Britische Band Madness vertont das "Theatre Of The Absurd"
Die Stimmung änderte sich, als Madness zusammenkamen, um ihr 13. Studioalbum aufzunehmen. "Da kam die große Erkenntnis. Wenn man sich von Angesicht zu Angesicht sieht, dann redet man", sagt Suggs. In einem Pub im Stadtteil Walthamstow im Osten von London nippt er an seinem Bier, schimpft über Ex-Premierminister Boris Johnson und das gesellschaftliche Klima in Großbritannien. Der 62-Jährige, der eigentlich Graham McPherson heißt, ist dennoch gut gelaunt.
Manchmal wird er ernst. "Ich habe einen Artikel von irgendeinem Journalisten gelesen, da hieß es: Das Traurigste ist, dass der Mittelweg verbrannt und zerstört wurde und man entweder auf der einen oder der anderen Seite stehen muss. Die Vorstellung, dass man Argumenten auf beiden Seiten zustimmen kann, scheint irgendwie verloren gegangen zu sein." Bei Madness sei das anders, meint Suggs. "Wie waren untereinander immer tolerant und offen für andere Meinungen. Man muss niemanden hassen, weil derjenige eine andere Meinung hat."
Der E-Mail-Streit war also schnell vergessen. Das Album mit dem langen Titel "Theatre Of The Absurd Presents: C'Est La Vie" widmet sich den Absurditäten der vergangenen Jahre aus verschiedenen Blickwinkeln. "Jeder kam mit unterschiedlichen Ideen für die Lieder auf diesem Album, basierend auf seinen Gefühlen zu dieser ganzen Periode. Und letztendlich hat jeder eine Meinung. Das ist völlig in Ordnung."
Die Untersuchungen über die Fehltritte der Regierung während der Pandemie laufen noch, als das Interview stattfindet. Nicht zufällig denkt man bei "What On Earth Is It You Take Me For?" - einem der besten Songs des Albums - an Boris Johnson. Der konservative Ex-Premier hatte die Briten während des Lockdowns eindringlich gebeten, zu Hause zu bleiben - während er selbst mit Parteikollegen und Mitarbeitern im Regierungssitz in der Downing Street feierte.
"Na klar ist das über ihn", bestätigt Suggs und lacht. "Deswegen wollte ich, dass das Album 'Theatre Of The Absurd' heißt, weil es so absurd war, was wir alles hinnehmen mussten. Ich halte ihn für einen Dummkopf, und ich glaube nicht, dass er wirklich an irgendetwas geglaubt hat. Er sagt einfach immer das, was ihn voranbringt."
"Theatre Of The Absurd..." ist ein Konzeptalbum, aber die Songs sind laut Suggs nicht wirklich politisch. "Du kannst sie interpretieren, wie du willst", sagt er. "Es gibt eine Menge Songs, in denen es um die Erfahrungen geht, die Menschen in dieser fürchterlichen Zeit gemacht haben. Wir sind eine Band, die unterhalten und Spaß haben will, aber gleichzeitig muss man auch mal Dampf ablassen."
Ohrwürmer wie "Baggy Trousers", "One Step Beyond" oder "Our House" sucht man zunächst vergebens. Doch nach mehrmaligem Hören nisten sich die Songs im Kopf ein. Das von Riffs und Orgel getriebene "If I Go Mad", das leicht traurige "Baby Burglar" oder das trotzige "Round We Go" entfalten nachhaltige Wirkung. "The Law According To Dr. Kippah" ist mit leichtem Einfluss von 80er-Jahre-Goth ein echtes Highlight.
Während des Gesprächs läuft auf einem Fernseher im Hintergrund ein britischer Musiksender. Auf einmal wird das witzige Musikvideo zum Madness-Klassiker "Driving In My Car" von 1982 gezeigt. Suggs lacht herzlich. "Wir hatten so viel Spaß damals." Der Madness-Frontmann, der in der Regel stets im Anzug und mit Sonnenbrille auf der Bühne steht, beim Interview aber eine schwarze Lederjacke trägt, ist nach eigener Aussage ein Nostalgiker. Früher sei zwar nicht alles besser gewesen, vieles aber schon, findet er.
Trotzdem will er nicht, dass Madness eine Nostalgie-Band werden, was fast passiert wäre. "Wir wurden in das schwarze Loch der Nostalgie gezogen", sagt er. Das habe sich erst mit der Veröffentlichung des Albums "The Liberty of Norton Folgate" im Jahr 2009 geändert. "Norton Folgate hat uns da rausgeholt. Nicht, dass wir die relevanteste oder interessanteste Band sind, die Alben aufnimmt. Aber zumindest geht es nicht bergab. Wir müssen nicht mit sonst wem auf irgendwelchen Kreuzfahrt-Schiffen diese schrecklichen 80er-Jahre-Shows spielen."
(Das Gespräch führte Philip Dethlefs/dpa)
(S E R V I C E - www.madness.co.uk)
Zusammenfassung
- Ihr neues Album hat Madness möglicherweise vor der Trennung bewahrt. Brexit, Coronapandemie und andere Dinge setzten der britischen Band zu. "Es gab Zeiten, in denen wir richtig aneinandergeraten sind, weil wir so unterschiedliche Meinungen zu all diesen Dingen hatten", sagt Frontmann Suggs im dpa-Gespräch in London. "Impfung, Lockdown, Brexit - wir waren in diesen Fragen komplett gegensätzlicher Meinung. Das Problem war, dass wir nur in E-Mails kommuniziert haben."