Bei Österreich-Auftritt in Leipzig "muss geklotzt werden"
APA: Frau Gasser, in wenigen Tagen geht's los mit dem Gastlandauftritt auf der Leipziger Buchmesse. Gibt's noch ungelöste Probleme und Zitterpartien, oder ist alles auf Schiene?
Katja Gasser: Mein Vater ist 96 Jahre alt, schwer dement, und das Einzige, was er mich noch fragt, wenn ich ihn besuche, ist: Ist alles auf Schiene? Und ich sage immer: Ja. In diesem Sinne auch hier: Ja!
APA: Das Programm sieht überaus umfassend aus - ist Ihnen diese Dimension passiert, oder war von Anfang an das Motto "klotzen statt kleckern"?
Gasser: Die Ambition war, die Vielfalt der österreichischen Literatur- und Verlagslandschaft beispielhaft sichtbar zu machen, eingebettet in ein österreichisches Kunstfestival, in dem, zumindest fragmentarisch, andere Kunstsparten, die eng mit der Literatur verwoben sind, auch sichtbar werden - siehe Maria-Lassnig-Ausstellung, Burgtheatergastspiel, Filmwoche etc. Es geht ja hier nicht um eine kleine Bücherschau, wo Österreich dann ein paar mehr Titel als andere Länder auflegen darf - eine nach wie vor kursierende Vorstellung übrigens, was es bedeutet, Gastland zu sein. Das gesamte Gastlandteam hat sich gewünscht, dass möglichst viele aus der Branche in dieses Projekt involviert sind. Die mehr als 20 Kooperationspartner, die das Gastland hat, sind auch Ausdruck dieses Bemühens um Vielfalt. Außerdem: Ein solches Projekt findet ja nur alle heiligen Zeiten statt - da muss geklotzt werden, nicht gekleckert! Wir erinnern uns: Zuletzt war Österreich 1995 Gastland in Frankfurt. In Frankfurt einen großen Auftritt zu haben wieder einmal, sollte das nächste Ziel sein für die österreichische Buchbranche aus meiner Sicht!
APA: Apropos Motto: Können Sie "meaoiswiamia" überhaupt noch hören?
Gasser: Ja! Je länger das Motto in der Welt ist, umso überzeugter bin ich, dass es die richtige Wahl war. Es trägt dieses Projekt in seinem Innersten: Es ist seine ethisch-ästhetische Richtschnur! Ich bin Thomas Stangl dafür sehr dankbar und all jenen, die sich letztlich von mir davon überzeugen ließen!
APA: An wie vielen Veranstaltungen, Pressekonferenzen, Lesungen werden Sie selbst teilnehmen - als Moderatorin, Rednerin oder Gesprächspartnerin?
Gasser: An einigen. Aber ich bin dort nicht wichtig. Wichtig sind die österreichischen Autorinnen und Autoren, die österreichischen Verlegerinnen und Verleger. Sie sollen und werden dort glänzen!
APA: Wenn jemand nur für drei Programmpunkte Zeit hat: Welche drei Highlights sollte man keinesfalls auslassen?
Gasser: Das kann ich unmöglich sagen, aber: Unser Programm in der Schaubühne Lindenfels ist jedenfalls Pflicht!
APA: Haben kritische Debatten über steigende Kosten, sinkende Leserzahlen, künstliche Intelligenz und fehlenden Literaturunterricht Platz in dem Programm?
Gasser: All das Genannte wird in unterschiedlichen Programmpunkten Thema sein: Mit Jörg Piringer haben wir einen Autor gleich am Messedonnerstag auf der Gastlandbühne, der - gelernter Informatiker übrigens - zu den Pionieren der Beschäftigung mit künstlicher Intelligenz im Kontext literarischen Schaffens zählt im gesamten deutschsprachigen Raum. In der Diskussion rund um die Verfasstheit der österreichischen Gegenwartsliteratur am Messesonntag mit Karl-Markus Gauß, Gerhard Ruiss, Anna Weidenholzer und Verena Gotthardt wird das Thema "fehlender Literaturunterricht in Schulen" gewiss genauso besprochen werden wie der Umstand sinkender Leser:innenzahlen. Außerdem werden diese und viele andere Themen in diversen anderen Gesprächen auf der Gastlandbühne und anderen Bühnen, die wir bespielen, mit Sicherheit zur Sprache kommen. Wenn man sich das Programm genau anschaut, wird man sehen, dass daran durchaus eine politische Ambition abzulesen ist. Mir war es etwa sehr wichtig, dass wir über Solidarität nachdenken, darüber, wie viel Moral es braucht in der Politik, über Fake News und die Folgen für den Journalismus, oder auch über die Katastrophe des Krieges in der Ukraine. Dass Tanja Maljartschuk zugesagt hat zu kommen, ist eine meiner größten Freuden! Ein für mich sehr wichtiger Programmpunkt ist auch der, den wir gemeinsam mit dem IWM aufgesetzt haben zu Fragen nach den Traumata, die ein Krieg hervorbringt und hinterlässt, mit Gauß, Katayna Mishchenko, Nelia Vakhovska, moderiert von Ludger Hagedorn. Nichts, was wir an Programm machen, ist zufällig gesetzt.
APA: "Wir sind mitten im Gelingen" haben Sie schon vor ein paar Wochen gesagt. Woran wird der Erfolg des Gastlandauftrittes gemessen werden können?
Gasser: Ich werde ihn an der Zufriedenheit der Autorinnen und Autoren messen, an der Zufriedenheit der Verlegerinnen und Verleger, und daran, ob es uns gelingen wird, auch mit dem Programm während der Buchmesse erkenntnisfördernde Debatten anzuregen. Damit meine ich keine Debattendebatten, will heißen, Debatten, die nur ihrer selbst willen geführt werden, sondern ernsthaftes Nachdenken darüber, wer wir sind und wer wir in Zukunft sein wollen, um es sehr groß zu sagen. Was meinen Satz "Wir sind mitten im Gelingen" angeht: Ich glaube jetzt schon sagen zu können, dass wir einem Auftrag jedenfalls gerecht wurden und werden, nämlich die Aufmerksamkeit für das Kulturgut Buch, das aus Österreich kommt, massiv zu steigern. Dass wir dennoch nicht Dienstleister an jedem Verlag, jedem Autor sein konnten, wird man auch weiterhin aushalten müssen.
APA: Und wie wird ein erfolgreicher Gastlandauftritt nach Österreich zurückwirken?
Gasser: Dass wir uns mit diesem Projekt darum bemühen, das Buch, die Literatur aus Österreich ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen, sollte der heimischen Buchproduktion auch innerhalb der Grenzen zugutekommen und den heimischen Buchmarkt ankurbeln helfen. Außerdem muss man die Umwegrentabilität dieses Projekts insgesamt bedenken. Mit diesem Projekt machen wir auch Werbung für ein Land, das sich international gern als Kulturnation positioniert. Wir zeigen mit diesem Projekt, dass wir es in Hinblick auf Kunst, in unserem Fall im Speziellen in Hinblick auf Literatur, auch wirklich sind.
APA: Sehnen Sie sich schon nach der Zeit danach - wenn Sie sich mit einem interessanten Buch in aller Stille zur Lektüre zurückziehen können?
Gasser: Sehnsucht ist das falsche Wort, und ich weiß jetzt schon, dass ich einer Illusion aufsitze, wenn ich davon ausgehe, dass ich danach mehr Zeit haben werde. Was ich aber in jedem Fall machen werde, sobald die Buchmesse vorbei ist: Ich werde Ana Marwans Roman "Verpuppt" noch einmal lesen. Dieser Text ist von weltliterarischer Qualität, er erinnert mich in vielem an Ilse Aichinger, auch an Robert Walser und hat mehr Aufmerksamkeit verdient als die, zu der ich im Moment fähig bin. Das ist zum Beispiel auch etwas, worauf ich mich sehr freue in Leipzig: auf das Gespräch mit Ana Marwan auf der Gastlandbühne.
APA: Kehren Sie wieder zurück als Literaturchefin des ORF-Fernsehens, oder warten andere, neue Aufgaben auf Sie?
Gasser: Ich kehre gern zurück in meine Funktion als Literaturressortleiterin im ORF-TV, freue mich auf das wunderbare Team dort und bleibe zugleich offen für Neues. Es gibt keine abgeschlossenen Leben, außer man ist tot. Vor allem aber bleibe ich eine Leserin, die davon überzeugt ist, dass Literatur, Kunst überhaupt, von großer gesellschaftspolitischer Relevanz ist. Jene, die Kunst im Wesentlichen für Dekoration halten und glauben, sie nicht ernst nehmen zu müssen, und glauben, sie deshalb etwa aus den Nachrichten verdrängen zu können und bereit sind, in jedem, der lesen kann, einen validen Literaturkenner zu sehen: sie werden auch weiterhin mit meinem entschiedenen Widerspruch rechnen müssen. Wir würden an uns selbst, an unserer eigenen Dummheit und Enge ersticken, hätten wir die Kunst nicht. Basta!
(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA per Mail)
(S E R V I C E - https://gastland-leipzig23.at/)
Zusammenfassung
- Die österreichische Literaturbranche fiebert der kommenden Woche entgegen.
- Nach einer Corona-Verschiebung ist Österreich heuer Gastland.
- Dass der heimische Auftritt auf der bis 30. April dauernden Messe sehr ambitioniert ausfällt, ist nicht nur einem vom Bund kommenden Sonderbudget von bis zu 2,2 Mio. Euro, sondern dem Engagement von Katja Gasser als künstlerischer Leiterin zu verdanken.