Slowakei Schafe Hirte Banska BystricaPULS 24/Franziska Schwarz

"Ein paar schießen, damit die Leute Ruhe geben": Die Slowakei und ihre Wölfe

Rund um die Almsaison im Sommer dominiert der Wolf die Schlagzeilen, aber hat Österreich eine Wolfsplage? In der Slowakei gibt es zehnmal so viele Wölfe und ein Schussverbot. Wie schützen sich die Bauern? Und was macht Österreich mit den EU-Millionen, die man für Herdenschutz kassiert?  

Auf einem Hügel nahe der Stadt Banská Bystrica in der Slowakei ziehen 400 Schafe durch den Wald. Ausgestattet sind sie mit Glocken, elf Hunde wachen mit Argusaugen über sie. Die Mittagssonne scheint durch die Baumgipfel, ein weißer Wollteppich schiebt sich durch die Lichtung.

Nicht schnell bewegen, Arme an den Körper anlegen, nicht laufen. Die hüfthohen Herdenschutzhunde sind schwer zu sehen, sie verschmelzen mit der Masse an Schafen. Sie erkennen aber sofort, wer fremd ist. Ihre Arbeitskollegen sind die kleineren Hütehunde und der Hirte Martin Blasko.

Der Weg zum Hof führt durch einen Wald. Am Fuß der matschigen Lichtung zeigt Blasko auf eine Spur – ein Bär war hier unterwegs, übersetzt der Begleiter der Landesnaturschutzbehörde. Bären tun den Schafen aber nichts – die Hunde passen aber trotzdem auf.

Sie brauchen keine Anweisungen, sie stehen an den Eckpunkten der Herde, weit voneinander entfernt. Der Hirte geht voran, die Hunde kümmern sich um die Schafe. Gemeinsam beschützen sie die Herde.

Kein einziges Schaf hat Blaskos Familie seit mehr als 15 Jahren an den Wolf verloren. In der Slowakei wird beim Schutz auf einen Hirten, Hüte- und Hirtenhunde gesetzt – mit Erfolg.

Zweimal täglich werden die Tiere gemolken und danach geht es auf die Weide. 365 Tage im Jahr, freie Tage gibt es nicht. Es ist ein Familienbusiness – externe Arbeiter als Schäfer anzustellen, sei nicht möglich, so Martin Blasko. Er lebt selbst in der Stadt Banská Bystrica.

Die Männer am Hof bewirtschaften dabei ein Land, das nicht ihnen gehört. Viele Bauern in der Slowakei bewirtschaften das Land von Großgrundbesitzern. Die Milch der Schafe wird verkauft, es gibt auch Käse – Sie wollen beim Arbeiten nicht fotografiert werden. An den Wänden hängen alte Kalender mit nackten Frauen.

Schafwirtschaft macht in der Slowakei und auch Österreich weniger als ein Prozent des gesamten Sektors aus. Das große Geld ist für diese Bauern nicht zu holen.

Bauern fühlen sich allein gelassen

Auch Jana und Luci sind Schafbäuerinnen, die Schwestern sind 37 und 38 Jahre alt. Sie haben um die 400 Schafe und einen großen Hof samt Gästezimmer und Shop. Sie haben einen auf Schafe spezialisierten Bauernhof, verkaufen Milch und Käse. Auch ihre Eltern waren bereits Schafbauern.

Bei ihnen wurden 2022 in einer Nacht 20 Schafe gerissen. Danach investierten sie in einen Zaun – Förderung haben sie dafür nicht beantragt, denn das hätte zu lange gedauert und sie hatten den Schutzzaun akut gebraucht. Zusätzlich haben sie auch einen Hirten für acht Stunden täglich angestellt.

Anders als der Hof von Blasko liegt der Hof von Jana und Luci in einem Dorf auf einem Hügel. Ihr Herdenschutzhunde liegen im Hof, sie sind angekettet.

Hund mit Anspruch

Eigentlich hat Hirtentum in der Slowakei lange Tradition, aber mit Ende der 1970er ging die Kulturtechnik verloren. Im Kommunismus begannen die Bauern, ihre Hunde anzubinden, aber so können die Tiere nicht arbeiten. Slavomír Find’o ist Forscher, er hat Anfang 2000 den Herdenschutz in der Slowakei mitaufgebaut. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Jahrtausendwende gab Find’o den Bauern Hundewelpen. Die Hunderassen waren der Kaukasische und zentralasiatischer Owtscharka – beide Rassen haben nur einen sehr geringen Jagdtrieb. 

Slowakei Slavomír Find'oSlovakian State Nature Conservancy/Kristína Bocková

Forscher Slavomír Find'o in seinem Büro in Banská Bystrica.

Die Welpen sollten die Bauern nach Find’os Vorgaben aufziehen. Bezahlt wurde dafür ein symbolischer Preis. Wurde der Hund korrekt mit den Schafen aufgezogen, dann gab es einen zweiten vom anderen Geschlecht, damit die Bauern fortan ihre Hunde selbst züchten konnten.

Find’o erzählt, dass die Bauern anfangs gegen sein Projekt gewesen seien – er selbst war Wissenschaftler aus der Stadt, von dem sich die alteingesessenen Bauern nichts beibringen lassen wollten. "Die Leute folgten den Anweisungen nicht, sie verwöhnten die Hunde und manche starben sogar. Aber im nächsten darauffolgenden Jahr hatten sie dann einen Welpen von jemand anderem – und den zogen sie dann auf, wie ich es ihnen gesagt hatte." Rückblickend war das Projekt erfolgreich, aber es war zu Beginn sehr schwierig, sagt er.

Damit Herdenschutz mit Hunden funktioniert, müssen die Hunde auf die Schafe geprägt werden. Die ersten 15 Wochen müssen die Welpen ununterbrochen bei der Gruppe sein, die sie später schützen sollen. Die Hunde arbeiten dann auf der Weide selbstständig.

Zurück zu den Bäuerinnen Luci und Jana: Aktuell setzen sie auf einen elektrischen Zaun, Behirtung und Herdenschutzhunde. Nur haben sie den Dreh noch nicht ganz raus: Einer ihrer Hunde sei krank gewesen, nun lebt er nur im Haus. Als Herdenschutzhund ist er nicht mehr verwendbar, die Schafe hätten zu viel Angst vor ihm. Sie haben den Hund nicht richtig erzogen, glauben die Schwestern.

Schießen, ja Ausrotten nein

Luci und Jana sind Teil des Vereins der jungen Bauern in der Slowakei (ASYF - Association of Young Farmers of Slovakia). Auch der Vorsitzende Marián Glovaťák wird angerufen, zum Treffen am Hof hat er es nicht geschafft. Er findet, dass es zu viele Wölfe in der Slowakei gibt.

"Sie sollten schon in gewissen Gebieten geschützt sein, aber nicht dort, wo Landwirtschaft betrieben wird". Die Jäger sollten wieder schießen dürfen, "aber nur eine kleine Anzahl". Vom Ausrotten spricht hier niemand – in der Slowakei gab es immer Wölfe und man muss mit ihnen leben.

Marians Assistentin hat das Treffen koordiniert – sie habe Schwierigkeiten mit den Wölfen. Sie hat - so die Geschichte - mit dem Auto aus Versehen einen Wolf getötet auf der Straße. Das Tier wollte sie überqueren. Nun ist der Wolf aber hoch geschützt und man darf ihn auch nicht "aus Versehen" überfahren. Die Assistentin musste eine Geldstrafe in der Höhe von 5.000 Euro bezahlen.

Jana und Luci schütteln ihre Köpfe, sie sind überrascht, dass die Strafe wirklich bezahlt werden musste. Überprüfen ließ sich diese Geschichte nicht.

Der Schutz

In der ganzen EU ist der Wolf über die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) geschützt. Jedes Land kann EU-Richtlinien selbst nach den eigenen Bedürfnissen umsetzen – je nach Zahl der Wölfe sind die Tiere unterschiedlich geschützt. In der Slowakei steht der Wolf auf Anhang V der FFH-Richtlinie, deshalb kann er gejagt werden. In Österreich ist er im Anhang IV – er darf nicht geschossen werden.

Es gibt aber Ausnahmen: Gemäß der FFH-Richtlinie können einzelne Wölfe "entnommen", also geschossen werden, allerdings muss man dabei genau wissen, welcher Wolf und warum. Die Abschussverordnungen der österreichischen Bundesländer definieren diese Umstände zwar, nur ist es in der Praxis nicht klar, ob die Umsetzung rechts-konform ist.

Der getötete Wolf wird nämlich erst nach dem Abschuss mit einem DNA-Test identifiziert. Rechtlich dürfen Abschüsse nur das letzte Mittel sein, es muss davor auch Vertreibungsversuche gegeben haben ("Vergrämung") – aber das ist schwer zu kontrollieren.

Anders in der Slowakei: Der Wolf wurde 2021 auf die Liste der streng geschützten Arten gesetzt. Die Maßname verstößt aber gegen das nationalen Wolf-Management der Slowakei und die neue Regierung, die im Herbst 2023 an die Macht kam, scheint diese Entscheidung rückgängig machen zu wollen. Die aktuelle "Lösung" in der Slowakei stand am Ende eines langen Prozesses, bei dem auch die EU eine bestimmende Rolle spielte. 

Geschützt wurde der Wolf unter anderem auf Drängen von Umweltaktivisten – davor gab es eine jährliche Abschussquote. Diese wurde Bauern, Jägern, Regierung, Forschern, Umweltschützern und Aktivisten ausverhandelt.

Vertragsverletzungsverfahren als Schubs

Es gibt in der Slowakei sehr laute Umweltaktivisten: Die WOLF Wald Schutz Bewegung ist seit den 1990ern aktiv, sie kaufen und pachten Wald, um ihn dann unbewirtschaftet als privates Schutzgebiet gedeihen zu lassen.

Diese und andere Gruppen sowie Nachbarstaaten zeigten die Slowakei bei der EU an, weil sie die Vorgaben der EU zum Schutz des Wolfes nicht einhielt (Flora-Fauna-Habitat Richtlinie). Die Zahl der Wolfabschüsse sei laut Quotenregelung zu hoch und die Datenlage nicht ausreichend gewesen, um die Populationsgröße und die Auswirkungen der Jagd zu bewerten, so ihr Argument.

Die EU-Kommission reagierte auf die Beschwerde und leitete 2013 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Slowakei ein. Wichtige Interessensgruppen verhandelten als Reaktion einen Wolf-Management-Plan aus, die jährliche Wolf-Abschussquote wurde auf 90 reduziert. Ein Monitoring basierend auf Genetik wurde eingeführt, die EU-Kommission war mit diesen Schritten zufrieden und hat ihr Verfahren gegen die Slowakei 2016 eingestellt.

In der Slowakei leben rund 700 Wölfe – das weiß man erst seit Einführung des Monitorings. Davor glaubte man, es gäbe mehr als 1.500 – es gab Mehrfach-Zählungen in jedem Jagd-Sprengl.

Österreich ist in einer ähnlichen Situation, hier wurde bereits mehrmals von der EU-Kommission nachgefragt, wie Österreich die FFH-Richtlinie einhält. Kritisiert wird ein fehlendes Monitoring, keine ausgeschilderten Schutzgebiete für Wölfe und Umweltrechtler:innen sehen die Mitsprache von NGOs mittlerweile rechtlich ausgehebelt.

Aber hierzulande ruft niemand zum runden Tisch, in Österreich ist Jagd Kompetenz der Länder. Nur: Österreich hat den Richtlinien zum Schutz des Wolfes zugestimmt, bei Missachtung droht ein EU-Vertragsverletzungsverfahren – auf Kosten der Steuerzahler.

Die "beste" Lösung

Biologe Robin Rigg forscht seit zwanzig Jahren zum Wolf in der Slowakei. Er sah den nationalen Wolf-Management-Plan der Slowakei als die "beste" Lösung, um den Konflikt zwischen den Stakeholdern zu minimieren. Dabei konnten Bauern, Jäger, Regierung, Forscher und Umweltschützer eine jährliche Abschussquote festlegen – auf Basis von Monitoring der Wolfpopulation.

Slowakei Robin RiggPULS 24/Franziska Schwarz

Robin Rigg ist Biologe, er arbeitet seit den 1990ern mit Wölfen in der Slowakei.

"Es geht nicht darum, das letzte Wolfsindividuum zu retten, sondern zu lernen, mit ihm zu leben". In der Slowakei hat die Wolfspopulation in den 1970er Jahren, also vor 40 Jahren, ihren Tiefpunkt erreicht.

Bei den verschiedenen Stakeholdern treffen unterschiedlichste Weltanschauungen aufeinander: Die Umweltaktivisten würden die Natur am liebsten gar nicht anfassen, Bauern und Jäger wollen die Natur für den Menschen schützen, so Rigg.

Die Geschichte vom bösen Wolf

Eines haben Österreich und die Slowakei gemeinsam: Wolfrisse sind ein mediales Spektakel – jeder und jede kennt die Geschichten vom bösen Wolf aus der Literatur.

Jana und Luci haben in ihrem Leben nur ein einziges Mal einen Wolf gesehen – als sie am Hof der Eltern wohnten. Da habe ein kranker Wolf immer ein einzelnes Schaf aus der Herde entnommen. Die beiden kennen aber auch ganz andere Geschichten: So hat in ihrem Dorf ein Wolf in einer Nacht rund hundert Schafe getötet, erzählen sie

Verbote und illegale Abschüsse

Es gibt zwar in Österreich und der Slowakei Wölfe, so Forscher Slavomír Find’o, aber die Einstellung der Menschen zu den Tieren ist eine ganz andere. Wenn in der Slowakei ein Wolf 100 Schafe reißen würde, dann wäre die Aufregung schnell vorbei. In Österreich würde das ganze Land kopfstehen, denkt er.

Find'o ist auch für das Monitoring der Wölfe in der Slowakei verantwortlich. Dafür wird ein Teil der Tiere mit Sendern ausgestattet. Mehr als die Hälfte der Wölfe, die Find’o untersuchte, waren im September bereits gewildert worden. Offizielle Zahlen gibt es dazu nicht.

"Die Wilderei von Wölfen steht immer an der Tagesordnung, aber wenn man sie für völlig geschützt erklärt, werden sie vor allem am Land verstärkt getötet." Bei Verboten würden die Leute dagegen arbeiten.

Auch er fand die demokratische Lösung, bei der gemeinsam eine Abschussquote gut, aber nicht, weil er findet, Wölfe sollten erschossen werden. "Es ist, als ob man einige Tiere opfern muss, damit die Leute eine Ruhe geben", sagt der Forscher.

Luci, Jana und die Familie von Blasko wollen am Ende des Tages nur, dass ihre Schafe nicht vom Wolf geholt werden. Weil der Staat den Wolf schützt, bekommen die Bauern in der Slowakei Ausgleichszahlungen. Dafür muss es aber auch Schutzversuche gegeben haben.

Schaden und Ausgleichzahlungen

In der Slowakei laufen die Ausgleichszahlungen über das Innenministerium, Geschädigte (Bauern und Jäger) können sich die Kompensationszahlungen holen.

Damit der Riss eines Nutztiers entschädigt wird, muss es entweder Überwachung durch einen Hirten, einen nicht-angeleinten Herdenschutzhund oder einen Zaun geben.

Dann wird es noch genauer: Herdenschutzhunde müssen älter als 18 Monate und mit der Herde aufgezogen worden sein. Pro 50 bis 300 Tiere müssen es mindestens zwei Hunde sein, ab 300 drei, ab 500 vier und ab 700 fünf. Für die elektrischen Zäune gibt es auch genaue Vorgaben: wie viel Volt, wie der Zaun aufgebaut sein soll und wie hoch er sein muss.

Österreichs teure Wolfsbekämpfung

Anders ist das in Österreich. Hier siedeln sich die Wölfe von Italien über die Alpen wieder an – bzw. versuchen es. Es gibt, Stand Oktober 2023, sieben Wolfsrudel in Österreich und 66 nachgewiesene Wölfe insgesamt.

Die Bundesländer entscheiden, wie und wie hoch Risse entschädigt werden. Das Bär Wolf Luchs Zentrum in Österreich sammelt die Risse. Begutachtet werden diese aber von den Wolfsbeauftragten der Länder. Die Voraussetzungen hierfür sind verschieden: In Niederösterreich reicht ein Foto vom gerissenen Tier, in der Steiermark stellt der Rissbegutachter den Antrag. Für Kompensation ist kein Schutz der Tiere notwendig, es gibt keine formelle Qualitätssicherung.

Die Zahlen werden von den Ländern übermittelt – erfasst werden sie nicht einheitlich. 2022 gab es in Kärnten eine Kulanz-Regelung: Tiere, die nicht von der Alm zurückkehren, werden auch als gerissen gezählt, wenn auf einem benachbarten Gebiet ein Wolf gesichtet wurde. Dazu muss auch gesagt werden: Der Wolf ist nur eine Todesursache für Tiere auf der Alm. In der Schweiz sterben zum Beispiel zehnmal so viele Schafe durch Krankheiten oder Parasiten. In Österreich wird das nicht erfasst.

In Österreich gibt es rund 107.200 Schafe auf Almen, in der Slowakei sind es 270.000. Die Bundesländer sind auch unterschiedlich betroffen: In Tirol gibt es mehr als 60.000 Schafe auf Almen, gefolgt von knapp 18.000 in Salzburg und rund 14.000 in Kärnten. Weil Tirol am stärksten betroffen ist, gibt es hier auch drei Pilotprojekte zum Herdenschutz – die sind sehr erfolgreich: Kein einziges der 1.400 Projekt-Schafe wurde trotz Wolfspräsenz gerissen.

EU-Schutz = EU-Geld?

"Gemeinsame Agrarpolitik" (GAP) heißt einer der größten Budgetposten der EU. Zwischen 2023 bis 2027 erhält Österreich hier jährlich 574 Millionen Euro. EU und Länder legen für fünf Jahre Ziele fest, diese werden mit EU-Förderungen gestützt.

In der Slowakei will man mit dem Budget der gemeinsamen EU-Agrarpolitik die Viehbauern bestmöglich unterstützen, es ist auch ein Umweltfond von der Slowakei in Vorbereitung. Das wäre auch eine Möglichkeit für Österreich. In Österreich gibt es zwei Möglichkeiten, sich Geld für Herdenschutz zu holen: Über die Bundesländer, wenn diese Maßnahme gefördert werden – oder für die Landwirte direkt über die EU via der AgrarMarkt Österreich (AMA). Aus den GAP-Geldern verwendet Österreich ab 2023 16 Millionen Euro für Behirtung und 11 Millionen Euro für die Almwirtschaft – 27 Millionen Euro jährlich. Die korrekte Verwendung der Gelder werde kontrolliert, so die AMA und das Landwirtschaftsministerium gegenüber PULS 24.

Die Situation ist paradox: Fragt man in Bundesländern wie Kärnten nach, erhält man die Antwort, dass nicht in Herdenschutz investiert werde, weil das nichts bringe, so eine Stellungnahme aus dem Büro des Jagdreferenten gegenüber PULS 24. Trotzdem wurden 2022 2,3 Millionen Euro für Alpung und Behirtung aufgewandt, 2023 waren es in Kärnten für die Maßnahme Behirtung dann 900.000 Euro. 

Die EU-Landwirtschaftsförderung ist nicht unumstritten: In der Vergangenheit stand Österreich in der Kritik, ob Gelder überhaupt zielorientiert eingesetzt werden. Österreich wurde auch vorgeworfen, Maßnahmenerfolg herunterzuspielen. Weitere Kritikpunkte: Die Gelder sollen auch für Umweltschutz verwendet werden, werden aber nicht so eingesetzt, Bio und Tierwohl werden nicht forciert und ein Großteil der Förderungen aus dem EU-Programm geht an Großgrundbesitzer. Auch die italienische Mafia machte Millionengeschäfte mit den EU-Programmen für ländliche Entwicklung.

Hier schließt sich der Kreis: Auch in der Slowakei gibt es laute Kritik zum Missbrauch von EU-Geldern, der ermordete Investigativ-Journalist Ján Kuciak recherchierte etwa dazu. 2020 wurde öffentlich, dass die slowakische Zahlungsagentur für Agrikultur (PPA) EU-Gelder veruntreut hatte, betroffen waren Direktzahlungen in Millionenhöhe, kritisiert wurde auch die Qualitätssicherung auf nationaler Ebene.

Wie die Almen bleiben könnten

Die FFH-Richtlinie, die bestimmende EU-Vorgabe, hat ein hohes Konfliktpotenzial: Beim Thema Wolf sind vor allem Bauern betroffen, sie fallen in die Agenden des Landwirtschaftsmuseums. Umweltschutz und auch die FFH-Richtlinie auf EU-Ebene fällt in den Arbeitsbereich des Klimaschutzministeriums.

In offiziellen Berichten Österreichs wird der Wolf noch nicht erfasst, weil diese "neue" Spezies noch nicht etabliert ist.

In Österreich und der Slowakei hat man großes Interesse daran, Haltung von Tieren auf Almen zu erhalten. Man müsse sonst mähen, heißt es in der Slowakei. Würden Schafe nicht mehr auf Weiden und Alpen grasen, dann würden sie zuwachsen – das wäre ein Verlust für Biodiversität im Bereich der Pflanzen und Insektenvielfalt. Prognosen in Österreich zeigen, dass dadurch auch die Lawinensituation durch überwachsene Steillandschaften beeinflusst werde könnte - das Ausmaß kann derzeit allerdings nicht geschätzt werden.

Nun ist der Wolf aber gekommen, um zu bleiben – das sagt auch der Wolfsexperte des Bundeslandes Salzburg, Hubert Stock. Dass sich der Wolf in Österreich wieder ansiedelt, war aber eine prognostizierte Entwicklung.

Rosinenpicken und Strukturwandel

Ein Gutachten der Universität für Bodenkultur im Auftrag des Landes Tirol für die dortige Situation befand schon 2018, dass "der Einsatz von Herdenschutzmaßnahmen bei zunehmender Wolfspräsenz unumgänglich sein" wird. Hier wurde auch befunden, dass aktuell die "Kapazitäten an ausgebildeten Hunden" bei weitem nicht ausreichend sei – dafür bräuchte es ein "Zucht- und Ausbildungsprogramm" für die Tiere, auch eine Hirtenausbildung muss geschaffen werden. Durch die "stark ausgeprägte Wolfspräsenz wird ein Systemwechsel erforderlich sein", wurde damals befunden, auch, dass in Österreich die Kosten für Kompensation und Bergung den Marktwert derer übersteigen.

Das EU-finanzierten Projekt "LIFEstockProtect" versucht Herdenschutzmaßnahmen in Österreich, Bayern und Südtirol aufbauen. Langfristig wird sich in Österreich die Zahl der Schafalmen reduzieren, so Berechnungen im Rahmen der Projektalpen in Tirol.

In der FFH-Richtlinie sei klar definiert, dass die Naturschutz-Abteilungen der Länder die Kosten zu tragen hätten, genauso wie das Klimaministerium. Rund 21 Millionen Euro werden diese Almen Bund und Länder pro Jahr kosten, so Schätzungen. Schon jetzt bringt Österreich 27 Millionen Euro in der aktuellen EU-Agrarförderperiode auf – theoretisch könnte die Herausforderung also bewältigbar sein.

Im September befasste sich die EU-Kommission mit dem Schutzstatus des Wolfes – viele interpretierten das als Kampfansage, allerdings sprach Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen davon, dass die Länder bereits Handlungsmöglichkeiten haben und diese nutzen sollen. Gleichzeitig bat man um die Übermittlung von Daten, um den Schutzstatus gegebenenfalls neu zu bewerten. Nur: Österreich hat diese Daten nicht, weil der Wolf hier noch nicht FFH-gemäß erfasst wird.

Die Länder betonen mit der Veröffentlichung der Wolfs-Abschussverordnung, dass das alles rechtens zugehe, aber sicher dürften sie sich dabei nicht sein. Im November hörte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zur Tiroler Wolf-Abschussverordnung die Landesregierung an. Der Tiroler Landesgerichtshof hatte sich 2022 an den EuGH gewandt, unter anderem wird die Frage geklärt, ob der Wolf in Tirol geschossen werden, weil sein Erhaltungszustand in der Schweiz und Italien besser ist als in Österreich.

Mitte Jänner wird dazu eine Stellungnahme erwartet – diese könnte dann teilweise Rechtssicherheit schaffen. Wenn dabei definiert würde, dass der Erhaltungszustand der Wölfe in Österreich nicht günstig ist, dann könnte das bedeuten, dass kein Wolfsabschuss rechtens war.

Genauso wie die Slowakei könnte Österreich EU-Gelder dazu verwenden, den Herdenschutz aufzubauen. Die Gelder der gemeinsamen Agrarpolitik können auch für Naturschutz verwendet werden. Klimaschutz, Umweltpflege, Wissen und Innovation sind Hauptziele der EU-Landwirtschaftspolitik-Periode 2024 bis 2030.

Aber das ist Zukunftsmusik – aktuell wird in Österreich geschossen, 14 Wolfsabschüsse wurden 2023 dokumentiert, das sind 18 Prozent der heimischen Wölfe.

 

Ermöglicht wurde die Reise in die Slowakei durch das Projekt "Eurotours" des Bundeskanzleramts. Die Kosten für Unterkunft und Anreise wurden übernommen. Im Blog des Projekts gibt es alle Berichte aus den EU- und Balkanländern zu lesen.

ribbon Zusammenfassung
  • Rund um die Almsaison im Sommer dominiert der Wolf die Schlagzeilen, aber hat Österreich eine Wolfsplage?
  • In der Slowakei gibt es zehnmal so viele Wölfe und ein Schussverbot - Wie schützen sich die Bauern?
  • Und was macht Österreich mit den EU-Millionen, die man für Herdenschutz kassiert?