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Wie 24h-Betreuerinnen in Österreich ausgebeutet werden

24-Stunden-Hilfen in Österreich: Viele der Frauen kommen aus dem Ausland, sie fühlen sich ausgebeutet. Die Politik legalisierte ein illegales System und Österreich ist für Betreuungskräfte kein attraktiver Arbeitsort mehr.

Marcella arbeitet seit ungefähr 14 Jahren in Österreich. Sie und eine Kollegin haben einen Klienten in Wien, die beiden wechseln sich mit der Betreuung ab.

Marcellas Mann hat selbst Krebs, deshalb richten sich ihre Betreuungszeiten nach seinen Behandlungen in Österreich. Er ist in der Slowakei nicht versichert, "aber es funktioniert", sagt die Mitte-Vierzig-Jährige. In der Slowakei pflegt sie noch zusätzlich ihren schwerbehinderten Bruder.

"Für mich ist es schwierig zu Hause zu verlassen, aber ich bin dankbar, meinen Mann mitzuversichern und ihm eine bessere Behandlung als in der Slowakei zu ermöglichen", sagt sie.

Sie arbeitet selbstständig und ist dann meistens zwei bis drei Wochen am Stück. Seit fünf Jahren arbeitet sie für ihren aktuellen Klienten in Wien. Dort wird sie "super gut" behandelt, die Familie sei auch sehr großzügig.

Gesundheitssystem in Gefahr?

Das war aber nicht immer so, es gab auch Klienten, die wollten, dass sie 24 Stunden am Tag arbeitet, auch in der Nacht bis zu fünfmal aufsteht und sich um den Garten kümmert. Das sei mit der Vermittlungsagentur ausgemacht gewesen, habe es von der Familie geheißen.

"Die Agentur ist umsonst da, wir machen alles selbst. Steuer, oder Krankenmeldung, Arbeitsunfall", sagt Marcella. Heute arbeitet sie ohne Agentur, es sei aber sehr schwierig ohne Kontakte in Österreich Arbeit zu finden. Fuß fassen in der Branche ist demnach fast nur durch eine Vermittlungsagentur möglich, die dann laufend Geld erhebt und die Betreuerin als selbstständige Dienstleisterin bezahlt.

"Aber sonst, wenn man bei einer Agentur ist und 1.100 Euro brutto verdient, das ist nichts." Niemand wolle auf Händen getragen werden, aber normal bezahlt werden und Krankenstand haben, wenn etwas passiert. Auch Pension werden ihr vermutlich nur etwas mehr als hundert Euro pro Monat zustehen.

Corona-Zeit "war eine Katastrophe"

Während der Coronakrise war sie sechs bis acht Wochen am Stück in Österreich arbeiten. "Das war eine Katastrophe." Auch die Corona-Tests waren am Anfang nicht kostenfrei und hatten den Betreuerinnen sehr viel Geld gekostet.

"Mit dem Wechsel des Gesundheitsministers ist der Kontakt zur Politik eingeschlafen", erzählt Simona Durisova. Sie ist federführend bei der Organisation IG24, einer Gruppe, die 24-Stunden-Betreuer:innen in Österreich unterstützen und vernetzen möchten. 

Die IG24 bietet Beratung für selbstständige Betreuer:innen in ihrer Muttersprache an. Auf der Website finden sich Musterbriefe zu Honorarnoten, Standortverlegungen, Sozialversicherung an – in Slowakisch und auch Rumänisch.

Aktuell gibt es in Österreich rund 57.000 Betreuerinnen – die Zahl ist rückläufig, denn der Job ist nicht mehr attraktiv und viele Betreuerinnen sind bereits im Pensionsalter, erzählt Frau Durisova.

Die Interessensgemeinschaft gibt auch einen Leitfaden für Angehörige heraus, unter dem Motto "Gemeinsam für bessere Betreuung und Pflege".

Das ist aber nicht immer der Fall.

Familie log und zahlte nicht

Schlechte Erfahrungen hat Alena gemacht, sie ist Mitte 50 und lebt in der Ostslowakei. Die Familie ihres Klienten hat sie nicht bezahlt und die Agentur hat sie damit allein gelassen.

Alena wurde von der Familie ihres Klienten belogen: Ihr wurden gefälschte Zahlungsbelege vorgelegt, mittels Lohnpfändung versucht sie, sich die mehreren Tausend Euro zu erstreiten. Agenturen verlangen von Betreuerinnen durchgehend Vermittlungsgebühren, aber helfen den Frauen im Bedarfsfall "nie", sagt Alena.

Für die Agentur bin ich eine Sklavin.

Alena

Sie findet die slowakischen Agenturen noch schlimmer als die österreichischen. Eigentlich gebe es ja Gesetze auf europäischer Ebene, die besagen, dass Slowaken und Österreicher dieselben Rechte haben müssen. "Aber das ist sehr idealistisch."

"Für die Agentur bin ich eine Sklavin", sagt Alena, "ich muss alles machen, von Gärtnerin bis zu Friseurin".

"Im Endeffekt will man, dass die Menschen gut behandelt werden. Für eine gute Pflege müssen auch die Betreuerinnen gut behandelt werden."

Einmal war Alena bei einer dementen Klientin, die nachts wach war – sie musste sich um sie kümmern. Die Familie wollte, dass die Betreuerin untertags kocht. Nach fünf Monaten hatte sie im Alter von 43 Jahren einen kleinen Schlaganfall.

Alena möchte nicht mehr in dem Beruf arbeiten, obwohl sie die Arbeit selbst mag. Sie wird voraussichtlich zurück in die Slowakei gehen, erzählt sie.

Für eine gute Pflege müssen auch die Betreuerinnen gut behandelt werden.

Alena

"Wir sind für die Agenturen und Familien ein sehr gutes Business. Die Familien lügen auch die Agenturen an, zum Beispiel über den Gesundheitszustand der Klienten."

Betreuerin musste für Familienfeiern kochen

Bei einem Klienten wurde ihr versichert, dass er selbstständig sei – im Endeffekt musste sie dann bei Familienfeiern für 16 Leute kochen. Ein weiterer Klient wog 200 Kilogramm – hier konnte sie beim Aufstehen nicht helfen.

Bei einer Familie gab es eine Katze, auf deren Haare ist Alena allergisch. "Das war ein Wahnsinn, der Raum für mich war auch schmutzig von der Katze."

Klientenwechsel nur bei Tod

Will eine Betreuerin ohne Agentur bei einer Familie bleiben, dann wird eine Strafe in der Höhe von 10.000 Euro verlangt. Man könne die Agentur nicht verlassen und ein Klientenwechsel sei nur möglich, wenn dieser stirbt. Alena stört auch, dass die Pflegeförderung in Österreich an die Familie geht, nicht an die Betreuerin.

Ein Angehöriger von Alena will, dass sie mit der Arbeit aufhört. "Sie macht dich krank", sagt er. Sie solle in die Slowakei arbeiten gehen, dort habe sie Urlaub und Weihnachten.

Kritisches Gesundheitssystem: Immer mehr Wahlärzte

Frau Durisova von der IG24 kommt selbst aus der Slowakei, sie selbst ist um die 30 und hat in Österreich studiert und lebt hier. Beide ihrer Elternteile als Betreuer tätig, ihr Vater arbeitet noch in der Branche.

Die Probleme der Branche sind in Österreich verankert, erzählt Frau Durisova. Der gesetzliche Rahmen ermöglicht Ausbeutung im großen Stil, stellte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International 2021 fest.

Alles andere als "selbstständig"

Die Pandemie war ein Umbruch: Frau Durisova begann Youtube-Videos für Betreuerinnen zu filmen, in denen sie erklärt, wie die Situation in Österreich ist und welche legalen Probleme es gibt. Das Modell der Scheinselbstständigkeit zum Beispiel, das bringt für die Betreuerinnen "sehr viele" Nachteile.

Weil die Betreuerinnen mit den Klienten im Haushalt leben, gibt es keine Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu entscheiden. Die Arbeit richtet sich nach der zu betreuenden Person, nicht nach den Vorgaben der Betreuerinnen. Es gibt keine flexiblen Arbeitszeiten, der Arbeitsort ist vorgegeben und die Betreuerin bekommt Anweisungen von Familie und Agentur.

Außerdem, ergänzt Frau Durisova, werden die Löhne von den Agenturen bestimmt, nicht von den Arbeitenden. Die Werkverträge und Arbeitsbedingungen würden vorab von inländischen und ausländischen Agenturen festgelegt.

Pflegenotstand: Hilfe durch ausländische Arbeitskräfte

Es sei ein Witz, dass die Betreuerinnen in der Praxis medizinische Leistungen übernehmen müssten. Viele Ärztinnen und Ärzte würden hier nicht delegieren wollen, so Frau Durisova. Für die Agenturen ist es rechtlich einfach, denn wegen Haftungsschlussklauseln liegt das Risiko bei den Betreuerinnen.

Keine echte Vertretung

Die Scheinselbstständigkeit hat aber noch eine weitere Schlagseite: Die Frauen werden in der Wirtschaftskammer durch dieselbe Fachgruppe wie die Agenturen, die sie de facto beschäftigen, vertreten. 

Die Betreuerinnen sind nicht durch einen Kollektivvertrag geschützt, weil sie durch die Selbstständigkeit auch kein Teil der Gewerkschaft sind. Sie können sich keine besseren Arbeitsbedingungen verhandeln, erzählt Simona Durisova.

Ausbeutung durch die Agenturen

In Österreich gibt es zirka 900 registrierte Agenturen. Häufig, so die IG24, werden die Angehörigen von der Agentur falsch über die Fähigkeiten der Betreuer:innen informiert, so auch die Deutschkenntnisse oder eine Ausbildung in der Pflege. Umgekehrt bekommen die Betreuer:innen häufig keine akkuraten Informationen zum Gesundheitszustand ihrer Klientin oder ihres Klienten.

"Diese prekären Arbeitsbedingungen gehen Hand in Hand damit, dass Menschen in existenziellen Notlagen rekrutierbar sind, auch deshalb ist Aufklärungsarbeit in der Muttersprache."

Auf der anderen Seite fühlen sich die slowakischen Behörden nicht zuständig. Für die slowakischen Vermittlungsagenturen gibt es keine Kontrollbehörde, denn das lokale Arbeitsinspektorat ist für die Einhaltung der Rechte der Arbeitnehmerinnen zuständig und der Betreuerinnen sind in Österreich Selbstständige.

Aktuell wünsche sich die Fachgruppe in der Wirtschaftskammer, dass Drittstaatsangehörige einfacher an Gewerbeberechtigungen kommen können. "Das bringt nichts, damit wird die Versorgungskette in noch ärmere Länder ausgeweitet. Da ist eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen vorprogrammiert."

Für Betreuerinnen sei es auch profitabler nach Deutschland oder in die Schweiz arbeiten zu gehen, davon sprechen auch Alena und Marcella gegenüber PULS 24. In der Schweiz ist die Situation überhaupt anders geregelt: Betreuerinnen dürfen dort nur als Angestellte arbeiten.

Lebensgefährlicher Arbeitsweg

Viele Vermittlungsagenturen arbeiten mit Transportunternehmen zusammen, oder betreiben sie. Die Frauen dürfen dann nur mit diesen Chauffeuren fahren, andere Beförderung wird teilweise als Kündigungsgrund festgelegt. Und die Chauffeure sind häufig übermüdet, Sekundenschlaf kommt regelmäßig vor.

"Meine Mutter hat oft davon erzählt, dass sie bei der Heimreise Angst hatte." 2017 kamen sechs Betreuerinnen bei der Heimfahrt aus Österreich ums Leben, 2022 starb eine Frau und sechs Personen wurden verletzt.

Viele der Betreuerinnen seien auch zwischen 50 und 60 Jahren alt, sie sind müde, so Marcella. Sie arbeiten seit 10, 15 Jahren in Österreich und in der Slowakei oder Rumänien gibt es keine Beschäftigungsmöglichkeiten für sie – es gibt ja auch keine verpflichtende Ausbildung für das freie Gewerbe. Diese Art der Dienstleistung gibt es in der Slowakei nicht.

Schwarz-Arbeit legalisiert

Aber warum ist diese Art der Betreuung in Österreich so geregelt? 2006 wurde Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) erwischt, er beschäftigte zwei Betreuerinnen aus der Slowakei illegal. Er zahlte, so die "Krone" damals, nur zwei Euro pro Stunde.

Die Kritik war groß, es folgte eine Entkriminalisierung. Man wollte Pflege "leistbar" machen, so die damalige Kanzler-Sprecherin Heid Glück. Besonders pikant war für die Opposition damals, dass Schüssel verneinte, dass es einen Pflegenotstand gäbe.

"Die Betreuerinnen haben ihre Pensionsansprüche und alle anderen Sozialrechte, die mit Anstellung einhergehen würden, aufgegeben", so Frau Durisova. Die Jahre zwischen 1995 und 2007 zählen nicht als Pensionsjahre und Schwarzarbeit werde nicht erfasst. Deshalb sei die höhe des finanziellen Schadens hier unklar.

Staat subventioniert, aber kontrolliert nicht

Damals bezogen 300.000 Menschen Pflegegeld, laut Pflegevorsorgebericht 2022 waren es zuletzt 470.000.

Die Betreuerinnen sind keine Wählerinnen, deshalb sei es möglich, dass es für die etablierten Parteien nicht interessant sei, ihre Situation zu verbessern, so Durisova.

"Es ist eben dieser neoliberale Arbeitsmarkt ohne jegliche staatliche Kontrolle. Der Staat kontrolliert nicht, aber subventioniert das System." Familien bekommen einen Pflegezuschuss für die Betreuerinnen, dadurch werden diese aber weder besser entlohnt, noch verbessert sich deren Behandlung – oft bleibt der Zuschuss bei den Vermittlungsagenturen. 

Frau Durisova kritisiert auch das Zertifizierungsangebot, einerseits ist sie freiwillig, andererseits gibt sie keinen Rückschluss auf die Behandlung der Betreuerinnen seitens der Agenturen.

Zwischen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Ausbeutung

Für Österreich war die EU-Osterweiterung 2004 ein Gewinn, die Arbeitskräfte aus dem Osten waren im Vergleich zu österreichischen Arbeitnehmer:innen billig. Seit der EU-Ostererweiterung stiegen durchschnittlicher Lohn und auch Kaufkraft in den neuen EU-Ländern stark, so der Rat der EU.

Lange waren die Slowakinnen die größte Gruppe unter den 24h-Betreuerinnen, seit dem EU-Beitritt Rumäniens sind auch sie vermehrt in dem Feld tätig. Anfangs waren die Löhne für sie niedriger. Teilweise machen Agenturen den Frauen je nach Herkunftsland unterschiedliche Lohnangebote.

"Ich berate slowakische Betreuerinnen, die einen Tageslohn von 80 Euro brutto pro Tag haben, bei den rumänischen gibt es Berichte, dass sie 30 Euro am Tag verdienen", so Frau Durisova. Aber das sind Einzelfälle, aber die Betreuerinnen können auch hier nicht selbst verhandeln. 

Für den Transport von Waren gebe es mittlerweile bessere Regelungen als für den von Menschen. Und kontrollieren würde die Einhaltung von Pausenregelungen beim Transport niemand.

"Die Arbeitnehmerfreizügigkeit klingt schön, aber bei der sozialen Sicherheit werden Pendelmigrantinnen von vielen Sozialansprüchen ausgeschlossen."

Auch auf europäischer Ebene würden hier oft die nationalen Regelungen greifen, so die "European Labour Authority" gegenüber PULS 24. Auch bei Arbeiter:innen, die pendeln, gebe es viele Ausnahmen.

Regierungsverhandlungen: Ein weiterer Schritt in Richtung Zuckerlkoalition

Wer gute Pflege will, der muss auch die Arbeitskräfte gut behandeln, findet Simona Durisova von der IG24.

Marcella will auch, dass Vermittlungsagenturen nur einmal bei der Vermittlung Geld erheben können und nicht laufen. Und wenn jemand hier 30 Jahre arbeitet und nur sehr wenig Pension bekommt, dann stimme etwas nicht.

Weder die slowakischen Behörden, noch slowakische Vermittlungsagenturen reagierten auf Anfragen von PULS 24.

"Es geht um die Qualität in der Branche. Es klingt vielleicht klischeehaft, aber wenn die Betreuerin gestresst ist, nicht ausgeschlafen, keine Unterstützung hat, keine Entlastung bekommt, 24 Stunden pro Tag im Einsatz seien muss, kein Essen bekommen, kein eigenes Zimmer hat, auf einer Matratze im Keller schlafen muss, was kann man dann erwarten?", so Marcella.

"Auch wenn man 24-Stunde-Pflege ist, dann darf man in der Nacht schlafen, ohne aufstehen zu müssen, das müssen die Menschen begreifen", sagt sie. "Eine Frau kann nicht 14 Tage nicht schlafen."

Transparenzhinweis: Die Reise nach Griechenland im Rahmen von "Eurotours" wurde vom Bundeskanzleramt mitfinanziert.

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  • 24-Stunden-Hilfen in Österreich.
  • Viele der Frauen kommen aus dem Ausland, sie fühlen sich ausgebeutet.
  • Die Politik legalisierte ein illegales System und Österreich ist für Betreuungskräfte kein attraktiver Arbeitsort mehr.