da rede ich jetzt nicht nur von Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Viele Menschen denken, eine derart diverse Gesellschaft zerstört ihre kleine heile Welt, und das darf nicht sein. Und nicht zuletzt weil das Thema auch von politischen Parteien instrumentalisiert wird, kann man sich halt wieder auf die Straße stellen und bestimmte Dinge laut herausschreien. Die Welt ist vielen Leuten einfach zu komplex geworden, und ich kann es teilweise verstehen. Jedenfalls sitzen wir derzeit fett in der Gegenbewegung zur Wokeness.

APA: Gerade in den vergangenen Jahren haben sich Kulturschaffende - auch Theater - ganz klar gegen den Rechtsruck positioniert und zeigen sich nun enttäuscht, dass sie nichts erreichen konnten. Kann Kunst da überhaupt so viel bewirken?

Bauer: Wie viel Prozent der deutschen oder österreichischen Bürger gehen überhaupt regelmäßig ins Theater? Vielleicht drei, vier Prozent? Die Reichweite von Theater hat ihre Grenzen. Und ich glaube auch nicht, dass es die Aufgabe von Theater sein kann, den Rechtsruck aufzuhalten. Das wäre zu viel Last auf den Schultern. Natürlich kann das Theater eine große Strahlkraft entwickeln, ich glaube aber nicht, dass das durch dürftige moralinsaure Aufklärungsveranstaltungen passieren sollte, wo die Menschen dann sagen: "Oh, jetzt werde ich wieder belehrt."

APA: Wo sehen Sie vor dem aktuellen politischen und gesellschaftspolitischen Hintergrund die Theater in den nächsten Jahren?

Bauer: Ich habe zum ersten Mal Angst. Angst, dass vielleicht in unseren künstlerischen Wirkungsbereich eingegriffen wird. Ich weiß nicht, wie das mit der FPÖ ist, aber in Deutschland gibt es schon Forderungen, wie die Spielpläne zukünftig auszusehen haben. Ich habe aber auch Angst als Bürgerin, dass da Dinge entstehen, die aus dem Ruder laufen. Dann wird es spannend, wie Theaterschaffende sich verhalten, wenn es wirklich gefährlich wird, wenn es Menschen an die Existenz geht. Und ob Theater dann tatsächlich in den Untergrund gehen.

APA: Gerade in der Slowakei kann man derzeit leider beobachten, wie schlimm es werden kann.

Bauer: Selbst das ist wahrscheinlich noch nicht das Schlimmste, was möglich ist.

APA: Der Ruf, gegen "Überförderung" vorzugehen, stand hierzulande zuletzt im Raum.

Bauer: In Deutschland ist es ja schon losgegangen, siehe Berlin. Ich habe tatsächlich Angst, dass ich arbeitslos werde. Manche Berliner Theater haben ihren Output bereits halbiert. Mit einer Reduktion des kulturellen Angebots werden die Großstädte zerstört. Städte wie Berlin oder Wien, die mehrere Theater haben, leben ja von der Konkurrenz und dem bunten "Überfluss" an Kultur. Dieser Überfluss ist kein Luxus, sondern die Schlagader einer pulsierenden Großstadt. Was haben diese Großstädte sonst? Also die Industrie ist es nicht. Der Ackerbau ist es auch nicht. In dem Moment, wo man die kulturelle Fülle wegnimmt, wird alles dürftig. Dann kann man sagen: "Macht doch einfach die Stadt zu." Dann wohnen wir alle nur noch in unseren Buden und gießen die Topfpflanzen.

APA: Noch einmal zurück zu "Krankheit oder Moderne Frauen". Bei der Inszenierung am Volkstheater durch Piet Drescher 1990 kam es zum Skandal. Was müsste eine Inszenierung oder ein Text heute haben, um noch einen Skandal zu provozieren?

Bauer: Der Skandal lag ja, wie für Jelinek natürlich angemessen, vor allem in der Sprache. Ich glaube, im Moment liegt das Skandalöse eher im Körper, im Bild. Bei Inszenierungen mit nackten, erigierten oder durchbohrten Körpern. Aber ich glaube, bestimmte Leute werden das Stück auch heute noch als streckenweise unangenehm und unangemessen empfinden. Die Männer kriegen von der Elfriede deftig auf die Fresse. Ich habe Dreschers Inszenierung damals gesehen und dachte mir: In Berlin hätten die Leute müde gelächelt. Der Skandal war mir unverständlich. Mir ist es einfach eine unglaublich große Freude und Ehre, die Sprache der jungen Jelinek wieder auf die Bühne zu bringen.

APA: Im Herbst startet ja Jan Philipp Gloger als Volkstheaterdirektor. Eine Position, für die Sie sich auch beworben hatten. Werden Sie weiterhin hier inszenieren?

Bauer: Er hat mich noch nicht gefragt, aber ich persönlich kann mir das sehr gut vorstellen. Ich bin sehr gerne in Wien. Aber eigentlich könnte mich auch die Burg mal engagieren.

APA: Haben Sie sich Gedanken gemacht, warum Sie die Volkstheaterleitung schließlich nicht bekommen haben?

Bauer: Ich glaube, ich war denen zu crazy. Ich bin eine temperamentvolle Person mit einem temperamentvollen Führungsstil. Ich bin schnell, ich bin laut, ich bin manchmal derb, aber ich bin fair und feedbackorientiert. Ich komme natürlich aus einer bestimmten Generation, wo ich als regieführende weibliche Person eine gewisse Härte entwickeln musste. Aber ich nehme niemandem etwas übel und schätze meine Leben als freie Künstlerin sehr.

(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Krankheit oder Moderne Frauen" von Elfriede Jelinek im Volkstheater. Premiere: 24. Jänner, Regie: Claudia Bauer, Bühne: Patricia Talacko, Kostüm: Andreas Auerbach, Komposition und musikalische Leitung: PC Nackt. Mit u.a. Elias Eilinghoff, Annika Meier, Lavinia Nowak und Nick Romeo Reimann. Weitere Termine: 31. Jänner, 9., 19. und 22. Februar. www.volkstheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Claudia Bauer inszeniert Elfriede Jelineks 'Krankheit oder Moderne Frauen' ab dem 24. Januar im Volkstheater Wien.
  • Die Regisseurin betont die Aktualität der Themen, insbesondere das Frauenbild und gesellschaftliche Erwartungen.
  • Bauer äußert Bedenken über politische Entwicklungen und deren Einfluss auf die Kunstszene.
  • Das Stück zeigt, wie traditionelle Rollenbilder Frauen unter Druck setzen, sich gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen.
  • Bauer plant weiterhin in Wien zu arbeiten, trotz der verpassten Gelegenheit, das Volkstheater zu leiten.