APA/HANS KLAUS TECHT

Wolf in Österreich: Nach EUgH-Auskunft - Darf man noch schießen?

Der Tiroler Verwaltungsgerichtshof hatte beim Europäischen Gerichtshof um Rechtshilfe angefragt: Wie entscheiden beim Wolf? Jetzt ist eine Stellungnahme aus Luxemburg da, diese könnte Österreichs Wolfs-Politik verändern. Denn einzelne Wölfe können nicht für mögliche zukünftige Schäden verantwortlich gemacht werden, Abschüsse sollen das allerletzte Mittel bleiben - die Landwirtschaft muss sich anpassen, auch wenn es kostet.

Im Fall des geplanten Abschusses eines Wolfs in Tirol stützt die EU-Generalanwältin weitgehend die Argumente der Wolf-Schützer. Dieser Einzelfall könnte auch Auswirkungen auf zukünftige Entscheidungen haben. Fünf Erkenntnisse aus der Auskunft des EuGHs.

1. Österreich nicht "ungleich" behandelt

Dass einige Länder vom strengen Schutzregime des Wolfs in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie ausgenommen sind, Österreich aber nicht, stelle "keine Ungleichbehandlung" dar, hält sie in ihrem Schlussantrag am Donnerstag fest. Tirols Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) sah keine "unmittelbaren Auswirkungen" und kündigte auch für heuer Abschussverordnungen an.

Die Verordnungen gelten als umstritten: Tierschützer können dagegen keinen Einspruch erheben. Eigentlich ist der Wolf in Österreich streng geschützt, um Landwirte vor Wolfs-Angriffen zu schützen, gäbe es auch präventive Möglichkeiten, wie Herdenschutzmaßnahmen.

2. Richtungsweisende Auskunft

Im Juli 2022 hatte die Tiroler Landesregierung auf Basis eines Bescheides den Wolf mit dem Namen 158MATK zum Abschuss freigegeben. Mehrere Umweltschutzorganisation gingen daraufhin gerichtlich gegen die Entscheidung vor. Im Zuge dessen trat das Tiroler Landesverwaltungsgericht (LVwG) vor gut einem Jahr mit vier Fragen zur Auslegung des EU-Rechts an den EuGH heran. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist nicht an die Meinung der EU-Generalanwältin gebunden, folgt ihr aber in der Mehrheit der Fälle.

In Österreich ist der Wolf unter anderem durch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) geschützt. Umsetzung von Richtlinien ist Ländersache. Als Österreich der EU beitrat, gab es keine Wölfe, deshalb ist der Wolf hierzulande streng geschützt. Seit 2019 spricht man von einer Wiederansiedlung, wobei es in Österreich zwischen 50 und 70 Exemplare gibt. Es darf auch hier in Ausnahmen geschossen werden.

In Ländern, wo der Wolf nie ausgerottet war, ist der Wolf über die FFH-Richtlinie weniger stark geschützt. Der Tiroler LVwG wollte wissen, ob es hier eine Ungleichbehandlung gibt.

Verhandlungen verpasst

Die meisten Länder, die von den Schutzbestimmungen der Habitat-Richtlinie ausgenommen sind, hätten diese Ausnahme während ihrer Beitrittsgespräche mit der EU ausgehandelt, führt die EU-Generalanwältin Tamara Ćapeta aus.

Diese Möglichkeit wäre auch Österreich offengestanden, das Land habe dies aber nicht getan. Das Land Tirol argumentierte hier, dass es zum Zeitpunkt des österreichischen EU-Beitritts hierzulande keine Wölfe gegeben habe. Das stelle aber keine Ungleichbehandlung dar, so Ćapeta. Ziel der Habitat-Richtlinie sei ja ausdrücklich die Rückkehr des Wolfes.

Was ist das Problem mit dem Wolf in Österreich? Eine Kurzzusammenfassung.

View post on Instagram
 

3. Kein guter Erhaltungszustand

Ein bestimmtes Wolfs-Individuum darf laut FFH-Richtlinie geschossen werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Unter anderem ein "günstiger Erhaltungszustand" - in Österreich wurde der Wolf im letzten FFH-Bericht nicht erfasst, weil es ihn hierzulande noch nicht gab. Es gibt somit kein offizielles Monitoring, der "günstige Erhaltungszustand" sei nicht gegeben.

Der "günstige Erhaltungszustand" müsse auch im"lokalen und nationalen Gebiet" gegeben sein. Umgekehrt gelte aber: Wenn eine Wolfsentnahme im nationalen Gebiet keine negativen Auswirkungen hat, müssten trotzdem die Auswirkungen auf das größere Gebiet in Betracht gezogen werden, sofern entsprechende Daten vorliegen.

4. Einzelner Wolf ist nicht Schuld an allen Schäden

Zudem soll der EuGH klären, was alles zu den Schäden, die durch Wölfe verursacht werden, gezählt werden darf. Hier hält Ćapeta fest, dass nur unmittelbare wirtschaftliche Schäden, die durch einen bestimmten Wolf entstehen, Beachtung finden könnten. Schäden für die Almwirtschaft oder den Tourismus in der Region könnten nicht für die Begründung eines Abschusses herangezogen werden.

5. Andere Lösungen als Schüsse müssen in Betracht gezogen werden

Weiters dürfen Wölfe laut EU-Recht nur geschossen werden, wenn es keine "anderweitigen zufriedenstellenden Lösungen" gibt. Hier will das LVwG wissen, ob auch wirtschaftliche Kriterien (z.B. wenn eine alternative Lösung sehr teuer wäre) zur Bewertung einbezogen werden können.

Diese Frage beantwortet die Generalanwältin mit einem "Ja, aber". "Bei der Beurteilung des Einflusses wirtschaftlicher Faktoren muss berücksichtigt werden, dass bestimmte Kosten und Anpassungen unvermeidlich sind, wenn die Ziele der FFH-Richtlinie erreicht werden sollen", heißt es in dem Schlussantrag. "Das Zusammenleben mit Wölfen macht bestimmte Anpassungen erforderlich und damit verbundene Kosten müssen auch seitens der Tierhalter in den Alpen getragen werden."

Möglichkeiten abseits des Abschusses

Ćapeta nimmt hier auch die Behörden in die Pflicht. Betrachte man immer nur den Einzelfall (z.B. Kosten der Almwirtschaft, um sich kurzfristig vor einem bestimmten Wolf zu schützen, durch Zäune, Hirtenhunde, etc.), falle die Abwägung immer zu Gunsten des Abschusses aus.

"Dagegen fällt das Ergebnis möglicherweise anders aus, wenn sie (Schutzmaßnahmen; Anm.) Teil eines nationalen Präventionsplans sind. Daher seien die wirtschaftlichen Kosten von Schutzmaßnahmen in den "Kontext der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu stellen, die für den strengen Schutz des Wolfs erforderlichen Maßnahmen und Pläne einzuführen."

Geisler sieht keinen Handlungsbedarf

Tirols Landeshauptmannstellvertreter Geisler bezeichnete die Empfehlungen der Generalanwältin als "teils erfreulich, teils enttäuschend und wenig überraschend." Diese hätten für Tirol "keine unmittelbaren Auswirkungen", hieß es in einer Aussendung.

Er hielt fest, dass es auch heuer Abschussverordnungen "nach der seit 2023 geltenden Rechtslage" - das Tiroler Jagdgesetz wurde zwischenzeitlich von der schwarz-roten Landesregierung novelliert - geben werde. Zudem werde man die Herdenschutzprojekte fortführen.

"Unser Ziel auf EU-Ebene ist und bleibt die Änderung der 30 Jahre alten FFH-Richtlinie. Der Wolf ist keine gefährdete Tierart und gehört reguliert wie andere Wildtierarten auch", sagte der für die Landwirtschaft zuständige Landesrat.

Länder ignorieren EU-Recht

Die Datenlage zum Wolf in Österreich ist schlecht, das Bär Wolf Luchs Zentrum versucht den großen Beutegreifer im Inland zu erfassen, nur entspricht das nicht dem offiziellen FFH-Monitoring. Hier liegt die Berichtspflicht bei den Bundesländern. Das beliebte Argument, dass der Wolf nicht gefährdet sei, stützt sich auf europaweite Zahlen. Auf österreichischem Nationalgebiet gibt es weniger als zehn Wolfsrudel.

Der Arten-Reichtum unseres Planeten nimmt drastisch ab. Pro Tag verschwinden 130 Arten weltweit. Die Universität für Bodenkultur Wien widmen sich deswegen drei Tage lang dem Thema Biodiversität. Auch in Österreich steht es schlecht um die Tier- und Pflanzenwelt.

WWF und Ökobüro sehen Rechtsbrüche der Länder

Genau in diesem Punkt sahen sich WWF und Ökobüro bestätigt: "Nach FFH-Richtlinie dürfen streng geschützte Arten wie der Wolf erst abgeschossen werden, wenn alle gelinderen Mittel, wie zum Beispiel Herdenschutz, genau geprüft wurden", meinte WWF-Artenschutzexperte Christian Pichler.

Die Organisationen forderten ein "Ende der einseitigen und rechtswidrigen Abschusspolitik der Bundesländer und den Start einer großflächigen Herdenschutz-Offensive." Tierschutz Austria schloss sich der Forderung ebenfalls an. Präsidentin Madeleine Petrovic fand, dass Herdenschutz noch nicht ausreichend gefördert würde. "Die Urteile haben weitreichende Bedeutung und müssen in ähnlichen Fällen in allen EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt werden, nicht nur in Bezug auf Wölfe, sondern auch auf andere geschützte Tierarten", hielt sie fest.

Der Europäische Gerichtshof urteilt nicht in einem bestimmten Fall, sondern beantwortet Fragen zur Interpretation des EU-Rechts. Im konkreten Fall muss das Tiroler Landesverwaltungsgericht entscheiden. Mit einer Entscheidung des EuGH wird in einigen Monaten gerechnet.

Kurswende der Kommission

Politisch hatte sich zuletzt auf EU-Ebene in Sachen Wolf einiges getan. Die EU-Kommission sprach sich für eine Senkung des Schutzstatus von "streng geschützt" auf "geschützt" aus und berief sich auf Daten aus den Mitgliedsländern.

Man präsentierte einen Vorschlag, mit dem der Schutzstatus des Wolfs im Rahmen des internationalen Übereinkommens von Bern über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume angepasst werden soll. Verhandlungen dazu sollen gegen Ende 2024 stattfinden. 

Gleichzeitig wurden die Mitgliedsstaaten aber auch angehalten, nationale rechtliche Ausgestaltungsmöglichkeiten zu nutzen.

Die Rückkehr des Wolfs in EU-Regionen, in denen er seit langem nicht mehr anzutreffen war, habe ebenso wie die Zunahme seiner Populationen in neuen Gebieten zu Schwierigkeiten und Konflikten geführt, begründete die Kommission ihre Entscheidung. Beifall kam etwa von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) und schwarzen Landespolitikern wie Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP), die sich vehement für eine Senkung des Schutzstatus ausgesprochen hatten.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Tiroler Verwaltungsgerichtshof hatte beim Europäischen Gerichtshof um Rechtshilfe angefragt: Wie entscheiden beim Wolf?
  • Jetzt ist eine Stellungnahme aus Luxemburg da, diese könnte Österreichs Wolfs-Politik verändern.
  • Denn einzelne Wölfe können nicht für mögliche zukünftige Schäden verantwortlich gemacht werden, Abschüsse sollen das allerletzte Mittel bleiben - die Landwirtschaft muss sich anpassen, auch wenn es kostet.