Westeuropa laut WHO bei Pandemie womöglich über den Berg
Westeuropa könnte nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Coronavirus-Ausbreitung über den Berg sein. "Bei den Epidemien in Westeuropa sehen wir Stabilität oder einen absteigenden Trend", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesuseine am Mittwoch in Genf. Mit einem Impfstoff sei laut dem Schweizer Pharmariesen Roche hingegen frühestens Ende 2021 zu rechnen.
Bei der Aufhebung von Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen, die die Ausbreitung des Virus erfolgreich verlangsamt hätten, sei aber Vorsicht geboten, warnte Tedros. "Epidemien können leicht wieder aufflammen", sagte er. Deshalb müssten neue Infektionen weiter unbedingt früh entdeckt, Infizierte isoliert und mit Infizierten in Kontakt gekommene Menschen weiter unter Quarantäne gestellt werden.
Die Lage in Osteuropa, in Afrika, Zentral- und Südamerika sei Besorgnis erregend, sagte Tedros: "Die meisten Länder sind bei der Epidemie weiterhin im frühen Stadium." Zwar hätten Dreiviertel aller Länder Pläne entwickelt, wie sie mit einem Ausbruch umgehen. Aber weniger als die Hälfte habe Pläne für die Verhinderung weiterer Ansteckungen und adäquate Hygienevorschriften oder Informationskampagnen. In einigen Ländern, die früh betroffen waren, verbreite sich das Virus wieder. "Keine Frage: Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Das Virus wird uns noch eine lange Zeit beschäftigen", sagte Tedros.
Wohl frühestens Ende 2021 sei zudem nach Einschätzung von Roche-Chef Severin Schwan mit einem Impfstoff gegen das Coronavirus zu rechnen. Üblicherweise dauere die Entwicklung Jahre, dämpfte der Chef des Schweizer Pharmariesen die Hoffnung auf eine rasche Verfügbarkeit einer Immunisierung gegen den Erreger der Covid-19-Pandemie.
"Ich persönlich finde den geplanten Zeitrahmen von zwölf bis 18 Monaten angesichts der Herausforderungen ehrgeizig", sagte Schwan am Mittwoch. Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass vor Ende kommenden Jahres kein Impfstoff verfügbar sein dürfte.
In Wuhan häufen sich unterdessen die Fälle, in denen Covid-19-Patienten nach überstandener Erkrankung das Virus weiter in sich tragen. Sie gelten als mögliche Ansteckungsgefahr. Diese Menschen zeigten aber keine Krankheitssymptome, erklärten Ärzte der chinesischen Millionenmetropole, vor der aus sich die Pandemie im Dezember ausgebreitet hatte. Alle waren zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Therapie negativ getestet worden - das Virus konnte also nicht mehr nachgewiesen werden. Allerdings wurden sie später positiv getestet.
Nach Angaben der Ärzte wurde das Coronavirus in manchen Fällen 70 Tage nach der vermeintlichen Gesundung nachgewiesen, in anderen waren die Tests nach 50 bis 60 Tagen wieder positiv. Ärzte in Wuhan bezeichneten dieses Phänomen als größte Herausforderung in der neuen Phase des Kampfes gegen die Pandemie. Das Virus wurde auch in Südkorea bei angeblich geheilten Menschen nachgewiesen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO untersucht bereits Rückfälle von Covid-19-Patienten.
Durch die Corona-Pandemie sind in Europa mittlerweile bereits mindestens 110.000 Menschen ums Leben gekommen. Auf dem Kontinent starben 110.192 der 1.246.840 Menschen, bei denen eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus registriert wurde, wie Berechnungen der Nachrichtenagentur AFP vom Mittwoch auf Grundlage von Behördenangaben ergaben. Weltweit wurden demnach bisher 177.368 Corona-Tote gemeldet. Die USA verzeichnen mit mehr als 45.000 die meisten Opfer. Es folgen Italien mit 25.085 Toten und Spanien mit 21.717.
In Großbritannien könnten einem Bericht der "Financial Times" zufolge bereits doppelt so viele Menschen infolge der Pandemie gestorben sein wie bisher angenommen. Das geht aus Hochrechnungen der Zeitung auf Grundlage von Zahlen des britischen Statistikamts ONS hervor. Demnach könnten bereits 41.000 Menschen im Zuge der Pandemie gestorben sein. Das sind weit mehr als die offiziellen Zahlen bisher vermuten lassen: Dem Gesundheitsministeriums zufolge starben nachweislich bis Montag etwa 17.300 Menschen an der Lungenkrankheit in Krankenhäusern des Landes. Nicht eingerechnet sind dabei die Todesfälle in Pflegeheimen und Privathaushalten.
Grundlage für die Berechnung der "Financial Times" ist die Übersterblichkeit in Großbritannien, die vom Statistikamt für die Woche bis zum 10. April mit etwa 8.000 angegeben wurde. Das bedeutet, innerhalb von nur einer Woche starben in dem Land 8.000 Menschen mehr als im Durchschnitt der Vorjahre. Diese Todesfälle rechnet das Blatt der Coronavirus-Pandemie zu.
Spanien strebt dennoch eine Lockerung der strikten Ausgangsbeschränkungen ab der zweiten Mai-Hälfte an. Zwar soll der nationale Notstand noch bis 9. Mai verlängert werden, sagte Ministerpräsident Pedro Sanchez. Mit dem Überschreiten des Höhepunkts der Pandemie in Spanien sollten die Beschränkungen aber langsam und mit Bedacht gelockert werden. Die Regierung beugte sich außerdem dem Protest vieler Eltern, die nicht akzeptieren wollten, dass ihre Kinder auch weiterhin nur aus dem Haus dürfen, um Erwachsene beim Einkauf oder dem Gang zur Apotheke zu begleiten. Ab dem kommenden Wochenende dürfen Kinder unter 14 Jahren unter Aufsicht wieder ins Freie.
Mit mehr als 21.700 Toten und fast 210.000 Infektionsfällen ist Spanien eines der von der Pandemie am schwersten betroffenen Länder. Zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus ist seit dem 15. März eine strikte Ausgangssperre in Kraft. Spaziergänge und -Fahrten sowie Sport im Freien sind zum Beispiel strikt untersagt.
Zusammenfassung
- "Bei den Epidemien in Westeuropa sehen wir Stabilität oder einen absteigenden Trend", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesuseine am Mittwoch in Genf.
- Mit einem Impfstoff sei laut dem Schweizer Pharmariesen Roche hingegen frühestens Ende 2021 zu rechnen.
- Das geht aus Hochrechnungen der Zeitung auf Grundlage von Zahlen des britischen Statistikamts ONS hervor.
- Demnach könnten bereits 41.000 Menschen im Zuge der Pandemie gestorben sein.