APA/APA/NATURHISTORISCHES MUSEUM WIEN/MICHAEL TIEFENBACH

Warnung vor genetischer Verarmung bei Tieren und Pflanzen

Bei insgesamt rund zwei Dritteln von 628 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten ist einer internationalen Studie mit Beteiligung aus Österreich zufolge eine Abnahme der genetischen Vielfalt festzustellen. In ihrer Analyse im Fachblatt "Nature" haben die Forscherinnen und Forscher 882 einschlägige Arbeiten analysiert. Demnach ist die Abnahme bei Vögeln und Säugetieren am stärksten und am Land stärker als in den Meeren ausgeprägt. Die gute Nachricht: Man weiß, wie dem beizukommen wäre.

Im Zuge des immer größeren Einflusses des Menschen auf die Erde und ihre Lebewesen verschwinden nicht nur Tier- oder Pflanzenarten komplett aus verschiedenen Regionen, auch ihr Genpool kann kleiner werden. Wird das Erbgut in einer Gruppe immer ähnlicher, kommen einer Art mit der Zeit Optionen abhanden, sich auf Umweltveränderungen einzustellen. Eine immer kleiner werdende Population, in der viele Individuen über die gleichen Stärken und Schwächen verfügen, kann dann selbst durch kleinere Veränderungen aus der Bahn geworfen werden. Kurzfristig drohen auch Probleme im Zusammenhang mit Inzucht.

Angesichts der großen Herausforderungen durch den fortschreitenden Klimawandel für viele Lebewesen "erzeugen wir ein doppeltes Problem", erklärte der an der Arbeit beteiligte Leiter der Säugetiersammlung am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien, Frank Zachos, im Gespräch mit der APA. So nimmt der Mensch vielen Arten letztlich jegliche Anpassungsmöglichkeit.

Wie es um die genetische Vielfalt verschiedenster Lebewesen zwischen den Jahren 1985 und 2019 tatsächlich bestellt war, analysierte das weitverzweigte Team um Catherine Grueber von der University of Sydney (Australien). Rund 80.000 wissenschaftliche Studien durchforstete man, letztlich blieben in der Überblicksarbeit (Metaanalyse) 882 übrig, in denen sich rund 4.000 Datensätze zu über 600 Arten fanden.

Genpool-Abnahme häufig nicht im Fokus

Hätte es die Covid-Lockdowns der vergangenen Jahre nicht gegeben, wäre dieser international koordinierte Aufwand wahrscheinlich so nicht leistbar gewesen, betonte Zachos. Dieser war aber notwendig, da der Verarmung des Genpools oder der Abnahme an Wildtier-Individuen oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde. Dagegen werde deutlich mehr über das Aussterben von Tieren oder Pflanzen berichtet. Dies ist allerdings oft eine Folge von Ersterem.

Hinweise auf einen kleiner werdenden Genpool gibt es laut der Metastudie haufenweise: Am stärksten ist das "Signal" bei Säugetieren und Vögeln. Bei Blütenpflanzen, Insekten und Knochenfischen ist es weniger ausgeprägt, der Trend weise aber auch hier vielfach nach unten, so Zachos.

Letzte Blauracken mit "null genetischer Variabilität"

Ein Beispiel aus unseren Breiten, dem es so ergeht, ist einer der farbenprächtigsten Vögel Europas, die Blauracke. Sie ist hierzulande so gut wie ausgestorben. Mitte des 20. Jahrhunderts gab es in der Steiermark noch fast 300 Brutpaare. Die letzten verbliebenen Vögel haben vor einigen Jahren NHM-Experten genetisch untersucht. Ergebnis: In der kümmerlichen Restpopulation gab es "so gut wie keine genetische Variabilität", sagte Zachos.

Ähnlich ergehe es Raufußhühnern wie dem Auerhahn etwa in Deutschland. Auch hier schrumpfen die Siedlungsgebiete, die Restpopulationen "verinseln", haben kaum mehr genetischen Austausch mit anderen Gruppen und sind immer mehr vom Aussterben bedroht. In die Analysen gingen auch Daten aus dem österreichischen Bärenmonitoring ein, das einige Jahre gelaufen ist. Mittlerweile gibt es hierzulande bekanntlich erneut keine Bärenpopulation mehr. Zachos: "Österreich ist das einzige Land, das den Braunbären zwei Mal ausgerottet hat."

Wie sich Kahlschlag aufhalten lässt

Es gebe aber auch zahlreiche Positivbeispiele, wo Schutzmaßnahmen den Genpool stabilisiert oder sogar verbreitert haben. So konnte man etwa mit gezielten Ansiedelungen von Kreuzottern verschwindende skandinavische Populationen retten. Auch die Pumas in Florida konnten durch Einkreuzungen aus anderen Regionen überleben. Ähnliches gelang bei Eisfüchsen, Präriehühnern und -hunden. Ebenso positiv wirken nachweislich die Renaturierung von Lebensräumen, gezieltes Populationsmanagement oder die Regulierung von ver- bzw. ausgewilderten Arten und Schädlingen, heißt es. "Es ist nicht alles schlecht", betonte der NHM-Forscher: "Wir können den Abfall der Vielfalt aufhalten, wenn wir wollen."

(S E R V I C E - https://doi.org/10.1038/s41586-024-08458-x)

ribbon Zusammenfassung
  • Eine internationale Studie mit Beteiligung aus Österreich zeigt, dass bei zwei Dritteln von 628 untersuchten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten die genetische Vielfalt abnimmt, besonders bei Vögeln und Säugetieren.
  • Die Analyse von 882 wissenschaftlichen Arbeiten ergab, dass genetische Verarmung oft weniger beachtet wird als das Aussterben von Arten, obwohl sie häufig eine Vorstufe dazu darstellt.
  • Positive Beispiele wie die Ansiedlung von Kreuzottern in Skandinavien zeigen, dass gezielte Schutzmaßnahmen die genetische Vielfalt stabilisieren oder sogar erhöhen können.