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Welt-Autismus-Tag: Immer noch zu wenig Verständnis und Wahrnehmung

Am 2. April ist Welt-Autismus-Tag. Mit welchen Herausforderungen Betroffene im Alltag zu kämpfen haben und wie man diese am Besten unterstützen kann, darüber hat PULS 24 mit dem Verein "Nomaden" gesprochen.

"Ich hab einfach keinen Filter im Alltag. Ich krieg alles mit. Ich krieg jedes Geräusch mit, Licht, Bild, alles", meint Sophie im Café Puls-Interview. Seit vier Jahren lebt sie mit der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung .

Bei einer Autismus-Spektrum-Störung (kurz: ASS) handelt es sich um "eine vielfältige Gruppe von Erkrankungen". Diese sind "durch ein gewisses Maß an Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion und Kommunikation gekennzeichnet", so die Weltgesundheitsorganisation WHO. Weitere Merkmale seien "atypische Aktivitäts- und Verhaltensmuster", wie Schwierigkeiten beim Übergang von einer Aktivität zu einer anderen, die Konzentration auf Details und ungewöhnliche Reaktionen auf Sinneseindrücke. Zu den verschiedenen Formen von Autismus gehören der frühkindliche Autismus (Kanner-Syndrom), das Asperger-Syndrom und der atypische Autismus.

"Überall muss ich mich anpassen"

Die Welt sei für "neurotypische" Menschen gemacht, die nicht mit einer Behinderung zu tun haben, meint auch Sophie. "Und überall wo ich hingehe, muss ich mich anpassen und das ist extrem anstrengend über die Zeit. Und es ist einfach extrem kräftezehrend", erklärt sie ihren Alltag mit ASS.

Sophie: "Erleben ohne Filter"

85.000 Betroffene in Österreich

In Österreich leben etwa 85.000 Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, in ganz Europa seien ungefähr sieben Millionen Menschen davon betroffen, so der Verein "Nomaden", der sich der Beratung, Begleitung und Unterstützung für Menschen mit ASS widmet.

Der Alltag eines Autisten

Für Betroffene sei es grundsätzlich wichtig, dass ihr "Alltag einer gewissen Routine folgt und vorhersehbar ist", wird gegenüber PULS 24 erklärt. Würden sich unerwartete Änderungen im Tagesablauf ergeben oder es zu Situationen mit neuen Gegebenheiten kommen, könnte dies für Autist:innen "zu einer echten Herausforderung werden".

Soziale Interaktionen seien oftmals mit großen Anstrengungen verbunden, es sei für Betroffene schwer und manchmal sogar unmöglich, die Mimik und Gestik anderer Personen richtig zu deuten. Aussagen, die nicht klar formuliert sind, sind ebenfalls schwer zu verstehen. Diese werden nämlich oftmals wortwörtlich genommen. Somit kann die Führung eines wechselseitigen Gesprächs eine große Herausforderung sein. Gerade ASS-Betroffene, die nonverbal sind, "haben große Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse und Wünsche zu äußern", so der Verein "Nomaden".

Welt-Autismus-Tag am 02. April

Fehlendes Verständnis in der Gesellschaft

Im Umgang mit Betroffenen sei es wichtig, sie auf ungewohnte und neue Situationen vorzubereiten, ihnen Sicherheit zu geben und ihnen Zeit zu lassen, sich an solche Situationen zu gewöhnen. Bezüglich der Kommunikation sollte man "in klaren Sätzen sprechen und Nebengeräusche ausblenden", da Autist:innen "sehr schnell unter Reizüberflutung leiden", erklärt der Verein.

"Soziale Regeln der Gesellschaft" müssten von Menschen mit ASS erlernt werden bzw. sie müssen ihnen erklärt werden. In der Gesellschaft fehle häufig das Verständnis dafür, dass Autist:innen sich oft nicht in ihr Gegenüber einfühlen können.

Welt-Autismus-Tag: Ein Zeichen für mehr Sichtbarkeit

Gerade deshalb sei der Welt-Autismus-Tag wichtig - er setzte ein Zeichen für mehr Sichtbarkeit. Menschen mit ASS würden weiterhin "in unserer Gesellschaft nicht wahrgenommen werden" und dementsprechend werde auf ihre Bedürfnisse nicht eingegangen, so die "Nomaden". Da Autist:innen äußerlich nicht auffallen, sei es wichtig, "die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren".

Lautes Schreien, wenn zum Beispiel "zu viele Leute unterwegs sind, es zu eng wird oder die Schlange an der Kassa zu lange ist", müsse kein "absichtlich störendes Verhalten sein". Komme es zu so einem "ungewöhnlichen oder nicht angepasstem Verhalten im öffentlichen Leben", sei das vielmehr, weil dieser Mensch in dem Moment keine andere Handlungsmöglichkeit habe, betont der Verein.

Uns als Verein ist es ein besonderes Anliegen, Menschen mit ASS nicht zu verändern oder zu verbiegen, sondern sie zu verstehen, sie in ihrer Persönlichkeit zu akzeptieren

Verein "Nomaden"

Selbstständigkeit als besonderes Anliegen

Der Verein "Nomaden" besteht aus einem achtköpfigen Team, das spezielle Ausbildungen zur Förderung von Menschen mit ASS hat. Man arbeite "aufsuchend": Mitarbeiter:innen fahren zu den Familien nach Hause und bieten vor Ort Förderung und Beratung an.

Grundsätzlich begleite man Betroffene bzw. ihre Familien und Umfeld so lange, wie gebraucht. Wir "ziehen uns jedoch auch nach einer bestimmten Zeit zurück, um zu sehen, ob die Familien oder die jeweiligen Personen mit ASS auch ohne intensivere Begleitung selbstständig den Alltag bewältigen können", so die "Nomaden". Betroffenen "eine weitgehende Selbstständigkeit zu geben" sei ein besonderes Anliegen, genauso wie das Umfeld "über die Besonderheiten im Umgang mit Menschen mit ASS aufzuklären". Man komme nicht nur zu Familien, sondern unter anderem auch in "Kindergärten, Tagesstätten, Firmen", um Hilfestellung und Beratung anzubieten.

Verständnis und Akzeptanz

Ein weiteres besonderes Anliegen des Vereins sei es, Menschen mit ASS "nicht zu verändern oder zu verbiegen, sondern sie zu verstehen, sie in ihrer Persönlichkeit zu akzeptieren". Man wolle Betroffenen einen "Werkzeugkoffer" anbieten, der im möglichen Handlungsspielraum ein selbstständiges und eigenständiges Leben ermöglicht, so die "Nomaden". 

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  • Am 2. April ist Welt-Autismus-Tag.
  • Mit welchen Herausforderungen Betroffene im Alltag zu kämpfen haben und wie man diese am Besten unterstützen kann, darüber hat PULS 24 mit dem Verein "Nomaden" gesprochen.